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Digitale Patienteneinbindung

Landauf, landab wollen Krankenhäuser, die etwas auf sich halten, ihre Patienten digital einbinden – ob über elektronische Gesundheitsakten der Krankenkassen, über hauseigene Portale, über beides zusammen oder auf ganz anderen Wegen. Ist das nun die nächste Sau im Dorf, oder wird es ein nachhaltiger Trend mit Disruptionspotenzial?

Quelle: © ELENABSL – Fotolia

Die Ankündigung gab es schon seit Herbst 2018, pünktlich zur DMEA 2019 wurde dann auch Vollzug gemeldet: Die Techniker Krankenkasse, die AOK Nordost und die Berliner Vivantes Kliniken haben sich zusammengesetzt und eine gemeinsame, einheitliche Schnittstelle für den Datenaustausch zwischen den Gesundheitsakten der beiden Krankenkassen und dem Klinikinformationssystem von Deutschlands größtem kommunalen Gesundheitsunternehmen entwickelt. Die Schnittstelle setzt in wesentlichen Komponenten auf IHE-Profile, und sie könnte mit Blick auf die anstehenden Harmonisierungsbemühungen bei den elektronischen Gesundheitsakten der Krankenkassen, Stichwort Migration in Richtung elektronische Patientenakten nach § 291a SGB V, wegweisend werden.


Goldgräberstimmung beim digitalen Patienten
Die Vivantes Kliniken sind nicht die einzigen, die sich elektronisch mit ihren Patienten austauschen wollen. Bei der diesjährigen Satellitenveranstaltung der GMDS im Vorfeld der DMEA beschäftigte sich ein von Dr. Pierre-Michael Meier von der ENTSCHEIDERFABRIK und Dr. Christoph ­Seidel, Städtisches Klinikum Braunschweig, geleiteter Workshop mit der Frage, inwieweit digitale Patientenanwendungen neue Geschäfts- und Versorgungsmodelle ermöglichen und welche Herausforderungen sich daraus für das IT-Management ergeben.


Seidel erinnerte daran, dass die meisten Landesärztekammern die beim Deutschen Ärztetag beschlossene Abschaffung des Fernbehandlungsverbots mittlerweile umgesetzt hätten, was nicht zuletzt Krankenhäusern neue Spielräume eröffne. Gleichzeitig gebe es weiterhin einen hohen Bedarf an Prozessoptimierung, der eine digitale Ansprache der Patienten ebenfalls attraktiv erscheinen lasse. Die IT-Unternehmen haben das erkannt: „Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wie gehen wir um mit der aktuellen Goldgräberstimmung?“, so Seidel.


Patient Relation Management mit digitalen Services

Was die unmittelbare Einbindung der Patienten in den medizinischen ­Datenfluss angeht, stünden die Krankenhäuser aktuell vor einem Problem, sagte Manfred Schmitz von der ­AgemoMed GmbH. Denn die derzeit im Aufwind befindlichen Gesundheits-, künftig Patientenakten würden bei der vorgesehenen Betreiberstruktur zu einer „Fassade“ der Krankenkassen. Sie scheiden damit Schmitz’ Auffassung nach als Kundenbindungs- oder auch Steuerungswerkzeug für Krankenhäuser weitgehend aus. Gleichzeitig mache es unter anderem die starke Hardware-Fixierung bei der Telematikinfrastruktur Kranken­häusern schwierig, die TI für eigene Anwendungen, etwa für Patientenportale, zu nutzen.


Schmitz plädierte vor diesem Hintergrund für Patienten-App-Lösungen, die mit digitalen, softwarebasierten Identitäten gemäß europäischer eIDAS-Verordnung arbeiten. Datensicherheit in der Cloud könne dabei beispielsweise durch Verschlüsselung mit dezentraler, fragmentierter Speicherung entstehen, womit sich auch das Problem des Datenverlusts bei Ausfall eines Rechenzentrums erledige. Entsprechende Lösungen existierten, Schmitz nannte beispielhaft das Produkt Bdrive der Bundesdruckerei. Sie müssten nur genutzt werden.


Eine konkrete Aktenanwendung stellte Stephan Popp von der aycan Digitalsysteme GmbH vor. Die Lösung ist letztlich eine krankenhausinitiierte Gesundheitsakte, ursprünglich entwickelt auf Basis von Apples CareKit und ResearchKit. Zu den Merkmalen gehört eine verschlüsselte Peer-to-Peer-Verbindung unter Einsatz von HL7 und IHE XDS. Neben einer Dokumentenübermittlung können auch Fragebögen aller Art umgesetzt werden. Unter Radiologen relativ populär sei beispielsweise die aycan consent App, die digitale Einverständniserklärungen zur Verfügung stelle. Prinzipiell ließen sich über eine solche Plattform letztlich aber beliebige Dienste zur Verfügung stellen, bis hin zu Bezahlfunktionen und Essensbestellung.


UKSH Kiel: Patientenportal meets digitales Onboarding

Neben gezielten digitalen Einzelservices sind es weiterhin die vollumfänglichen Patientenportale, die für viele Krankenhäuser hoch attraktiv sind. Immer häufiger dienen diese Portale nicht mehr nur dem poststationären Dokumentenversand und dem Entlassmanagement, sondern sie werden im Zusammenhang mit einer digital unterstützten Patientenaufnahme eingesetzt, neudeutsch „Onboarding“.


Ein relativ beeindruckendes Beispiel für ein solches Projekt liefert derzeit das Universitätsklinikum in Schleswig-Holstein, das an beiden Standorten in Lübeck und Kiel Neubauten errichtet und diese mit 60 Patientenkiosks ausstattet, an denen künftig insbesondere ambulante, aber auch ein Teil der stationären Patienten ihre Aufnahmeformalitäten erledigen sollen. „Ziel des UKSH ist es, einen Teil der bei Aufnahmen zu erledigenden Aufgaben von den Aufnahmekräften auf die Patienten zu übertragen“, erläuterte Thomas Bender, Manager eHealth & Integrated Care Solutions bei Agfa HealthCare, auf der DMEA. Tatsächlich plane das UKSH für die Neubauten mit 70 Prozent weniger Personal in der Patientenaufnahme als in den bisherigen Krankenhaus­gebäuden.


Ein Clou der Aufnahmekioske ist, dass sie nicht nur an das UKSH KIS Orbis, sondern auch an das Patientenportal EngageSuite von Agfa HealthCare gekoppelt werden sollen. Auf diese Weise können die Patienten perspektivisch Teile des Aufnahmeprozederes bereits zu Hause absolvieren und dort auch zum Beispiel Termine buchen. Ziel ist ein übergeordneter ­digitaler Prozess mit unterschiedlichen Kontaktpunkten für den Patienten, von Vorbereitung und Onboarding über Terminmanagement vor Ort bis zur Überleitung in die ambulante Versorgung.


UK Balgrist: Digitale Behandlungspfade mit Patienteneinbindung
Dass genau so etwas schon heute umgesetzt werden kann, machte Ninoslav Tedorovic deutlich, Leiter Informatik an der Universitätsklinik Balgrist in der Schweiz. Dort wird für die digitale Patienteneinbindung mit der Gesundheitsplattform m.Doc gearbeitet, die prästationäre beziehungsweise ambulante, stationäre und poststationäre Use Cases abbildet.


Balgrist ist eine orthopädische und Paraplegie-Klinik. Mithilfe von m.Doc wurden insgesamt 40 digitale orthopädische Behandlungspfade erstellt, die für den Patienten und die Behandler völlig transparent sind und in Form einer Timeline angezeigt werden. Die Behandlungspfade sind termin- und nicht fallbezogen, sie basieren in der Regel auf einem OP-Termin, der mit bestimmten Versorgungsprozessen in bestimmten Reihenfolgen gekoppelt ist. Auf diese Weise können Termin­erinnerungen, Symptomfragebögen oder was immer nötig ist genau zu dem jeweils richtigen Zeitpunkt im Behandlungsprozess angestoßen werden.


Das Projekt in Balgrist ist auch deswegen interessant, weil es als eine Ergänzung des elektronischen Patientendossiers (EPD) der Schweiz gedacht ist, nicht als dessen Konkurrenz. „Wir bauen auch das EPD gerade auf und sind ab 2020 verpflichtet, uns einer entsprechenden Community anzuschließen“, so Tedorovic. Ziel sei es, dass Patientenportal und EPD direkt kommunizieren können. Das hält der Informatiker auch für umsetzbar: „Das eigentlich Schwierige ist, die Prozesse in der Klinik so vorzubereiten, dass sie im Patientenportal auch richtig abbildbar sind.“


Qualitätsmanagement mit Patientenbefragungen
Das Unternehmen Philips hat bei der DMEA noch über eine ganz andere Art der digitalen Patienten-Services berichtet, nämlich ein systematisches Qualitätsmanagement durch Patientenbefragungen. Das Unternehmen implementiert eine solche Anwendung in diesen Wochen unter Einsatz des Tools VitalHealth QuestLink an der Martini-Klinik in Hamburg, einer führenden Klinik für die Behandlung des Prostatakarzinoms. Die Martini-Klinik führt seit vielen Jahren, seit 1992, systematisch Outcome-Erhebungen – Patient-Reported Outcome ­Measurements (PROMs) – durch und optimiert anhand der Ergebnisse die eigenen Versorgungsprozesse und steigert die Versorgungsqualität.


Bisher erfolgte dieses Qualitätsmanagement weitgehend manuell, jetzt soll es digitalisiert werden. Das KIS liefert dabei die nötigen Patientendaten, die automatisch in die Philips-Lösung integriert werden und mit denen die (webbasierte oder mobile) Patienten-Anwendung personalisiert wird. Über das Tool werden dem Patienten dann zu den jeweils richtigen Zeitpunkten Fragebögen zu Anamnese, Behandlungsergebnis, Genesungsverlauf und Zufriedenheit eingespielt, beispielsweise eine Fragebogenserie gemäß ICHOM-Standard, bei der sieben Tage, sechs Monate und danach jährlich nach dem Eingriff Langzeitergebnisse erfasst werden. Alle Ergebnisse fließen automatisch ins KIS zurück und können strukturiert und weitgehend automatisiert im Rahmen von Daten-Dashboards ausgewertet werden.


„Perspektivisch lässt sich eine solche Lösung über das Befragungsmanagement hinaus zu einer umfassenden, modular aufgebauten Patientenplattform erweitern“, betonte Sandra Hoyer, Business Manager Population Health Management bei Philips. Genau eine solche Patientenplattform ist Teil des telemedizinischen Innovationsfondsprojekts pAVK-TeGeCoach, das von der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) koordiniert wird und bei dem die Techniker Krankenkasse, die Robert Bosch Gesellschaft für medizinische Forschung, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und die Unternehmen Philips und IEM Konsortialpartner sind.