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» Der Change-Prozess ist noch nicht beendet «

E-HEALTH-COM hat Markus Leyck Dieken von der gematik und BMG-Chef-Architekt Christian Klose in Berlin getroffen: Wohin steuert das digitale deutsche Gesundheitswesen?

Foto: © Dirk Hasskarl / Fotografie hasskarl.de

Herr Leyck Dieken, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat nach Amtsantritt die Digitalisierung zu einer Priorität erklärt und in diesem Zusammenhang die gematik neu aufgestellt. Sie sind jetzt seit acht Monaten erster Geschäftsführer der „neuen“ gematik: Wie ist Ihre Zwischenbilanz?


Leyck Dieken: Wir als gematik haben in den vergangenen Monaten große Veränderungen herbeigeführt. Wir haben die Gremienstruktur gestrafft und die Zahl unserer Ausschüsse von sieben auf drei reduziert. Das sind ein Aufsichtsgremium, ein Gesellschafterkreis, der die Funktion eines runden Tischs zur Digitalisierung einnimmt, und ein technischer Ausschuss. Zudem haben wir den Arbeitsmodus der gematik komplett verändert. Statt mit Lastenheften, entwickeln wir unsere Spezifikationen jetzt iterativ in mehreren Runden und auch in einen viel größeren Kommentierungskreis hinein, der weit über die Gesellschafter hinausgeht. Zu der Umstrukturierung gehört auch die Streichung von Hierarchieebenen, um agiler arbeiten zu können. Alles geht einher mit einer massiven Außenwendung der gematik: Wir laden viele Menschen ein und fahren zu vielen Projekten hin. Warum? Weil wir die Einschätzung aller Beteiligten kennenlernen wollen. Das können die Mitarbeiter der gematik aber nur, wenn sie die Versorgungszonen auch kennen. Und bekanntlich haben wir auch Namen und Markenauftritt geändert, was ausdrücklich keine Kosmetik ist, sondern signalisieren soll, dass wir keine Behörde sind, sondern ein im Markt beteiligtes Unternehmen. Natürlich ist der Change-Prozess noch nicht beendet, aber wir merken, dass viele unserer rund 300 Mitarbeiter sich eingeladen fühlen, auf die neuen Speedboote zu springen und dafür zu sorgen, dass wir in Bewegung kommen.

 

Herr Klose, wie ist die Sicht der Initiatoren dieser Veränderungen? Womit sind Sie glücklich, wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?
Klose: Was uns sehr gut gefällt, ist die Geschwindigkeit, die die gematik an den Tag legt. Es werden jetzt Türen geöffnet statt im stillen Kämmerlein Spezifikationen auszutüfteln. Entscheidend ist, schon während der Erstellung der Spezifikation, im besten Fall schon davor, mit den Akteuren zu reden. Dann entstehen auch Lösungen, die tatsächlich vorhandene Probleme lösen. Mir ist wichtig: Wir sind als BMG nicht Mehrheitsgesellschafter geworden, um das Zünglein an der Waage zu spielen, sondern um die Entwicklung zu beschleunigen und den Nutzen für die Patientinnen und Patienten noch stärker in den Fokus zu rücken.


Die gematik bearbeitet eine ganze Reihe von Themen parallel. Vorneweg: Wie ist der Stand beim Basis-Rollout?
Klose: Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Derzeit sind bundesweit zwischen 80 und 90 Prozent der niedergelassenen Ärzte angeschlossen, in einzelnen Bundesländern, wie etwa Brandenburg, und bei den Zahnärzten sind es circa 95 Prozent. Auch in Bayern und Baden-Württemberg liegen wir mittlerweile bei über 80 Prozent. Uns ist klar, dass es Einzelne geben wird, die sich verweigern werden, aber das ist die absolute Minderheit. Viele Ärzte und Zahnärzte haben große Lust, die digitale Transformation gemeinsam mit uns zu gestalten. Und auch die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sind offen dafür.


Ein Flaschenhals ist derzeit das PTV3-Update der Konnektoren zu E-Health-Konnektoren. Der PDSG-Entwurf sieht vor, dass Ärzte ab Inkrafttreten des Gesetzes ein Jahr lang für Notfalldaten eine doppelte Vergütung erhalten. In Anbetracht dessen, dass bisher nur ein E-Health-Konnektor vorläufig zugelassen ist und jeder Konnektorhersteller vor der endgültigen Zulassung Feldtests machen muss: Wird dieser Anreiz überhaupt einer nennenswerten Zahl an Ärzten zugute kommen?
Klose: Anfang März ist der erste Konnektorhersteller in die Feldtests für Notfalldaten und E-Medikationsplan gegangen. Wir sind mit allen Konnektorherstellern in Gesprächen und gehen davon aus, dass alle das für KOM-LE bzw. Notfalldaten/E-Medikationsplan nötige PTV3-Update zum 1. Juli anbieten können. Wir gehen auch davon aus, dass das für die elektronische Patientenakte nötige PTV4-Update rechtzeitig umgesetzt sein wird. Es geht bei diesem Thema um Zuverlässigkeit, und aus unserer Sicht haben die meisten Hersteller das jetzt erkannt.


Wie sieht es aufseiten der Primärsystemhersteller aus? Ohne die kein KOM-LE und keine Notfalldaten.

Leyck Dieken: Wir haben gerade ein Industrieforum für die Hersteller der PVS-Systeme zu den Themen KOM-LE und NFDM veranstaltet und über 200 Teilnehmer empfangen. Dabei haben wir klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass KOM-LE schon im Digitale-Versorgung-Gesetz als einzig vertrauenswürdiger Übertragungsweg definiert wurde. Das heißt: Auf Industrieseite eine abwartende Haltung einzunehmen, ist völlig obsolet.


Wie sieht es bei Apotheken und Krankenhäusern mit dem Basis-Rollout aus?

Klose: Bei den Apotheken steht der Rollout in diesem Jahr an. Es gibt mittlerweile auch die ersten Anbieter von Rechenzentrumskonnektoren für Apotheken und auch für Krankenhäuser. Das heißt: Es bewegt sich etwas im Markt, und das begrüßen wir sehr. Zusätzlich überlegen wir mithilfe der gematik, wie künftige Konnektoren aussehen könnten. Die bestehen dann gar nicht mehr aus spezieller Hardware. Solche Software-Konnektoren werden wir auf Dauer brauchen, damit wir zukunftsfähig sind.

 

Sie haben kürzlich bei einer Veranstaltung in Potsdam gesagt, dass keine neue Generation Hardware-Konnektoren mehr ausgerollt wird. Heißt das, nach dem PTV4-Update ist Schluss?
Klose: Nein. Ich sage explizit nicht, dass nicht noch weitere Updates möglich sind. Solange das Zertifikat der Hardware-Konnektoren nutzbar ist, macht es Sinn, den Konnektor zu nutzen. Er ist ein sicherer Zugang in die Telematikinfrastruktur, und er wurde mit viel Aufwand entwickelt. Wir werden nicht morgen oder übermorgen andere Lösungen haben. Aber es ist auch klar, dass wir uns gemeinsam mit der Industrie und den Leistungserbringern überlegen müssen, wie künftige Lösungen aussehen können. Wenn wir an den mobilen Einsatz der Telematikinfrastruktur durch Pflegekräfte oder Hebammen denken, liegt das doch auf der Hand.


Bei den Konnektor-Zertifikaten reden wir von dem Jahr 2023. Wie weit sind Sie bei den F&E-Aktivitäten zum Software-Konnektor konkret?
Leyck Dieken: Wir nennen es Software-Zugang. Es soll gar nicht erst die Assoziation an ein „Döschen“ wecken. Grundsätzlich geht es aber um weit mehr als nur diese Zugangstechnik. Wir reden perspektivisch über viele Systemwechsel, die wir in der Telematikinfrastruktur peu à peu einführen müssen. Denken Sie nur an die Limitierung des aktuellen Konnektors auf 25 MB, die spätestens dann nicht mehr funktioniert, wenn wir über Themen wie die forschungskompatible elektronische Patientenakte reden oder größere Datenmengen im Klinikumfeld übermitteln wollen. Aktuell sammeln wir die Anforderungen. Anschließend müssen wir zügig Konzepte entwickeln, damit wir 2023 eine moderne Lösung anbieten können.


Sie haben Hebammen und Pflegekräfte schon angesprochen: Der PDSG-Entwurf besagt, dass die gematik bis 30. Juni 2020 die Voraussetzungen für deren Anbindung an die TI schaffen muss. Warum muss das so schnell gehen? Gibt es schon konkrete Anfragen und Szenarien?
Klose: Wir haben hier ja bewusst eine freiwillige Anbindung ins Gesetz geschrieben, weil wir von vielen Akteuren angesprochen werden, die gerne erste Erfahrungen sammeln würden. Hebammen beispielsweise haben konkret den digitalen Mutterpass im Blick, der ja eine der nächsten Anwendungen der Telematikinfrastruktur werden soll. Auch aus der Pflege kommen viele Ideen. Ich denke, dass wir hier bald erste Projektszenarien haben könnten.


Was sind die Pläne für die Autorisierung des Zugangs gerade auch bei nicht verkammerten Berufen?

Leyck Dieken: Wir brauchen für die Hängepartie, die das eGBR – also das elektronische Gesundheitsberuferegister – bisher war, eine Lösung, und die scheint sich bei aller Vorsicht langsam auch abzuzeichnen. Die gematik wartet auf eine solche Lösung, damit sie autorisiert ist, Zugangsmöglichkeiten für weitere Heilberufler zu schaffen.


Klose: Die Bundesländer sind beim eGBR in der Verantwortung. Wir wollen den Ländern mit dem PDSG-Entwurf auch die Verantwortung für die Ausgabe der Institutionskarten, der SMC-B, geben, damit der Kartenherausgabeprozess sauber geregelt ist. Das zeigt: Uns ist das Thema Sicherheit auch an dieser Stelle sehr wichtig. Und Sicherheit beginnt natürlich damit, dass klar identifiziert wird, wer überhaupt Anspruch auf so eine Karte hat. Das können die Bundesländer am besten, weil sie viel näher dran sind.

 

Zur elektronischen Patientenakte (ePA): Was können Patienten bzw. Bürger im Jahr 2021 von der ePA erwarten, was sollten sie noch nicht erwarten?
Leyck Dieken: Die Einführung der ePA wird einen bedeutenden Schritt in der deutschen Gesundheitsversorgung darstellen. Schon in der ersten Stufe wird die ePA mehr leisten, als in den meisten öffentlichen Debatten aktuell deutlich wird. Bei der ePA geht es ja nicht nur darum, über einen begrenzten Behandlungszeitraum Dokumente von einem Arzt zum anderen zu transportieren. Viele wichtiger ist, dass ich als Patient eine Möglichkeit bekomme, Daten zu sammeln, die vielleicht erst viel später relevant werden. Wenn Sie zum Beispiel per Smartwatch ein EKG erzeugen, dann können Sie es künftig als PDF speichern. Damit lässt sich beispielsweise, wenn Sie irgendwann einmal mit Thoraxschmerzen in die Rettungsstelle müssen, die Frage beantworten, ob das Vorhofflimmern, das das EKG dort zeigt, schon früher bestand oder nicht. Das wird die ePA 1.0 ermöglichen, und das ist viel zu wenig bekannt.


Kann ich als Patient auf die ePA 1.0 mobil zugreifen?
Klose: Ja. Ab 2021 müssen die Krankenkassen ihren Versicherten eine ePA anbieten. Und sie müssen auch dafür sorgen, dass die Versicherten darauf mobil zugreifen können. Der Zugriff erfolgt über die elektronische Gesundheitskarte, die dafür mit einer NFC-Schnittstelle ausgestattet wurde. Neben diesem NFC-Weg waren uns alternative Zugangswege wichtig, um die Menschen in ihrer Lebenswelt abzuholen. Solche Alternativen werden technisch von den Anbietern umgesetzt. Zusätzlich schaffen wir eine Lösung für Menschen, die kein Smartphone haben oder es nicht nutzen wollen: Sie können in der Arztpraxis mit ihrer PIN die Zugriffsberechtigung erteilen.


Stichwort Zugriffssteuerung: Wie wird das aussehen? Ein feingranulares Rechtemanagement wird ja erst die zweite ePA-Generation, die ePA 2.0, haben.
Leyck Dieken: Es wird oft gesagt, dass die ePA 1.0 bei den Zugriffen einem Alles-oder-Nichts-Prinzip folge. Das ist nicht der Fall. Die Patienten haben Wahlmöglichkeiten. Zum einen gibt es unterschiedliche zeitliche Optionen. Voreingestellt ist eine Zugriffsdauer von einer Woche, die auf einen Tag reduziert oder auf bis zu 18 Monate verlängert werden kann. Zusätzlich wird die ePA 1.0 mit einem „Körbe-Modell“ arbeiten, bei dem der Patient je nach Korb unterschiedliche Zugriffsrechte festlegen kann. Zudem gibt es eine Protokollfunktion, bei der jeder Dokumentenzugriff zwei Jahre lang gespeichert und für den Patienten nachvollziehbar gemacht wird.


Klose: Und dafür gibt es auch gute Vorbilder: In der Schweiz zum Beispiel gibt es drei verschiedene Körbe mit unterschiedlichen Geheimhaltungsstufen – das entspricht etwa dem, was die ePA 1.0 auch können wird. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass allein der Patient Herr über seine Daten ist. Er entscheidet: Will ich überhaupt eine Akte? Was soll da rein? Wer soll darauf zugreifen? Das wird in Deutschland von Anfang an der Fall sein.


Inwieweit werden bei der Konzeption des feingranularen Rechtemanagements breitere Bevölkerungskreise einbezogen?
Leyck Dieken: Die gematik wird im Laufe des Jahres den Austausch mit Patientenvertretern weiter intensivieren. Dabei steht die Nutzerführung in der Patientenakte im Mittelpunkt. Es wird ab der ePA 2.0 das feingranulare Rechtemanagement auf Dokumentenbasis geben. Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt aber, dass nur ein einstelliger Prozentsatz der Nutzer das auch anwendet. Hier wollen wir gemeinsam mit den Patienten zu einer optimalen Lösung kommen, die für den Normalbürger nachvollziehbar und praktikabel ist.


Die Hightech-Strategie der Bundesregierung redet von einer forschungskompatiblen ePA bis 2025. Im PDSG-Entwurf ist jetzt als ein Schritt in diese Richtung eine Datenspende angelegt. Gleichzeitig hat bereits das DVG die Forschung mit Abrechnungsdaten der Krankenkassen auf neue Füße gestellt. Wie grenzen sich diese Forschungsszenarien voneinander ab bzw. wo finden sie zusammen?
Leyck Dieken: Wir bezeichnen diese Stufe als ePA 3.0, also noch eine ePA-Generation weiter in die Zukunft. Damit sprechen wir bei angenommen jährlichen Updates von etwa 2023. Um den Anspruch der Forschungskompatibilität zu erfüllen, müssen wir die ePA weiterentwickeln. Da geht es um strukturierte Daten, semantische Standards und um die Umsetzung von Einwilligungen – je nachdem, welcher Art von Analysen der Patient im Rahmen seiner Datenspende zugestimmt hat. Das wird viel Anpassung der Telematikinfrastruktur und der ePA erforderlich machen, die in enger Abstimmung unter anderem mit der Medizininformatik-Initiative erfolgen muss. Prinzipiell sind wir der Auffassung, dass die Verantwortung für Daten, die für die Forschung freigegeben werden, in eine andere Hand gehört. Das Stichwort ist hier Forschungsdatenzentrum bzw. Treuhänderstelle.


Klose: Die im DVG geregelte Forschung mit GKV-Abrechnungsdaten und die im PDSG-Entwurf angelegte Forschung mit ePA-Daten sind zwei unterschiedliche Dinge. Mit Abrechnungsdaten wurde bisher auch schon geforscht, diese Daten werden dem Forschungsdatenzentrum jetzt vor allem schneller zur Verfügung gestellt. Da geht es nicht um Versorgungsdaten, sondern um Abrechnungsdaten, die bei den Krankenkassen eh schon anfallen. Im PDSG-Entwurf ist zusätzlich vorgesehen, dass Patienten ihre Versorgungsdaten freiwillig der Forschung zur Verfügung stellen können. Deswegen sprechen wir hier von einer Datenfreigabe. Auch dafür kann und soll das Forschungsdatenzentrum als Treuhänder genutzt werden. Das wird aber nicht der einzige Weg sein, Daten für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Es bleibt auch weiterhin möglich, seine Daten direkt über die informierte Einwilligung für ein bestimmtes Forschungsvorhaben oder bestimmte Bereiche der wissenschaftlichen Forschung bereitzustellen. Wenn wir es ernst meinen mit „Krebs bekämpfen“ und „personalisierte Medizin einführen“ und „seltene Krankheiten erforschen“, dann brauchen wir Daten für die Forschung. Die Menschen wissen das auch: Umfragen zeigen, dass sehr viele Bürgerinnen und Bürger bereit sind, ihre Daten für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen.


Eine wichtige Voraussetzung für die Forschung, aber auch generell für eine effiziente digitale Vernetzung in der Medizin, sind strukturierte Datensätze, die im Zusammenhang mit der ePA unter der Federführung der KBV als sogenannte medizinische Informationsobjekte (MIOs) entwickelt werden. Wie finden diese MIOs den Weg in die ePA bzw. den gematik-Prozess?

Leyck Dieken: Die gematik ist im regelmäßigen Austausch mit der KBV-MIO-Gruppe, um das, was in den MIO-Standards enthalten ist, übereinstimmend technisch abzubilden. An der Stelle sei angemerkt, dass es ein Riesenfortschritt ist, dass sich die deutschen Laborärzte Anfang des Jahres auf eine einheitliche Terminologie, nämlich LOINC, verständigt haben, und dass die KBV das bis Ende dieses Jahres in einen Standard überführen will. Wir in der gematik müssen dafür sorgen, dass wir es bis zum nächsten ePA-Update schaffen, diese voraussichtlich 300 bis 350 meistbenutzten Laborwerte auch in der ePA abzubilden. Damit werden wir dann für einen relevanten Teil der ePA die Möglichkeit zu einer strukturierten Analyse anbieten können. Umgekehrt bedeutet das, dass zahlreiche bislang isoliert arbeitende Apps, etwa in der Diabetologie, in der übernächsten ePA-Version viel enger angebunden werden können. So werden existierende Insellösungen zunehmend in ein gemeinsames Ökosystem überführt.


Und die „Altlasten-MIOs“ wie Notfalldaten und elektronischer Medikationsplan werden schrittweise an die neue, einheitlich strukturierte Welt angenähert?
Klose: Wir wollen den Notfalldatensatz weiterentwickeln zu einem sogenannten „electronic Patient Summary“, das ist eine Art Mini-Akte. Damit passen wir uns internationalen Standards an. Aber vor allem bringt es Ärzten einen echten Mehrwert. Wenn ein neuer Patient zu ihnen in die Praxis kommt, dient diese „Patient Summary“ als hervorragende erste Orientierung für den Arzt – natürlich nur, wenn der Patient das möchte.


Die gematik hat im Zusammenhang mit dem Thema Standardisierung im Herbst unter dem Stichwort IOP 2.0 ein neues Interoperabilitätsgremium ins Leben gerufen, das sich im Dezember konstituiert hat. Welche Rolle soll dieses Gremium spielen?

Leyck Dieken: Das ist eine ganz entscheidende Neuerung, die in vielerlei Hinsicht benötigt wird und mit der wir einen Weg beschreiten, den wir konsequent weitergehen werden. Das IOP 2.0 zielt darauf, in Deutschland internationale Standards zu etablieren und voranzutreiben. Wir werden nicht auf Dauer mit einem rein auf deutschen Standards basierenden System vorangehen können. Es kann nicht sein, dass einige wenige Anbieter Strukturen zementieren, die in keinem anderen Land der Welt existieren. So entsteht auch kein Markt. Deswegen haben wir das Dialogforum IOP 2.0 geschaffen, um uns auf Standards zu einigen und um die Expertise, die wir in Deutschland auf diesem Gebiet haben, für die Telematikinfrastruktur nutzbar machen zu können. Das Ganze ist aktuell als mehrstufiger Prozess mit einem offenen Kreis und einem Koordinierungsrat konzipiert, an dem auch das BMG beteiligt sein wird und in dem die wichtigsten Stimmen vertreten sind. Am Ende sollen klare Vorgaben stehen, auf die letztlich auch die Industrie wartet, insbesondere die mittleren und kleineren Unternehmen, die unter den derzeitigen Bedingungen benachteiligt sind.


Ein Schritt in die internationale Standardwelt ist auch die Mitgliedschaft bei SNOMED International, die Deutschland jetzt doch anstrebt. Wie wird die Einführung von SNOMED CT konkret ablaufen?

Klose: Das Bundesministerium für Forschung hatte ja bereits die Möglichkeit geschaffen, dass die Medizininformatik-Initiative und auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zur Definition ihrer MIOs SNOMED CT nutzen können. Wir sammeln also schon erste Erfahrungen, sodass wir dann mit der Vollmitgliedschaft als Bundesrepublik Deutschland darauf aufbauen können. Wir sind hier mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bzw. dem Deutschen Institut für
Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) und der KBV in engem Austausch. Was die Definition der MIOs und damit auch die Arbeit mit SNOMED CT angeht, machen wir mit der KBV derzeit sehr gute Erfahrungen. Dieser Prozess wird von der KBV sehr ernst genommen. Wenn ich an die Widerstände denke, die es im TSVG-Prozess gerade in diesem Punkt gab, dann illustriert das einmal mehr, wie wichtig es ist, dass wir im deutschen Gesundheitswesen klare Verantwortlichkeiten schaffen.


Mit der Mitgliedschaft ist es ja nicht getan. SNOMED CT muss übersetzt werden, es muss gepflegt werden. Das passiert beim DIMDI bzw. BfArM?
Klose: Wir haben bereits im PDSG-Entwurf für die Pflege von SNOMED CT fünf Stellen im DIMDI/BfArM vorgeschlagen. Ich kann versichern, dass SNOMED CT der BfArM-Leitung eine Herzensangelegenheit ist und sehr ernst genommen wird.


Wird das alles dazu führen, dass Deutschlands Stimme beim Thema E-Health auch auf europäischer Ebene künftig ernster genommen wird als bisher? Wir stehen ja kurz vor einer europäischen Ratspräsidentschaft, die sich dazu anbieten würde, ein bisschen Strecke gutzumachen.
Leyck Dieken: Das denke ich schon, und das ist auch dringend nötig. Die gematik ist regelmäßig bei den Ausschusssitzungen der Europäischen Kommission präsent. Dabei sitzen wir bisher zwar mit am Tisch, werden aber nicht angespielt, weil wir keine brückenbildenden Signale aus der Telematikinfrastruktur herausgeben. Doch ohne diese können wir nicht mitgestalten. Es geht dabei nicht nur um Anwendungen wie das E-Rezept oder die „Patient Summary“ für Mallorca-Touristen, sondern um das gemeinsame Nutzen von Wissensressourcen. Denken Sie nur an das stärker ausgeprägte Registerwesen in vielen anderen europäischen Ländern. Wenn wir es schaffen, Brücken zwischen den Mitgliedsstaaten zu bauen, dann profitieren auch hierzulande die Patienten massiv. Die Etablierung eines „National Contact Points“ als Anknüpfungspunkt für das europäische Datennetzwerk ist für uns eine Beitrittsgeste in den europäischen Club.


Klose: Große Chancen liegen aus unserer Sicht in der klugen Nutzung von Daten. Wir wollen einen europäischen Datenraum schaffen, in dem sich jene juristischen und kulturellen Werte spiegeln, auf denen auch die Datenschutz-Grundverordnung basiert. Wir wollen die Ratspräsidentschaft nutzen, um den grenzüberschreitenden Datenaustausch zu fördern. Das beginnt natürlich im eigenen Land, wir müssen nach innen klarmachen, welche enormen Vorteile ein Datenaustausch mit dem Rest Europas bringt. Ein konkreter Anwendungsfall, an dem das durchdekliniert werden könnte, ist zum Beispiel die Genominitiative, wo es in einigen europäischen Ländern ja bereits sehr gute Erfahrungen gibt. Es wird jetzt darum gehen, diese Erfahrungen zu nutzen, um zu gemeinsamen, übergreifenden Standards zu kommen.