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Digitale Helfer für mehr Gesundheitskompetenz

Mehr Eigenverantwortung gilt als einer der Schlüssel, damit ein Gesundheitswesen mit  den Herausforderungen des demografischen  Wandels fertigwird. Doch Eigenverantwortung erfordert Gesundheitskompetenz, und damit ist  es nicht zum Besten bestellt. Können Apps und Chatbots helfen, die Gesundheitskompetenz zu verbessern?

Bild: © tarasov_vl – stock.adobe.com, 1086823668, Stand.-Liz.

Jeder Mensch trifft täglich, mal bewusst, oft auch unbewusst, Entscheidungen zu seiner Gesundheit. Viele dieser Entscheidungen basieren auf seinem vorhandenen (Un-)Wissen, frei zugänglichen Informationen oder auf der Beratung mit Angehörigen und Experten. Die Fähigkeit, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und anzuwenden, bezeichnet man als Gesundheitskompetenz.


Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gewinnt mit dem demografischen Wandel zunehmend an Bedeutung. Für unser Gesundheitssystem können die Entscheidungen der Menschen in der Rolle als Versicherte auf die Kostenentwicklung und Belastung der Leistungserbringer positive und negative Effekte ausüben. Je höher die Gesundheitskompetenz, desto besser treffen Menschen richtige Entscheidungen für sich, reduzieren ihre Risiken, sind durchschnittlich gesünder, erkranken seltener und vermeiden unnötige Untersuchungen und Behandlungen. Trotz einer Vielzahl und Vielfältigkeit an Informations- und Beratungsangeboten ist die durchschnittliche Gesundheitskompetenz in Deutschland auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz ist daher essenziell für den demografischen Wandel, da in der Zukunft zunehmend weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, während die Nachfrage zunimmt.


Eine aktuelles Projekt am Zentrum für Telemedizin Bad Kissingen e.V. (ZTM) möchte einen Teil der Lösung mithilfe einer innovativen App abbilden: Anhand  der Dwin-App (www.dwin.health) sollen sich Benutzer:innen auf einfache und spielerische Weise mit ihrem Lebensstil und gesundheitlichen Risiken befassen.  Die App wird im Auftrag der Stiftung Innovative Gesundheitsversorgung und einem privaten Sponsor entwickelt und betrieben. Somit liegt ein Non-Profit-Ansatz zugrunde, der auf gesellschaftlichen Mehrwert und Unabhängigkeit von Einzelinteressen ausgerichtet ist. 


Ein interdisziplinäres Team aus Gesundheitswissenschaftler:innen, Mediziner:innen, Informatiker:innen und Redakteur:innen beschäftigte sich über drei Jahre mit der Frage, wie die Dwin-App gestaltet sein muss, um die Gesundheitskompetenz steigern zu können. Die Zielgruppe wurde auf technisch-affine Menschen jeder Altersgruppe fokussiert. 


Das Ergebnis ist ein digitaler Begleiter,

  • der Gesundheitswissen vermittelt,
  • Gesundheitschecks anbietet,
  • Fragen beantwortet und
  • Anleitungen gibt. 

 

 

Die Dwin-App besteht aus folgenden Bereichen:

  • Dwin: Mit dem Dwin, dem digitalen Zwilling, können Nutzer:innen ihre Gesundheitsdaten (z.B. Maße, Erkrankungen, Psyche, Lebensstil, Risiken) virtuell abbilden, analysieren und personalisierte Empfehlungen erhalten. Der digitale Zwilling hilft dabei, Gesundheitsinformationen zu strukturieren, Veränderungen zu überwachen und fundierte Entscheidungen zu treffen.

  • Projekte: Projekte enthalten Lerneinheiten, Quiz und Checklisten mit vielen persönlichen Tipps und Tricks. In spielerischer Form können Nutzer:innen sich zu den wichtigsten Gesundheitsthemen wie Vorsorge, Prävention und Gesundheitsrisiken informieren und dabei lernen, mit Risiken richtig umzugehen.

  • Buddy: Der KI-LLM-basierte Chatbot „Buddy“ erklärt medizinische Sachverhalte in einfacher Sprache und geht auf individuelle Fragen der Nutzer:innen ein. Alle verwendeten Inhalte basieren auf wissenschaftlichen Grundlagen und medzinischen Leitlinien. 


Studie untersuchte Gesundheitskompetenz 
Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie wurde untersucht, inwieweit sich die App auf die Gesundheitskompetenz der App-Nutzer:innen auswirkt. Die Untersuchung zielte darauf ab, herauszufinden, inwieweit die Nutzung der Dwin-App das Verständnis und den Umgang mit Gesundheitsinformationen beeinflussen kann. Dabei standen folgende Fragen im Fokus:

  • Kann die Dwin-App die allgemeine Gesundheitskompetenz der Nutzer:innen verbessern?

  • Welche Unterschiede bestehen zwischen verschiedenen Nutzergruppen der App?

  • Wie beeinflussen Nutzungsdauer und -häufigkeit der App die Gesundheitskompetenz?


Zur Beantwortung der Fragen wurde eine randomisierte kontrollierte Studie in Form einer Online-Befragung zu zwei Messzeitpunkten durchgeführt. Die Gesundheitskompetenz der teilnehmenden App-Nutzer:innen in der Interventions- und Kontrollgruppe wurde mithife des European Health Literacy Survey Questionnaire (HLS-EU-Q16) gemessen. Zusätzlich wurde das Nutzererlebnis mit dem User Experience Questionnaire (UEQ) bewertet und das allgemeine Nutzungsverhalten erfasst.


Positive Ergebnisse hinsichtlich des Gesundheitsverständnisses
Nach einer sechswöchigen Nutzungsphase zeigte sich bei den Teilnehmer:innen, die die Dwin-App verwendet hatten, eine deutliche Verbesserung ihrer Gesundheitskompetenz. Die Nutzer:innen konnten Gesundheitsinformationen besser verstehen und anwenden. Bei den Teilnehmer:innen ohne Zugang zur App gab es hingegen kaum Veränderungen.


Konkret wiesen Teilnehmer:innen der Kontrollgruppe (KG) zum ersten Erhebungszeitpunkt eine durchschnittliche Gesundheitskompetenz von 10,84 (SD = 3,09) Punkten auf. Die durchschnittliche Gesundheitskompetenz stieg zum zweiten Erhebungszeitpunkt leicht auf 11,55 Punkte an. Vor der Nutzung hatten 61 Prozent der Teilnehmer:innen eine limitierte Gesundheitskompetenz, was bedeutet, dass sie Schwierigkeiten hatten, Gesundheitsinformationen richtig einzuordnen und zu nutzen. Nach sechs Wochen mit der Dwin-App sank dieser Anteil auf 55 Prozent. Das heißt, mehr Nutzer:innen konnten Informationen besser verstehen und für ihre Gesundheit nutzen. Besonders positiv auffällig war der Anteil derjenigen mit einer guten Gesundheitskompetenz, der von 39 auf 73 Prozent stieg. 


Im Vergleich zur KG wiesen die Teilnehmer:innen der Interventionsgruppe (IG) zum ersten Erhebungszeitpunkt eine etwas höhere durchschnittliche Gesundheitskompetenz von 11,68 Punkten (SD = 3,02) auf. Nach der Nutzung der Dwin-App erhöhte sich dieser Wert zum zweiten Erhebungszeitpunkt auf 13,37 Punkte. Die Steigerung ist somit deutlich stärker als bei der Kontrollgruppe.

Nutzungsverhalten zeigt häufige Befragung des Chatbots
Bei der Interventionsgruppe wurde zudem das Nutzungsverhalten der App untersucht. Die Mehrheit (80 %, n=32) gab an, die App mindestens einmal pro Woche verwendet zu haben. Der Anteil an Teilnehmer:innen, die die Dwin-App gar nicht bzw. nur einmal zu Beginn verwendet haben, lag bei 10 Prozent (n=4).
Der Chatbot „Buddy“ spielte dabei eine zentrale Rolle. Über die Hälfte der Nutzer:innen verwendete ihn täglich. Er half dabei, komplexe medizinische Sachverhalte verständlich zu erklären und individuelle Fragen zu beantworten.


Damit kann die Annahme abgeleitet werden, dass bereits eine moderate Nutzung der App ausreichte, um positive Effekte zu erzielen. Es bestand allerdings kein direkter Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Nutzung und dem Ausmaß der Verbesserung. Das bedeutet, dass auch gelegentliche Nutzer:innen von den Vorteilen profitieren können.


Regulatorische Einordnung von Chatbots und Apps beachten
Ein oft diskutierter Punkt ist die regulatorische Einordnung solcher Chatbots und Apps. Dabei müssen die Anwendungen vor allem in Grenzfällen betrachtet werden, wie beispielsweise bei der Nachfrage nach konkreten medizinischen Handlungsempfehlungen. Fragen Nutzer:innen beispielsweise: „Kann ich die Dosis meines Antibiotikums halbieren, da ich es nicht vertrage?“, verweist der Chatbot „Buddy“ konsequent darauf, eine/n Ärztin/Arzt oder die Apotheke zu konsultieren.


Die App ist nicht als Medizinprodukt eingestuft und hat das Ziel, allgemeine Gesundheitsinformationen zu vermitteln und die Gesundheitskompetenz zu fördern. Diese klare Abgrenzung minimiert rechtliche Risiken und stellt sicher, dass die Nutzer:innen in kritischen Situationen an Fachleute verwiesen werden. In Bezug auf den EU AI Act werden Chatbots, auch für Gesundheitsthemen, mit einem begrenzten Risiko bewertet. Das bedeutet, dass die Funktionsweise der KI für die Benutzer:innen transparent erfolgen, aber nicht reglementiert werden muss.


Weitere Studien mit höheren Teilnehmerzahlen notwendig
Obwohl die Ergebnisse vielversprechend sind, können zunächst nur erste Annahmen zu den Effekten getroffen werden. Die Anzahl der Teilnehmer:innen war relativ gering, und der Beobachtungszeitraum beschränkte sich auf sechs Wochen. Daher sind weitere Studien notwendig, um die Ergebnisse zu bestätigen und langfristige Effekte zu untersuchen. Zudem könnten Untersuchungen mit unterschiedlichen Zielgruppen (z.B. Schwangere, chronisch erkrankte Menschen, Jugendliche) aufzeigen, für welche Menschen solche digitalen Gesundheits-Apps besonders geeignet sind.


Fazit
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass digitale Gesundheits-Apps einen Beitrag zur Föderung der Gesundheitskompetenz leisten können. Mit diesem Wissen gilt es, bestehende Apps wie „Dwin“ über verschiedene Maßnahmen an die entsprechenden Zielgruppen zu bringen. Eine enge Einbindung der Nutzer:innen bei der Entwicklung der Apps ermöglicht dabei, gezielt auf Vorstellungen und Wünsche einzugehen und eine App zu schaffen, welche die Bedarfe möglichst vieler Nutzer:innen erfüllt. Ziel aller Gesundheits-Apps sollte sein, Nutzer:innen auf dem Weg durch den „Gesundheitsdschungel“ zu validen Informationen zu führen. Erst dadurch können wir auch die Gesundheitskompetenz nachhaltig steigern. 

 

Autor:innen

Saskia Vogt, Hochschule Fulda, Studierende Public Health (M.Sc.)
Kontakt: saskia1vogt(at)gmail.com

 

Dr. Asarnusch Rashid,Geschäftsführer, Stiftung Innovative Gesundheitsversorgung
Kontakt: rashid@ztm.de

 

Kimberly May,Leitung Öffentlichkeitsarbeit, ZTM
Kontakt: may(at)ztm.de

 

Leonie Sellen, Redakteurin, ZTM
Kontakt: beratung@ztm.de