E-HEALTH-COM ist das unabhängige Fachmagazin für Gesundheitstelematik, vernetzte Medizintechnik , Telemedizin und Health-IT für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Mehr

Für das ePaper anmelden

Geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden

Anmelden

Passwort vergessen?

Top-Thema |

Digitaler Laborbefund: »Wir sollten einfach mal starten«

Die mangelnde Digitalisierung bei Laborbefunden ist im medizinischen Alltag an vielen Stellen ein enormes Ärgernis. Standards existieren im Prinzip, doch es hapert an der Umsetzung. Mit der ePA steigt jetzt der Druck im Kessel. Labormediziner Dr. Andreas Bietenbeck aus München sieht nicht zuletzt Hersteller und Politik in der Pflicht, die noch fehlenden Impulse zu geben.

Dr. Andreas Bietenbeck; Bild: © privat

Wie digital ist die deutsche Labormedizin Stand Januar 2025?
Innerhalb der Labore sind wir sehr digital. In jedem größeren Labor sind die Prozesse schon stark automatisiert. An den Schnittstellen von Einsendenden zum Labor ist es sehr heterogen. Es gibt Einsendende, die schon komplett digital arbeiten – also die Anforderung kommt digital zu uns, und wir spielen die Ergebnisse digital zurück. Es gibt aber auch andere, die ihre Anforderungen immer noch auf ein Blatt Papier schreiben und die dann auch für die Antwort ein Blatt Papier oder das geliebte Fax erwarten.

Wie viele Betreiber von Laboren beziehungsweise wie viele Labore gibt es, und wie viele Laborinformationssysteme (LIS)?

Schwierige Frage. Es gibt mehrere sehr große Laborketten, die teils auch international agieren und teils Aktiengesellschaften sind. Dann gibt es eine Reihe inhabergeführte Labore, so wie unseres. Und dann gibt es die Landschaft der Unikliniken und anderer großen Kliniken, die oft noch eigenständige Labore haben. Bei den LIS würde ich aus dem Bauch heraus so um die zehn sagen. Das ist zumindest die Größenordnung.

Die ePA kommt, und neben Arztbriefen und Medikationslisten sind Labordaten das, was am häufigsten genannt wird, wenn es darum geht, was da genau rein soll. Das steht noch nicht unmittelbar bevor, in der Version 3.1 ist das Labor noch nicht dabei. Dennoch: Freuen Sie sich auf die ePA?
Ich persönlich freue mich auf die ePA. Das ist jetzt nicht unbedingt eine Arbeitserleichterung für uns, aber trotzdem. Wir hoffen, dass es am Ende nur noch einen einheitlich standardisierten, elektronischen Laborbefund gibt. Das wäre schon ein Riesenfortschritt. Derzeit schicken wir HL7-Nachrichten in Krankenhäuser und LDT-Nachrichten in den niedergelassenen Bereich. Dann gibt es noch die DEMIS-Meldungen, die auf FHIR basieren. Das ist einfach noch sehr heterogen. Und auch wenn es in Zukunft nicht so sein wird, dass das MIO Laborbefund, mit dem die ePA arbeiten soll, für alle gilt, wird die Einheitlichkeit das Codieren schon vereinfachen. Was ich auch spannend finde, ist, dass sich vielleicht unsere Arbeitsweise als Laborärztinnen und -ärzte verändert. Ich hoffe sehr stark, dass auch wir Zugriff auf die ePA bekommen und in der Lage sein werden, z.B. Laborbefunde von Fremdlaboren einzusehen.

Warum braucht es das FHIR-basierte MIO? Warum kann zum Beispiel LDT3 nicht einfach für die ePA genommen werden?
Weil das einfach nicht verbreitet genug ist. International nutzt das niemand, die deutschen Krankenhäuser nutzen HL7. Das macht schon viel Sinn, dass sich jetzt alle auf FHIR geeinigt haben.

Die Arbeiten am MIO Laborbefund sind, was die Spezifikation angeht, nahezu abgeschlossen, schon seit zwei oder drei Jahren. Wie intensiv waren Labormediziner:innen da eingebunden?
Die Labormedizin war da gut eingebunden. Es gibt natürlich auch in der Labormedizin heterogene Ansichten, aber ich glaube, wir sind jetzt in einem Stadium, in dem wir einfach mal mit der praktischen Umsetzung starten sollten.

Es gibt aber schon noch Zurückhaltung. In einem Positionspapier des Interop Councils der gematik von September 2024 heißt es wörtlich: „Um den digitalen Laborbefund in die Versorgung zu bringen, sind auch über die Spezifikation hinaus umfassende technische, organisatorische und prozessuale Vorarbeiten und Festlegungen notwendig.“ Lassen Sie uns da mal etwas ins Detail gehen: Was muss auf welchen Ebenen noch passieren, damit an so etwas wie Labordaten in der ePA, die mehr sind als ein PDF des Laborzettels, überhaupt gedacht werden kann?

Handlungsbedarf gibt es auf mehreren Ebenen. Zum einen: Wir müssen die Labormedizin auch semantisch standardisieren. FHIR allein reicht nicht, wir brauchen LOINC, wir brauchen UCUM – Unified Code for Units of Measure, das ist ein Standard für Maßeinheiten –, wir brauchen punktuell auch SNOMED CT. Darauf müssen wir unser gesamtes Spektrum an Laborleistungen matchen. Das ist viel Arbeit, und vor allem ist das nichts, das nur einmal stattfindet und dann ist es fertig. Es ist ein immer wiederkehrender Prozess, weil sich Untersuchungen häufig ändern. Wir werden da kontinuierlich dranbleiben müssen.

An welcher Stelle findet dieses Matching statt? Müssen Sie das im Labor machen? Machen das die Hersteller der Assays?
In erster Linie müssen wir das als Laborärztinnen und -ärzte machen, weil wir für unseren Befund verantwortlich sind. Es ist schon so, dass Hersteller zunehmend LOINC-Codes mitliefern, das hilft uns natürlich. Aber die LOINC-Codes für die häufigen Tests sind meistens nicht die, die schwierig zu finden sind. Schwierig sind die Codes für kleine, seltene Tests. Das sind die, die Arbeit machen. Was es auch gibt, sind Tests, die in unterschiedlichen Testszenarien genutzt werden. Das kann der Hersteller dann gar nicht wissen. Es gibt zum Beispiel den Glukosetoleranztest, bei dem nach Glukosebelastung der Blutzucker gemessen wird. Der hat einen anderen LOINC-Code als die Nüchternmessung, obwohl der Assay identisch ist. Das ist nur ein Beispiel von vielen.

Wie ist das mit den LIS-Herstellern? Sind die schon fit für die neue Welt?
Da habe ich jetzt natürlich nicht den kompletten Überblick. Aber nach allem, was ich an Rückmeldungen 
bekomme, funktioniert das oft noch nicht so gut. Da ist schon auch aufseiten der IT-Hersteller noch großer Handlungsbedarf. Wir brauchen Softwarelösungen, die darauf eingerichtet sind, die ganzen Standards und Codes gut zu pflegen. Es muss zum Beispiel gute Auswahllisten geben, die die richtigen Terme anbieten, damit man sie auch mit nicht so ganz ausgeprägtem terminologischen und IT-Verständnis gut und sicher findet. Es muss auch Qualitätsfunktionen geben. Die LOINC-Codierung ist ja ein für die Patientensicherheit kritischer Prozess, da sollte möglichst nicht viel schiefgehen.

Es bräuchte also so etwas wie Qualitätssicherungs-Tools, die Sie dabei unterstützen, keine Fehler zu machen beziehungsweise die Fehler zuverlässig zu erkennen?
Genau. Und auch das muss letztlich von den IT-Herstellern angeboten werden. Die Standards bieten da ja durchaus Möglichkeiten für bestimmte Arten von Kontrollen. Es ist ja zum Beispiel im LOINC-Code mitverschlüsselt, was für eine Eigenschaft bzw. Einheit ich messe. Wenn ich einen LOINC-Code mit Einheit Gewicht habe, aber einen Messwert, der eine Volumeneinheit hat, dann kann das System das eigentlich selbst erkennen und eine Warnung geben. Ich glaube, wenn wir sowas hätten, dann wären viele eher bereit, damit zu arbeiten. Ich habe den Eindruck, im Moment warten die Hersteller darauf, dass jemand politisch sagt, dass sie so etwas anbieten müssen. Ich glaube, so ein Signal müsste jetzt mal kommen.


Die Codierung ist ja nicht die einzige Problemzone bei der Laborstandardisierung. Es gibt auch noch quasi nachgelagert das Problem, dass Laborwerte bei unterschiedlichen Assays nicht unbedingt vergleichbar sind. Das fängt schon mit unterschiedlichen Normwertkorridoren an. Wie geht man damit um?
Das Thema müssen wir als Labormedizin bearbeiten. Es gibt da große Unterschiede. Natrium im Patientenblut zum Beispiel, da bekommen Sie in allen Labors ziemlich vergleichbare Werte. Das andere Extrem sind Tumor-
marker, die unterscheiden sich sehr stark, je nachdem, welcher Assay-Hersteller von dem jeweiligen Labor genutzt wird. Das müssen auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erst einmal lernen: Wie gehe ich mit Laborbefunden um, die nicht vom eigenen Labor sind? Deswegen sagte ich eingangs, dass ich mir wünschen würde, Zugriff auf die ePA und damit auch auf die Laborwerte anderer Labore zu bekommen. Das würde helfen.

Muss denn letztlich, wenn man das weiterdenkt, nicht für jeden Laborwert in der ePA dabeistehen, mit welchem Assay beziehungsweise von welchem Labor er erfasst wurde?
Im Prinzip ja. Das sind keine einfachen Probleme. Wenn ich zum Beispiel sehe, ein Wert steigt an, und dann sehe, dass sich der Assay geändert hat, dann ist der Anstieg unter Umständen ganz anders zu bewerten.

Auch wenn ich zum Beispiel eine Verlaufskurve anzeige, mit zehn Messwerten eines Labors und zwei Mess-
werten eines anderen: Dann sehe ich unter Umständen Ausreißer, die gar keine sind.

Richtig. Ihre Leserinnen und Leser können das nicht sehen, aber Sie haben gerade mit Ihrer Hand so eine Verlaufskurve in die Luft gemalt. Das ist etwas, wo ich persönlich dafür plädieren würde, dass wir genau solche Kurven dann nicht als durchgehende Kurven zeichnen, sondern die externen Messungen in irgendeiner Weise auch grafisch als extern kennzeichnen. Das ist zumindest meine persönliche Meinung, konsentiert ist da noch gar nichts.


Was ist denn aus Ihrer Sicht ein realistischer Zeitraum für die Überführung standardisierter Laborwerte in die ePA? Wenn der Gesundheitsminister oder, wer weiß, eine künftige Gesundheitsministerin sagen würde, in einem Jahr müssen Laborwerte in der ePA sein: Würden Sie das schaffen?
Ich glaube schon, dass wir das als Labor schaffen würden. Und ich bin sicher, dass es zumindest einige andere auch schaffen würden. Aber es müssen dann natürlich auf allen Seiten die Voraussetzungen geschaffen werden. Vor allem müssen die LIS-Hersteller mitziehen, und damit die mitziehen können, müssen sie wissen, was genau sie umsetzen sollen. Was wir laborseitig noch brauchen, sind Codierrichtlinien. Die sind aktuell beim BfArM in Arbeit, aber auch noch nicht ganz abgeschlossen. Da geht es um Hilfestellungen bei Codierungen, die keine Standardcodierungen sind. Es gibt im LOINC ein paar relativ breit gefasste Codes für bestimmte Körperflüssigkeiten, da braucht es Festlegungen, damit nicht jeder anders codiert. Wo auch noch einiges an Arbeit ansteht, ist die Mikrobiologie. Aber in Summe ist das alles irgendwie lösbar. Ich denke, wir sollten da jetzt zügig vorangehen.  


Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM.

 

Dr. Andreas Bietenbeck
ist Facharzt für Labormedizin und ärztlicher Leiter des MVZ Ärztliche Laboratorien München-Land, eines kleineren, unabhängigen Laboranbieters. Er ist außerdem Vorsitzender der Sektion Medizinische Informatik der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL).