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Arztpraxis der Zukunft: Alexa kann jetzt auch Anamnese. Na ja, fast.

Wie sieht die Arztpraxis der Zukunft aus? Das will die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wissen und hat das Modellprojekt „Zukunftspraxis“ ins Leben gerufen, das innovativen E-Health-Start-ups die Erprobung ihrer Produkte in der ärztlichen Praxis ermöglicht. Drei weitere Projekte haben jetzt den Weg in die Umsetzung gefunden. Diesmal im Fokus: die digital unterstützte Anamnese und eine PVS-Lösung aus der Cloud. Schon etwas länger dabei: ein KI-Telefonassistent.

Fotot: © JuanCi Studio – stock.adobe.com

Noch ist viel im Fluss. Diese Einschätzung teilt auch Juraj Kralj, Marketingleiter bei Idana („Intelligente digitale Anamnese“), wenn er nach den ersten Ergebnissen des Praxistests im Rahmen des KBV-Projekts „Zukunftspraxis“ gefragt wird. Das Unternehmen aus Freiburg entwickelt eine Software zur Digitalisierung von (kundenindividuellen) Anamnesefragebögen mit digital signierbaren Formularen. Über eine Web-App sollen die erfassten Daten über eine GDT-Schnittstelle direkt in die Software des PVS wandern und sich dort unkompliziert organisieren und weiterverarbeiten lassen. Das Konzept soll es z. B. ermöglichen, dass Patienten Fragebögen bereits zu Hause auf dem Smartphone oder auch im Wartezimmer auf dem Tablet ausfüllen können.


„Es geht für uns auch darum zu erfahren, welche Prozesse sich aus dem Produkt Idana überhaupt erst ergeben. Jede Anbindung an eine Hausarztpraxis bedeutet für uns erst mal wertvolle Erfahrungen, die wir in die Weiterentwicklung des Projekts stecken können, und das natürlich möglichst in kürzester Zeit. Insbesondere der Austausch mit allen Stakeholdern ist uns wichtig.“ Das Unternehmen konzentriere sich momentan noch auf Arztpraxen und medizinische Versorgungszentren. Auch Kliniken könnten für das Unternehmen langfristig interessant sein, wenn das technologische Umfeld stimme, sagt Juraj Kralj.

 

Zehn Unternehmen durchlaufen Tests in den Arztpraxen
Insgesamt zehn Unternehmen sind Teil des KBV-Modellprojekts. Mit dabei ist neue Medizintechnik für die Hautkrebsfrüherkennung, die bekannte Medizin-App ada Health, ein sensorbasierter Inhalator für personalisierte Therapieempfehlungen oder auch eine Datenbrille, AMA XperteEye, mit der Pflegekräfte bei der täglichen Arbeit im Versorgungsalltag Bild- und Datenmaterial an den Hausarzt übermitteln können. Alle diese Produkte werden bereits im Praxisalltag im Rahmen sogenannter Praxistests erprobt.


Dabei sollen praktische Erfahrungen aus dem Ärztealltag mit wissenschaftlicher Evaluation gekoppelt werden. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften der Charité unter Leitung von Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey werden die ausgesuchten Produkte anhand von Fragebögen ausgewertet, die zu drei Zeitpunkten der Testphase von den Arztpraxen ausgefüllt werden, z. B. um die technischen Voraussetzungen abzufragen, Erfahrungswerte in den ersten Monaten und schließlich den konkreten Nutzen abschließend zu bewerten.


Die Fragebögen sollen sowohl einen allgemeinen Teil als auch produktspezifische Fragestellungen enthalten. Auch anonymisierte Nutzungsdaten wie die Nutzungshäufigkeit oder der Ausfall eines Systems fließen in die Evaluierung ein. Zusätzlich werden die Produkte AMAXperteEye und ada Health an der
Charité zusammen mit Studierenden getestet, um ihren Nutzen in unterschiedlichen Szenarien der Versorgung und Lehre stichprobenartig zu bewerten. Bis 2022 soll eine abschließende Evaluation nach wissenschaftlichen Kriterien vorliegen.


Die Neuen

Vier Anbieter sind erst seit Kurzem im Praxistest und sammeln derzeit erste Erfahrungen. Neben Idana sind das Klindo und Red Medical sowie der KI-Telefonassistent Aaron.ai. Die Software Klindo („Klinische Dokumentation“) zielt, ähnlich wie die Idana-Lösung, auf eine Digitalisierung von Anamnese-Fragebögen, allerdings mit Fokus auf psychologisch und psychotherapeutisch arbeitende Praxen, die mithilfe psychometrischer Tests Indikationen wie Depressionen, Demenz oder auch ADHS abfragen. Im Zentrum des Praxistests steht die Frage, ob sich mit der Software der tägliche Bürokratieaufwand in Arztpraxen eindämmen lässt.


Red Medical ist ein KBV-zertifiziertes Cloud-PVS-System, das als „Software as a service“ komplett außerhalb der Praxis betrieben wird. Die Lösung verspricht intelligente und vor allem sichere Prozesse für Abrechnung, Dokumentation, den praxisinternen Datenaustausch, z. B. zwischen PVS und anderen Medizingeräten, und die Datenauswertung. Aaron.ai schließlich ist ein Telefonassistent auf KI-Basis. Er nimmt Anrufe entgegen, analysiert das Anliegen der Anrufer, fragt die für die Praxis relevanten Basisinformationen ab und stellt alle Informationen auf einer Web-Oberfläche bereit. Das Praxisteam kann entweder klassisch zurückrufen oder über die Software eine SMS verschicken. Der Hersteller wirbt vor allem mit einer einfachen Einbindung mittels offener Schnittstellen, ob in eine Telefonanlage, eine App, Website oder auch in einen smarten Assistenten wie Amazon Alexa oder Google Home.


Auf Herz und Nieren

In der Praxis für Allgemeinmedizin von Dr. Daniela Schoch im sächsischen Kirschau wird derzeit der Telefonassistent Aaron.ai im Praxisalltag erprobt. Der „erweiterte Anrufbeantworter“, wie Manfred Dunkelmann, Praxismanager der Praxis, es nennen würde, soll einen klar definierten Zweck erfüllen: die Erreichbarkeit der Arztpraxis verbessern. Ein Ziel, das auch erklärtes gesundheitspolitisches Ziel der KV Sachsen in den Jahren 2017 und 2018 war und für das insgesamt ca. 7,2 Millionen Euro bereitgestellt wurden. Über diesen Zeitraum hinaus wurde das Vergütungsmodell aber nicht verlängert.


„Der KI-Assistent erspart den Sprechstundenhilfen nach wie vor Stress“, sagt Manfred Dunkelmann. „Wenn es eng wird am Empfang und gleichzeitig das Telefon ständig klingelt, können die Schwestern eingehende Anrufe auch erst mal noch später abarbeiten, und das ohne schlechtes Gewissen.“ Anders als bei einem klassischen Anrufbeantworter müssen die Anrufe nicht einzeln abgehört werden. Die Patienten würden das Gerät annehmen, aber manchmal gebe es Probleme: wegen des ausgeprägten Dialekts der Anrufer, so der Praxismanager.


Auch eine selbstständige Terminvergabe übernimmt der KI-Assistent nicht. Gerade auch wegen der Pflicht zur schnellen Vergabe von Arztterminen im Einzelfall nach dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sieht Manfred Dunkelmann eine mögliche Vollautomatisierung der Terminvergabe kritisch. Positiv zu bewerten sei, dass der Telefonassistent in das Konzept der papierlosen Praxis passe, ein Ziel, das sie in Kirschau mit hoher Priorität vorantreiben. Eine eigene Website spart man sich in der Landarztpraxis hingegen.


Auf der Suche nach „sinnvollen“ Anwendungen
Die Versprechen der Digitalisierung sind groß, auch im Gesundheitswesen, doch was damit „sinnvollerweise“ gemeint ist, ist oftmals noch unklar. Die Ideen der Unternehmen sind da, doch die Praxis ist voller (unvorhersehbarer) Tücken, gerade bei der Einführung von Produkten, deren Potenzial (auch) in der Vernetzung liegt und für die erst noch Erfahrungswerte gesammelt werden müssen. Genau hier setzt das KBV-Modellprojekt „Zukunftspraxis“ an.


Dass die Digitalisierung  auch im Hausarztwesen weiter voranschreitet, steht außer Frage. Das geht aus dem „Praxisbarometer Digitalisierung“ der KBV eindeutig hervor. Allerdings ist die Umsetzung in den verschiedenen Teilbereichen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Für drei Viertel der Arztpraxen bedeutet Digitalisierung vor allem die Digitalisierung der Patientendokumentation. Auch verfügen 80 Prozent der Arztpraxen über medizinische Geräte, die mit digitalen Schnittstellen ausgestattet sind, die bei einer deutlichen Mehrheit der Praxen auch an das PVS angeschlossen sind.

 

Eindeutige Digitalisierungsdefizite gibt es hingegen z. B. bei der Kommunikation nach außen, sei es bei der schriftlichen Kommunikation mit anderen Ärzten, beim Austausch von Behandlungsdaten mit Krankenhäusern oder auch der Einbindung erweiterter digitaler Angebote für Patienten. Alles Mängel, die der Gesetzgeber mit seinen Initiativen zu DGV, ePA und Telematikinfrastruktur zu beheben versucht. Was sich bei den Gesprächen mit allen Projektbeteiligten aber jetzt schon ebenfalls abzeichnet: Digitalisierung bedeutet nicht nur Effizienzgewinne und neue Prozesse, sondern vor allem auch ein neues soziales Miteinander. Schon die einfache Installation eines Telefonassistenten auf dem Land macht das schnell deutlich.