E-HEALTH-COM ist das unabhängige Fachmagazin für Gesundheitstelematik, vernetzte Medizintechnik , Telemedizin und Health-IT für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Mehr

Für das ePaper anmelden

Geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden

Anmelden

Passwort vergessen?

Blog

Reifegradmessung: Deutschland auf die Weltbühne heben

Die Reifegradmessung hilft bei einer digitalen Transformation, die sich an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Patienten ausrichtet. Nur damit kann Deutschland zur Weltspitze aufschließen.

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gilt als Europas erstes, vollständig digitalisiertes Krankenhaus. Der eingeführte Closed-Loop Medikationsprozess reduzierte die Abweichungsrate von einzelnen Qualitätsmerkmalen [1] in der Medikation von 21,5% auf 0,7% [2]. Ähnliches berichtete das Cambridge University Hospital. Dort verhinderten automatische Warnsystem 850 Fälle schwerer allergischer Nebenwirkungen pro Jahr; 16% der Medikamentenverschreibungen wurden infolge der Digitalisierung angepasst.

 

In beiden Fällen orientierten sich die Krankenhäuser an der Roadmap einer Reifegradmessung, konkret HIMSS EMRAM. 550 Krankenhäuser in Deutschland haben bisher eine darauf basierende Reifegradmessung durchgeführt. Weltweit hat die Organisation HIMSS mit EMRAM und sechs weiteren Reifegradmodellen bereits über 65.000 Gesundheitseinrichtungen evaluiert. Diese Einrichtungen nutzen das gemeinsame Reifegradverständnis, um in Punkto digitaler Prozesse, Anwendereinbindung und Patientenversorgung voneinander zu lernen.

 

Die Evaluation von 550 einzelnen, deutschen Krankenhäuser über Jahre hinweg ist eine Sache. Die im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) vorgesehene Evaluation von potenziell 2000 Krankenhäuser in einem vergleichsweisen kurzen Zeitraum setzt hingegen neue Anforderungen an das Erhebungsinstrument, die Handlungsableitungen und an das neu zu entwickelnde KHZG Reifegradmodell.

 

  1. Das deutsche Reifegradmodell muss den hohen Anforderungen an die wissenschaftliche Qualität und Güte sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem sehr sensiblen Bereich gerecht werden. Zugleich gilt es, ein praxistaugliches, austariertes Modell bereitzustellen, welches die spezifische Situation der heterogenen und historisch gewachsenen deutschen Krankenhauslandschaft abbildet. In anderen Worten: Das Reifegradmodel darf also nicht „nur“ den Ambitionen der „Digital Leaders“ dienen, sondern muss auch die Situation in weniger digitalisierten Häuser pragmatisch und nutzenstiftend abbilden.

  2. Die Handlungsableitungen wiederum sollten den Krankenhäusern eine belastbare Roadmap bieten, welche den Weg und die notwendigen, Handlungsfelder zur Erhöhung der digitalen Reife aufzeigt. Die Reifegraderhöhung und die damit einhergehende Qualitätsoptimierung der medizinischen Versorgung ist der eigentliche Nutzen für die Krankenhäuser.

  3. Das Erhebungsinstrument muss technisch stabil, umfangreich getestet und anwenderfreundlich sein. Ein Ausfall der Plattform würde das Vertrauen der Krankenhäuser in das Projekt erschüttern.

  4. Die Evaluation muss neben den technischen Fortschritten und Veränderungen durch das KHZG auch die spezifischen Verbesserungen für den Endnutzer der Digitalisierungsmaßnahmen prüfen. Diesbezüglich muss insbesondere die Prozesseffizienz, die Qualität der Prozessgestaltung und damit der direkte Nutzen für die Mitarbeiter der Krankenhäuser sowie die Verbesserung der medizinischen Versorgung für die Patienten in Betracht gezogen werden. 

 

Glaubwürdigkeit und Zukunftssicherheit entscheidend für Akzeptanz

Wenn ab Juni der Reifegrad der deutschen Krankenhäuser erfasst wird, sollte dies idealerweise eine möglichst unaufgeregte und geradlinige Angelegenheit sein. Ich finde, es war höchste Zeit, dass das Thema die breite Aufmerksamkeit der Politik, Forschung und Krankenhäuser geweckt hat. Noch mehr freut es mich, dass sich auch mehrere Interessensgruppen und Fachgesellschaften in der Reifegradermittlung engagieren – denn es geht darum, den vorhandenen Erfahrungsschatz schnell und für alle nutzbar zu machen. 

 

Teil dieses Erfahrungsschatzes ist die Erkenntnis, dass ein Reifegradmodell absolut glaubwürdig und herstellerunabhängig sein muss. Es sollte nicht ansatzweise der Eindruck entstehen, dass damit bestimmten Technologie- oder Förderinteressen Vorschub geleistet wird. Das Vermeiden proprietärer Interessenkonflikte ist die Grundlage für eine breite Akzeptanz des Reifegradmodells, für Interoperabilität und für menschenzentrierte Innovation.

 

Hierzu zählt auch, dass das KHZG Modell den Krankenhäusern und weiteren Bereichen der Gesundheitsversorgung, über den stationären Sektor hinaus und über die nationalen Grenzen hinaus, den Anschluss und die Nutzung von zukünftigen Reifegradmodellen ermöglicht. Dies wird die Zukunftssicherheit eines stärker vernetzten und weiter ausdifferenzierteren deutschen Gesundheitssystems erhöhen und dessen weltweite Reputation und Führungsrolle stärken.

 

Autor:
Armin Scheuer verantwortet die internationale Geschäftsentwicklung bei der globalen Fachgesellschaft HIMSS, die über 100.000 Mitglieder weltweit vertritt. Die Mission von HIMSS ist es, Gesundheitssysteme weltweit durch die Nutzung von Technologie und Information zu reformieren.


[1] z.B. Einzeldosis, Tagesdosis, Darreichungsform, Feuchtigkeitsschutz, Haltbarkeit, etc.

[2] Quelle: Baehr M, van der Linde A, König R, Melzer S, Langebrake C, Groth- Tonberge C, Hug MJ. Kopplung von elektronischer Verordnung und  patientenorientierter Logistik - Signifikante Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit. KHP 35:110-117 (2014)