Kurz vor Redaktionsschluss erschien eine kleine Meldung in SPIEGEL ONLINE. Unter der Überschrift „Telemedizin – Patient erfährt per Videoschalte von nahendem Tod“ wurde von einem Vorfall in den USA berichtet. In einer Klinik in Kalifornien hat ein Arzt, statt sich ins Krankenzimmer des Patienten zu begeben, diesen per Videoroboter darüber informiert, dass er bald sterben werde. Die bei dieser Szene anwesende Enkelin des Patienten hat den Vorgang gefilmt und ihn und ihre Empörung über das Vorgehen öffentlich gemacht.
Eine solche Nachricht hätte vor zehn Jahren noch für viel Aufregung gesorgt und wäre wahrscheinlich als ein warnendes Beispiel für die Gefahren der Telemedizin diskutiert worden und als Beleg dafür, dass den neuen Techniken eine Tendenz zur Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses innewohne. Heute führte diese Nachricht nur noch zu einer kleinen Meldung und wurde noch nicht einmal von allen größeren Medien aufgenommen. Das ist ein gutes Zeichen und spricht für eine mittlerweile stabile Akzeptanz der Telemedizin.
Um nicht falsch verstanden zu werden, hier soll nichts bagatellisiert werden: Ein solcher Vorfall ist nicht zu entschuldigen. Dass die betroffene Klinik das offenbar, nachdem sie den Angehörigen des Patienten ihr Bedauern über den „höchst ungewöhnlichen“ Fall bekundet hatte, doch irgendwie versucht hat, macht das Ganze nur noch schlimmer. Sie erklärte nämlich gegenüber der „New York Times“, dass die Ärzte und Krankenschwestern durchaus regelmäßig mit dem Patienten und seiner Familie gesprochen hätten und es sich bei der Videoschalte um ein Folgegespräch nach vorherigen persönlichen Visiten gehandelt habe.
Das klare Zugeständnis eines Fehlers wäre hier wohl angebrachter gewesen. Denn es handelte sich eindeutig um ein Fehlverhalten des Arztes und vielleicht auch der Klinik, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht für einen verantwortungsbewussten Umgang mit telemedizinischen Anwendungen sensibilisiert. Es gibt Kommunikationssituationen zwischen Arzt und Patient, die nicht über die Technik vermittelt werden dürfen, auch nicht über einen noch so fortschrittlichen Roboter mit Bildschirmgesicht. Schon die soziale Kompetenz eines Arztes sollte ihm helfen zu erkennen, wann er die Technik nutzen kann und wann eine ganz und gar persönliche Kommunikation mit dem Patienten gefordert ist. Eine solche soziale Kompetenz hat der Arzt in diesem Fall wohl deutlich vermissen lassen.
Das gute Zeichen, das Zeichen für eine gewachsene Akzeptanz der Telemedizin, ergibt sich bei dieser Geschichte daraus, dass es in der Berichterstattung darüber um menschliches Fehlverhalten geht und nicht um eine Fehlfunktion der Telemedizin. Weder bei SPIEGEL ONLINE, noch in den anderen Medien, die die Nachricht aufgenommen haben, schwingt in irgendeiner Weise ein verborgener Vorbehalt gegen telemedizinische Anwendungen mit. Offensichtlich ist das Bewusstsein, dass Telemedizin ein Hilfsmittel für verantwortliche ärztliche Tätigkeit und kein Ersatz dafür ist, mittlerweile auch bei den Journalisten-Kollegen in den Nicht-Fachmedien weitverbreitet. Darum wird in diesem Fall richtigerweise über einen bemerkens- und berichtenswerten Fehler im Umgang mit einem neuen digitalen Instrument berichtet und nicht über die vermeintliche Unzulänglichkeit dieses Instruments.
Ähnliche Meldungen in Bezug auf den Einsatz der neuen Technologien in der Medizin wird es sicher noch öfter geben. Wo Menschen mit neuen Instrumentarien umgehen, werden auch Fehler gemacht. Das ist menschlich. Und es ist auch gut, wenn – zumindest in eklatanten Fällen – über solche Fehler öffentlich berichtet wird. Denn wie heißt es so schön: Aus Fehlern wird man klug.