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Dänemark: das E-Health-Musterland

Dänemark hat mit knapp sechs Millionen Menschen eine übersichtliche Bevölkerungsanzahl. Dennoch sieht sich das Königreich ähnlichen Herausforderungen gegenübergestellt wie viele europäische Länder: eine alternde Gesellschaft und steigende Zahlen in Bezug auf chronische Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, COPD und Diabetes. Die dänische Antwort darauf lautet: eine radikale Krankenhausreform und eine Hinwendung zu einer patientenzentrierten Versorgung.

Bild: © Olli – stock.adobe.com, 252104783, Standard-Lizenz

Das Königreich war schon früh dabei, als es um die Digitalisierung ging. Bereits 1999 wurde die erste nationale E-Health-Strategie verabschiedet. 1994 gründete man die staatlich finanzierte Digital-Health-Agentur MedCom, die zwischen Zentralstaat, Regionen und Kommunen operiert und für die Entwicklung von Standards zuständig ist. Wie genau digitale Maßnahmen umgesetzt werden, bleibt den Regionen überlassen, sie müssen sich lediglich an die Vorgaben der MedCom halten.


Überhaupt ist E-Health als Thema fest auf der Regierungsebene verankert. Innerhalb des Gesundheitsministeriums existiert ein eigenes nationales E-Health Board. Hier werden Inhalte der nationalen E-Health-Strategien festgelegt und es wird zwischen den Regionen und anderen Akteuren des Gesundheitssystems vermittelt. Digitale Lösungen wie elektronische Patientenakten (ePA), Medikationslisten oder das E-Rezept sind bereits national implementiert. Alles zusammengenommen macht das dänische Gesundheitssystem in Bezug auf die Digitalisierung zu einem der weltweit fortschrittlichsten.
Kein Wunder also, dass das Königreich bei internationalen Rankings stets sehr gut abschneidet und im internationalen Vergleich immer auf den vordersten Plätzen liegt. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die dänische Bevölkerung Vertrauen in digitale Dienste hat – eine gute Voraussetzung, um Digital Health voranzutreiben. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des dänischen Gesundheits-
systems ist das nationale Gesundheitsportal sundhed.dk.


Auf dem Portal laufen alle nationalen Digital-Health-Anwendungen zusammen. Mit der Geburt erhält jede:r Bürger:in eine persönliche Identifikationsnummer, über die er oder sie sich bei sundhed.dk einloggen kann. Dort ist die gesamte Krankengeschichte abgelegt. Dazu gehören auch medizinische Daten wie Diagnosen, Medikationspläne, Behandlungen, Laborwerte oder Operationen. Nachdem Patient:innen ihre Zustimmung gegeben haben, können Hausärzt:innen (wer zu einem Facharzt oder einer Fachärztin muss, braucht erst eine Überweisung durch den Hausarzt bzw. die Hausärztin) oder Apotheker:innen darauf zugreifen. Das Portal wird auch für die Abrechnung von Gesundheitsdienstleistungen genutzt.


Für die Zukunft ist außerdem geplant, die anfallenden Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken zu verwenden. Unter der Riege der Danish Health Data Authority, einer staatlichen Einrichtung, die dem Gesundheitsministerium unterstellt ist, sollen relevante Informationen, etwa von Hausärzt:innen, Apotheken oder Krankenhäusern in der Einrichtung zusammenlaufen, anonymisiert und an Gesundheitseinrichtungen, Wissenschaftler:innen, Gesundheitsbehörden und die Öffentlichkeit weitergegeben werden. „Die Daten werden automatisch erhoben. Wer das nicht möchte, muss aktiv widersprechen“, erklärt Senior Global Policy Advisor Kenneth. B. Ahrensberg, Danish Health Data Authority.


Lost in Translation
Das Königreich kann in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen Bestnoten vorweisen, doch auch im Musterland läuft nicht immer alles glatt. Die fünf Regionen des Königreichs können – ähnlich wie Deutschland auf Länderebene – selbstständig entscheiden, welche Health-IT-Lösungen sie einführen wollen. Das führte dazu, dass es ein System in den zwei östlichen Regionen und ein anderes in den drei anderen gibt. Die Folge: Daten können nicht immer nahtlos ausgetauscht werden.


Ein weiteres Problem offenbarte sich bei der Implementierung der Lösungen, nämlich als ein IT-System nicht richtig an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst wurde. Unrühmliches Beispiel dafür wurde der Fall Epic. 2012 gründeten die östlichen Regionen Hovedstaden und Sjælland die Programmorganisation „Sundhedsplatformen“, verantwortlich für die Beschaffung, Entwicklung und Implementierung eines neuen EHR-Systems. Nach der Ausschreibung erhielt 2013 die amerikanische Epic Systems Corp. den Zuschlag. Das Ganze entwickelte sich zu einem „Epic fail“, denn der Versuch, daraus eine dänische Version der amerikanischen Epic electronic health record zu machen, scheiterte zunächst krachend. Ursprünglich sollte die Technik Ärzt:innen den Austausch von Patientendaten und die Kostenkontrolle erleichtern.


Doch statt der erhofften Erleichterungen gab es nur Probleme: Die medizinischen Fachausdrücke von Epic ließen sich nicht oder nur fehlerhaft ins Dänische übersetzen, amerikanische Medizinspezialisierungen, die in Dänemark nicht existieren, wurden weiter angezeigt, und so mancher Chirurg erhielt etwa den Vorschlag, statt des linken Beins, doch das „richtige“ zu amputieren. Es wurden langwierige Versuche unternommen, die Probleme zu lösen, doch es stellte sich heraus, dass die Übersetzungsprobleme viel tiefer gingen: Epics Design war schlicht nicht für die medizinische Kultur Dänemarks vorgesehen. Fast wäre die 500-Millionen-Dollar-Implementierung von Epic in Ostdänemark gescheitert. Das Beispiel zeigt, dass ein IT-System, das die Zusammenarbeit verschiedener Nutzer erfordert, auch von der Kultur abhängt, in der diese Zusammenarbeit stattfindet.


Doch die Dän:innen sind lernfähig und fest entschlossen, ihr Gesundheitssystem für kommende Herausforderungen fit zu machen. Vor ein paar Jahren wurde bereits ein großer Schritt mit einem Krankenhauszentralisierungsprojekt gemacht. Dazu gehörte die Schließung zahlreicher kleiner Häuser zugunsten sogenannter Superkrankenhäuser. Die Idee dahinter war, Kompetenzen zu bündeln, mit dem Ergebnis, dass es nun nur noch 18 große Klinikzentren gab, von denen einige komplette Neubauten waren. Um diese Zentren herum entstanden Ambulanzen, die für kleine bis mittelschwere Erkrankungen zuständig sind und die Zugriff auf die diagnostischen Infrastrukturen der Großkliniken erhielten. Umgerechnet 5,7 Milliarden Euro ließ sich Dänemark diesen Radikalumbau kosten. Dabei floss ein Fünftel des Geldes allein in technische Modernisierung, hochmoderne Apparate und digitale Vernetzung.


Krankenhäuser groß wie eine Stadt
Ein Beispiel für ein Superkrankenhaus ist das Universitätskrankenhaus Aarhus, das größte dieser Art: 1 150 Betten, um die 10 000 Mitarbeiter:innen in 44 Abteilungen, mehr als 80 000 Operationen im Jahr. Die Planer legten vor allem auf eine patientenorientierte Versorgung wert, sie wollten mehr Transparenz im Krankenhausbetrieb, mehr Effizienz in medizinischen und betrieblichen Prozessen und in der Ressourcennutzung. Das ist allerdings nur mit einem massiven Technikeinsatz zu bewältigen. Ein Beispiel: Um Ressourcen besser zu nutzen, wurde eine Struktur implementiert, die auf einer Ortung (Tracking & Tracing) aller Personen, Objekte und Geräte beruht. Innerhalb dieser Infrastruktur gibt es Dienste, die es beispielsweise erlauben, medizinische Geräte wie etwa ein mobiles Ultraschallgerät zu lokalisieren und entweder zeitnah an den gewünschten Einsatzort zu bringen oder die Behandlung eines Patienten direkt in dem Raum, in dem sich das Gerät befindet, zu planen. Auch die Verteilung, Wartung und Reinigung der Geräte kann hierüber organisiert werden: So wird ein Bettenmanagement aufgebaut, das freie Betten lokalisiert, ihre Reinigung und Desinfektion steuert und Wartungsprozesse organisiert.


Die Superkrankenhäuser wurden nicht nur mit dem Ziel einer verbesserten Versorgung von Patient:innen gegründet, sondern auch, um Kosten einzusparen. Doch ganz so, wie man sich das vorgestellt hatte, lief es nicht. So schossen z. B. in Aarhus die Baukosten in die Höhe, was die Verantwortlichen zwang, an anderer Stelle zu sparen. Es traf das Personal, und das bei einer ohnehin schon dünnen Personaldecke. In der Folge beschwerten sich Pflegekräfte über einen zu hohen Arbeitsdruck, zu viel Bürokratie und zu wenig Zeit für die Patient:innen. Schließlich offenbarte die Zentralisierung selbst ihre Nachteile, denn durch die Krankenhausschließungen müssen heute viele Dän:innen mehr als 30 Kilometer weit zur nächsten Klinik fahren. Und nicht zuletzt zeigte Corona, welche Folgen die Reduzierung der Bettenzahl haben kann. „In der Pandemie hat uns das Probleme gemacht, weil wir plötzlich viel mehr Betten brauchten“, berichtet Ahrensberg.


Die Anpassung des Gesundheitswesens läuft derweil weiter. „Aber über Umstrukturierungen weiter Kosten zu sparen, ist im Grunde kaum noch möglich“, sagt Peter Søgaard-Pedersen, Director of DI Life Science. DI Life Science ist ein Zusammenschluss führender Pharma-, Gesundheits-, Medizin- und Biotech-Unternehmen in Dänemark und setzt sich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Life-Science-Branche ein. Dänemarks Regierung will eine engere Zusammenarbeit in Form von Public Private Partnerships, um die Prävention zu stärken und chronische Krankheiten besser zu managen. „Am Ende soll mehr Gesundheit für unser Geld herauskommen“, fügt Søgaard-Pedersen an. Dafür wünschen sich die Unternehmen u. a. Finanzierungsmodelle, die bei Neuentwicklungen das finanzielle Risiko auf mehrere Schultern verteilen.


Remote Monitoring bei chronischen Erkrankungen
Angesichts einer steigenden Anzahl von chronisch Erkrankten sowie einer immer älter werdenden Gesellschaft hat sich Dänemark schon früh um Ansätze für deren Versorgung mittels Remote Monitoring und Telemedizin bemüht. „Es soll alles dafür getan werden, um Patient:innen aus den Kliniken rauszuhalten“, erklärt PhD Sarah Wadmann, Senior Researcher am  VIVE Danish Center for Social ­Science Research, den Gedanken hinter den Maßnahmen.


Wadmann berichtet von dem groß angelegten Projekt „TeleCare Nord“, das von 2012 bis 2015 in der Region Nordjütland durchgeführt wurde. Dabei arbeiteten die Region Norddänemark, elf assoziierte Gemeinden, die Universität Aalborg und lokale Ärzte zusammen, um die Vorteile einer telemedizinischen Versorgung von Patient:innen mit COPD zu untersuchen.


Die an COPD erkrankten Teilnehmer:innen erhielten ein TeleKit, das sie in die Lage versetzte, selbst Daten über ihren Zustand zu messen und diese digital an die Behandler:innen zu übermitteln. Darüber hinaus fanden wöchentliche Videokonsultationen statt, bei denen sich die Patient:innen mit geschulten Pflegekräften austauschen konnten. Der virtuelle Kontakt wurde durch physische Besuche zu Hause oder im Krankenhaus unterstützt. Während des Projekts wurden 1 124 Betroffene telemedizinisch betreut.


Die Auswertung des Projekts zeigte, dass gerade bei Patient:innen mit sehr schwerer COPD die wirtschaftlichen Vorteile am größten waren: TeleCare Nord schätzte, dass die potenziellen wirtschaftlichen Gewinne dieser speziellen Gruppe für jede:n Betroffene:n in den Gemeinden und Regionen jährlich 7 000 DKK betrugen, wobei die Kostensenkung hauptsächlich durch weniger Krankenhausaufenthalte entstand.
Ein Wermutstropfen blieb jedoch, denn die Ergebnisse offenbarten auch, dass eine Implementierung der Telemedizin für alle Patient:innen mit COPD mit erheblichen Kosten (nach Schätzungen von TeleCare Nord mit bis zu 5 400 DKK jährlich pro Patient:in) verbunden wäre. Der Grund: Die Ausrüstung der Erkrankten mit der nötigen Hard- und Software ist teuer. Außerdem reduzierte sich dadurch die Zahl der Krankenhausaufenthalte nicht in allen Patientengruppen. Dennoch hat sich die dänische Regierung zum Ziel gesetzt, allen relevanten Personen, die an COPD erkrankt sind, Telemedizin anzubieten. Die Geister scheiden sich allerdings noch daran, aus welchen Töpfen das bezahlt werden soll. Fest geplant ist zudem, das Remote Monitoring auf andere chronische Erkrankungen auszuweiten, begonnen werden soll mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und auch für die Behandlung psychischer Krankheiten verspricht man sich gute Ergebnisse.


Nicht alles läuft in Sachen Digitalisierung in Dänemark reibungslos, aber sicher ist, dass das Königreich in vielen Bereichen weiter ist als Deutschland. Umgekehrt zeigen die Dänen Interesse am deutschen Konzept „­DiGA auf Rezept“ – warum also nicht vom Nachbarn lernen? Das Interesse ist auf beiden Seiten groß. Das zumindest bekundeten im November letzten Jahres die Verantwortlichen bei einer Konferenz anlässlich des dänischen Staatsbesuches in Deutschland.

 

Digitale Lösungen im dänischen Gesundheitswesen
In Dänemark gibt es viele Lösungen, die darauf abzielen, Krankenhauseinweisungen und Pflege effektiver zu gestalten sowie die Kontakte mit Hausärzt:innen zu verringern. Eine Reihe von Beispielen:


Qlife Home Monitoring
Das Start-up bietet eine Lösung, um Nierenpatient:innen das Leben zu erleichtern. Ärzt:innen der onkologischen Abteilung des Herlev-Krankenhauses kooperieren mit der Beschaffungsabteilung der Hauptstadtregion Kopenhagen und Qlife. Gemeinsam werden Technologien erprobt, um Patient:innen eine Testung ihres eigenen Blutes im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Die Erkrankten sollen bestimmte Biomarker messen. Die Ergebnisse werden automatisch per Smartphone an die Hausäzt:innen übermittelt. Das soll Krankenhausaufenthalte reduzieren.

Liva Healthcare Plattform
Mehrere dänische Kommunen haben eine von Liva Healthcare entwickelte digitale Plattform angeschafft. Die Plattform soll von Menschen mit Erkrankungen wie
Diabetes, COPD, Fettleibigkeit oder Herzkrankheiten genutzt werden. Über das
digitale Gesundheitsprogramm Liva erhalten Betroffene Zugang zu einem Gesundheitscoach, der ihnen professionelle Unterstützung bietet, um eine dauerhafte
Verhaltensänderung zu bewirken. Die Nutzer:innen können ihre Fortschritte in Echtzeit mittels der Liva-App nachverfolgen und sich mit anderen Betroffenen
austauschen.

Coloplast Care
Coloplast bietet eine Lösung zur Unterstützung von Patient:innen mit einem
Stoma. Die Lösung umfasst sowohl personalisierten Support als auch Lieferungen an die Nutzer:innen. Patient:innen erhalten Hilfestellung bei der Auswahl von Produkten, die an die persönlichen Bedürfnisse angepasst sind. Schließlich können Verbraucher:innen auch gleich eine Lieferung der ausgesuchten Produkte veranlassen. Coloplast arbeitet mit dänischen Kommunen und Patient:innen zusammen, um die Produktauswahl ständig an die Bedürfnisse der Patient:innen anzupassen. Ziel ist, Komplikationen bei der medizinischen Versorgung von Stoma-Betroffenen zu verbessern und Wiedereinweisungen ins Krankenhaus zu verringern.

LEO Innovation App
Mit der App soll Skabies, eine juckende Hauterkrankung, schneller erkannt werden. Dazu hat das Pharmaunternehmen LEO eine telemedizinische Triage-Lösung entwickelt, die den Nutzer:innen helfen soll, die Wahrscheinlichkeit einer Skabies-Erkrankung festzustellen. Dazu machen Patient:innen ein Bild der betroffenen Hautstelle und senden es ins Krankenhaus. Dort wird es durch einen Dermatologen oder eine Dermatologin begutachtet. Mit der App kann eine größere Anzahl von Fällen diagnostiziert werden, was zu einer Reduzierung der Besuche bei den Hausärz:innen beitragen soll.