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Schöner faxen

Früher war alles besser – jedenfalls in der Medizin.

Ärzte waren ihre eigenen Herren (ausreichend Bodenfreiheit auf der Karriereleiter vorausgesetzt), Patienten ehrfürchtig und gehorsam, Schwestern von munterem Diensteifer beseelt, PJler anspruchs- und kostenlos, und Fallpauschalen nicht mehr als ein spitzbübisches Funkeln im Auge des Gesetzgebers.


Wichtige Befunde wurden mit der Deutschen Post versandt, dringende Befunde per Fax, und der Datenschutz war allein schon dadurch gewährleistet, dass die Hälfte aller Patientenakten nur durch Fachkräfte auffindbar war, die seit mindestens zwölf Jahren mit dem jeweiligen Ablagesystem der Klinik oder Praxis vertraut waren. In der anderen Hälfte waren alle vital wichtigen Informationen in einer Handschrift vermerkt, die nur für den Urheber selbst zu entziffern war, und das nur bei guter Beleuchtung und ausreichendem Koffeinspiegel.


Doch ach, vorbei. Spätestens, seit Patienten und die vorwitzigeren unter den jüngeren Kollegen dieses sogenannte Internet benutzen, um Kochrezepte und Katzenvideos auszutauschen, werden Stimmen immer lauter, die die Frage stellen, ob man diese elektronische Datenverarbeitung nicht auch irgendwie zum Wohle des Gesundheitswesens einsetzen könne. Warum? Von allzeitiger Verfügbarkeit von Daten ist die Rede, von Arzneimitteltherapiesicherheit, gar von Videosprechstunde! (Videosprechstunde, ha – wie denn, wo es im Ort doch gar keine leeren VHS-Kassetten mehr zu kaufen gibt.) Dabei weiß jeder, dass zu viele Informationen aus zweiter Hand nur das natürliche Wirken der ärztlichen Intuition behindern – und über Medikationsfehler ist bisher noch immer Gras gewachsen.


Doch glücklicherweise kam die Rettung vor dem alles verschlingenden Fortschritt in der unerwarteten Gestalt mehrerer deutscher Bundesregierungen, die dem Gesundheitswesen einen wahren Dinosaurier von digitaler Infrastruktur verordneten. Diesem ist in 16 Jahren nicht gelungen, das zu realisieren, wofür ein handelsübliches Startup ein langes Wochenende, drei Kisten Mate-Brause und den Zugriff auf ein paar quelloffene Frameworks und Algorithmen benötigt: Einen zuverlässigen, verschlüsselten Datenaustausch für eine begrenzte Gruppe von Teilnehmern.


Ein Glücksfall für all diejenigen, für die der technische Fortschritt in erster Linie eine Zumutung ist. Die Telematik-Infrastruktur ist das hässlichste Entchen aus der Digitalisierungsfamilie, und ein leichtes Ziel selbst für die, die nicht bereit sind, sich mit der tiefgreifenden Veränderung unserer Gesellschaft durch die Digitalisierung ernsthaft zu beschäftigen – sondern das Rad nur zurückdrehen wollen. Seit letztem Monat werden von einer ärztlichen Initiative nun wieder Postkarten (ja, die aus Pappe) verschickt, um die Telematik-Infrastruktur zu „stoppen“. Als Zugeständnis an das 21. Jahrhundert gibt es immerhin eine E-Mail-Adresse – bei gmx, einem werbefinanzierten Anbieter, der sich in der Vergangenheit vor allem durch unseriösen Kundenfang und Augenwischerei hinsichtlich „verschlüsselter“ E-Mails hervorgetan hat. 
Da wäre man doch besser beim Fax geblieben.


Quellen:

http://www.stoppt-die-e-card.de/index.php?/archives/367-Rote-Karte-fuer-die-TI.html 


https://www.verbraucherzentrale-niedersachsen.de/themen/internet-telefon/vertrag-bei-gmx-webde-immer-noch-ein-thema 

https://www.golem.de/news/chaos-computer-club-ssl-tls-bei-e-mail-betreibern-schuetzt-nicht-vor-geheimdienst-1308-100898.html 


Dr. med. Christina Czeschik
ist Ärztin, Medizininformatikerin und Fachautorin für eHealth und Informationssicherheit.