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Systematische Datenauswertung: Das Fallbeil im DiGA Fast-Track

von Sanja Bláha, Clinical Affairs Consultant QuR.digital

Mit dem Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) am 19. Dezember 2019 wurde die „App auf Rezept“ für Patienten in die Gesundheitsversorgung eingeführt (§§ 33a und 139e SGB V). Damit haben ca. 73 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf eine Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen oder DiGA.

 

Inzwischen wurden knapp über hundert Anträge zur Prüfung beim BfArM eingereicht, davon die meisten zur vorläufigen Aufnahme zur Erprobung. Insgesamt hatten davon bisher nur 24 Erfolg, 22 sind aktuell in Bearbeitung, 5 wurden abgelehnt und 50 wurden vom Antragsteller zurückgezogen. Betrachtet man die Ursachen für diese hohe Zahl abgelehnter bzw. zurückgezogener Anträge, so wird deutlich, worin die Hürden der DiGA liegen. Nur etwa 17% dieser Anträge hatten als Ursache fehlende Dokumente, Unzulänglichkeiten im Datenschutz oder die Durchführung der Studie mit einer Protoversion der DiGA. Die restlichen 83% betreffen eine unzureichende systematische Datenauswertung (42%) und ein unzureichendes Studiendesign (41%) auf (Stand aller Angaben: 03.11.21).

 

Woran liegt das, wo doch extra ein Leitfaden für Hersteller, Leistungserbringer und Anwender erstellt wurde, um eine zusammenfassende Darstellung der gesetzlichen Regelungen und Anforderungen zur Verfügung zu stellen? Ein Problem mag sein, dass die darin enthaltenen Informationen zu den Anforderungen an eine DiGA das letzte Mal im Oktober 2020 aktualisiert wurden. Ein Thema, das nur kurz in der aktuellen Version abgehandelt wurde und dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, zu einem der großen Stolpersteine bei der vorläufigen Aufnahme geworden ist, ist die zuvor erwähnte systematische Datenauswertung. Diese legt die Grundlage für die vorläufige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis und begründet, warum nach der Erprobungsphase eine endgültige Aufnahme zu erwarten ist.

 

Umso erstaunlicher, dass es im Leitfaden kaum Details zu diesem Bestandteil des DiGA-Verfahrens gibt. Dem sogenannten „Einschluss eigener systematisch ausgewerteter Daten“ als Teil der systematischen Datenauswertung widmet der Leitfaden kaum eine halbe Seite. Es wird lediglich mitgeteilt, dass diese Daten aus der DiGA gewonnen werden müssen und gemeinsam mit der systematischen Literaturrecherche erste Anhaltspunkte für die in der Erprobung durchzuführende Studie liefern sollen. Es geht hierbei weder hervor, welche Patientenzahl dabei erforderlich ist noch ob eine Kontrollgruppe notwendig ist, oder was die akzeptable Länge der Interventionsdauer ist. Dies mag zu der Schlussfolgerung verleiten, dass der Hersteller hier sehr frei in der Gestaltung dieser Datenauswertung ist. Schließlich wird im Leitfaden nicht einmal von einer Studie gesprochen.

 

Das ist leider ein Trugschluss. Im Falle der abgelehnten bzw. zurückgezogenen Anträge aufgrund unzureichender systematischer Datenauswertung wurden vom BfArM die folgenden Gründe gelistet: 1) zu kurze Beobachtungsdauer, 2) falsche DiGA-Version, 3) zu wenig Probanden, 4) die postulierten positiven Versorgungseffekte (pVE) für die Studie der Erprobungsphase wurden nicht adressiert. (Angaben entstammen der Präsentation des BfArM auf der Digital Medicine Conference). Nun mögen nicht für alle diese Gründe Kommunikationsfehler die Ursache sein, dennoch stellt sich die Frage, woher der Hersteller wissen soll, was eine angemessen Probandenzahl ist oder wie lange der Beobachtungszeitraum zu sein hat, wenn dies nicht kommuniziert wird.

 

Auch ein Blick auf die bisher gelisteten DiGA als Orientierungshilfe ist wenig hilfreich. Betrachtet man diese, so sieht man eine hohe Varianz in der Zahl der untersuchten Patienten. Diese reichen über 37 (Nichtraucherhelden), 48 (zanadio), 459 (Selfapy) oder sogar 18.555 (Vivira) Teilnehmer, zum Teil abhängig von der Studienart. Aus eigener Erfahrung mit dem BfArM scheint inzwischen mindestens eine Anzahl von um die 50 Patienten erwartet zu werden. Auch eine Kontrollgruppe wird vom BfArM deutlich bevorzugt, obwohl zuvor auch intraindividuelle Vergleiche ermöglicht wurden.

 

Ebenso breit gestreut ist die Interventionsdauer der Studien, welche über einen Zeitraum von 6 Wochen (zanadio), 8 Wochen (Mindable), 12 Wochen (alle Selfapy DiGA), 4 Monate (NichtraucherHelden) oder sogar 12 Monate (ESYSTA) reichen. Auch hier hat sich in persönlichem Kontakt mit dem BfArM gezeigt, dass inzwischen mindestens 12 Wochen als Interventionsdauer für den primären Endpunkt erwartet werden.

 

Es scheint also so, als würde es sich beim „Einschluss eigener systematisch ausgewerteter Daten“ eigentlich um eine Machbarkeitsstudie mit noch sehr unklaren Designanforderungen handeln. Unsere Erfahrung zeigen dabei leider auch, dass das BfArM hier zunehmend strenger wird. Dabei verkommt eine einfache und scheinbar niedrigpriorisierte Datenauswertung mehr und mehr zu einer teuren Studie mit zahlreichen Patienten und mehrmonatiger Interventionsdauer. Und das, ohne dass es dazu klare Vorgaben gibt. Das bedeutet für die Hersteller Unklarheit, zusätzlicher Zeitaufwand – v.a. wenn die Datenauswertung aufgrund von Unzulänglichkeiten neu geplant werden muss – und zunehmende Kosten für etwas, das nicht einmal den endgültigen pVE nachweisen soll. Die Vorstellung eines neuen Leitfadens, um hier Klarheit zu schaffen ist damit mehr als überfällig.

 

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Digital Medicine Conference in Berlin Anfang November, bei der auch das BfArM eineinhalb Stunden Zeit für die Vorstellung des Fast-Track-Verfahrens und Fragen der Zuschauer hatte. Doch das Ergebnis war ernüchternd. Statt Neuigkeiten zum Leitfaden, welcher wiederholt als „lebendiges Dokument“ beschrieben wurde, beglückwünschte sich das BfArM vor allem selbst immer wieder zu seiner Leistung. Und stellt interessante Schlussfolgerungen an. So zeigten sie graphisch, dass die Anzahl der DiGA Konsultationen leicht abgenommen hat (von 125 in 2020 auf 111 in 2021) und die Anzahl der Anfragen stark gesunken ist (von 400 in 2020 auf 116 in 2021).

 

Das BfArM schlussfolgerte hieraus, dass dies der guten Kommunikation mit den Herstellern und einem guten Verständnis der Anforderungen geschuldet ist. Fraglich ist, warum dann 83% der Anträge aufgrund der systematischen Datenauswertung und der klinischen Prüfung durchfallen. Aus eigener Erfahrung vermuten wir, dass die Anfragen aus einem anderen Grund zurückgehen: Die lange, lange Antwortzeit des BfArM. Auf die Beantwortung von Anfragen über das Kontaktformular wartet man etwa 3 Monate, ebenso lange dauert es auch, bis man einen Termin für das Beratungsgespräch bekommt. Für viele Hersteller ist diese Wartezeit schlicht nicht kosteneffizient. Die Einreichung eines Antrags in der Hoffnung, dass dieser ausreichend ist, mag deutlich sinnvoller und zeitsparender erscheinen.

 

Betrachtet man all dies, so stellt man fest, dass der Leitfaden dringenden Überarbeitungsbedarf hat, das BfArM personell überfordert scheint, und Herstellern viel Geduld und steigende Kosten abverlangt werden. Und all das im Rahmen des Fast-Track-Verfahrens, das doch das Ziel hatte, Geschwindigkeit und Innovationsfähigkeit zu fördern. Doch bei zunehmenden Kosten werden auch Innovationen gebremst, denn die wenigsten Start-Ups sind in der Lage neben der sehr teuren klinischen Prüfung noch eine vorhergehende Machbarkeitsstudie zu finanzieren. Ob dies in einem zunehmenden Trend von Anträgen mit endgültiger Aufnahme enden wird, wird sich zeigen.

Ein Lichtblick mag die Ankündigung des BfArM sein, bald eine neue Version des Leitfadens zur Verfügung zu stellen. Ob darin mehr Informationen zu den großen Hürden der Antragsstellung stehen, wird sich zeigen.

 

Autorin:

Sanja Bláha

Clinical Affairs Consultant QuR.digital