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"E-Mental-Health-Angebote werden zunehmend nachgefragt"

Die Krankenhäuser in Deutschland werfen ein interessiertes Auge auf digitale medizinische Dienstleistungen und Telemedizinangebote. Aktuell hat Asklepios eine Mehrheitsbeteiligung an dem niederländischen E-Mental-Health-Anbieter Minddistrict erworben, und die RHÖN-KLINIKUM AG hat angekündigt, einen Deutschland-Ableger des Telemedizinanbieters Medgate zu gründen. Wir sprachen mit Volker Thesing und Henning Schneider vom Asklepios-Konzern über den Stellenwert digitalmedizinischer, speziell telepsychiatrischer Angebote für große Krankenhausbetreiber.

Quelle: © Rawpixel.com

Asklepios hat in den letzten Jahren E-Mental-Health-Lösungen an mehreren Standorten in Deutschland eingesetzt. Was waren das für Szenarien? Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?
Thesing: Telemedizinische Lösungen für den Bereich der mentalen Gesundheit werden zunehmend entwickelt. Es gibt freie Anbieter und solche, die eng mit einzelnen Krankenkassen assoziiert sind. Wir haben unter anderem Selfapy, deprexis und Minddistrict im Einsatz gehabt und uns letztlich für ein verstärktes Engagement bei Mind­district entschieden, weil wir damit im testweisen Einsatz sehr positive Erfahrungen gesammelt haben. Konkret haben wir unterschiedliche Module im teilstationären Sektor und in den Tageskliniken und psychiatrischen Institutsambulanzen der Kliniken in Brandenburg/Havel und Pößneck/Thüringen getestet. In der Regel waren das Szenarien, bei denen es darum ging, Wartezeiten zu überbrücken. Teilweise wurden auch während der Therapiephase E-Mental-Health-Module eingesetzt, insbesondere bei Depression und Angststörungen. Künftig ist geplant, digitale Anwendungen auch in die Nachsorge einzubinden.


Warum ist es für einen Klinikbetreiber wie Asklepios interessant, gerade im Bereich Psychiatrie digitale Versorgungsangebote zu machen?
Thesing: Wir haben in Deutschland in der Psychiatrie, insbesondere der ambulanten Psychiatrie, ein Problem mit Wartezeiten. Digitale Therapien sind eine sehr gute Möglichkeit, solche Wartezeiten zu überbrücken und die Patienten in diesem vulnerablen Zeitfenster gut zu versorgen. Ein anderer Punkt ist, dass sich psychiatrische Kliniken häufig in ländlichen Regionen befinden, wo viele Patienten doch eine gewisse Anreise haben. Hier erlauben E-Mental-Health-Module eine optimale Vorbereitung und tragen dazu bei, dass mehr aus dem stationären oder teilstationären Aufenthalt herausgeholt werden kann. Hinzu kommt: E-Mental-Health-Angebote werden von Patienten zunehmend nachgefragt.



Volker Thesing ist Regionalgeschäftsführer Psychiatrien der Asklepios Kliniken GmbH & Co KGaA. Er ist außerdem Geschäftsführer des Asklepios Fachklinikums Stadtroda. Quelle: © Asklepios Kliniken

Mit der direkten Erstattung ist es ja zumindest im GKV-Umfeld etwas schwierig. Wie finanzieren Sie Ihr E-Mental-Health-Engagement?
Thesing: Letztlich müssen wir natürlich abwarten. In der Regelversorgung wird die GKV nur das vergüten, was der G-BA in den Leistungskatalog aufnimmt. Insofern haben wir bisher die E-Mental-Health-Module, die wir eingesetzt haben, ob deprexis oder Minddistrict, vorfinanziert. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn so etwas künftig eine GKV-Leistung würde. Das ist aber nicht das, was wir primär anstreben. Wir denken in andere Richtungen. Der Gesetzgeber hat 2018 die Möglichkeit geschaffen, dass psychiatrische Krankenhäuser auch stationsäquivalente Behandlungen anbieten dürfen. Das sind vollstationäre Behandlungen im häuslichen Umfeld, bei denen ein Behandlungsteam die Patienten zu Hause aufsucht und vor Ort behandelt. Diese Art Versorgung gibt es in anderen Ländern unter dem Begriff „Home Treatment“ schon länger, in Deutschland etabliert sie sich jetzt. In diesem Kontext lassen sich die onlinegestützten Therapiemodule von Minddistrict hervorragend einsetzen.

Minddistrict ist ein niederländisches Unternehmen, und der Stellenwert von E-Mental-Health ist dort ein anderer. Die Hausärzte haben eine starke Position und sind regelhaft die erste Anlaufstelle für psychiatrische Patienten. Sie sind auch häufig diejenigen, die erste E-Mental-Care-Ansätze initiieren, bevor im Sinne eines Blended-Care- Konzepts bei schweren Fällen der Psychiater oder Psychotherapeut übernimmt. Glauben Sie, dass so etwas auch im deutschen Gesundheitswesen stärker kommen wird?

Thesing: Derzeit gibt es das so in Deutschland noch nicht, aber Szenarien dieser Art streben wir an. Wir wollen zum Beispiel ganz gezielt auf Hausärzte zugehen, beziehungsweise wir haben das bereits getan, als wir das Depressionsmodul von Minddistrict getestet haben. Die Erfahrung ist, dass gerade die Hausärzte sehr dankbar sind, wenn sie ein wirksames therapeutisches Instrument an die Hand bekommen, das es ihnen erlaubt, schnell zu intervenieren, wenn psychische Probleme auftreten.

Henning Schneider
ist seit Oktober 2016 CIO der Asklepios Kliniken GmbH & Co KGaA. Zuvor leitete er als CIO den Geschäftsbereich Informationstechnologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Quelle: © Asklepios Kliniken

Warum haben Sie sich als Unternehmen entschieden, einen digitalen Gesundheitsdiensteanbieter wie Minddistrict zu übernehmen, statt einfach nur dessen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen?

Schneider: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir sind Kunde von Minddistrict, gleichzeitig wollen wir uns als Konzern weiterentwickeln. Wir sind überzeugt, dass wir künftig nicht mehr nur Krankenhauskonzern sind, sondern ein Gesundheitsdienstleister, der sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vor, während und nach dem Krankenhausaufenthalt – engagiert. Wenn wir das erreichen wollen, brauchen wir Kernprodukte, auf die wir uns verlassen können. Und das betrifft natürlich auch digitale Dienste auf unterschiedlichen Ebenen.


Wie genau werden Sie die E-Mental-Health-Angebote in die IT-Landschaft von Asklepios integrieren?
Schneider: Das betrifft ja nicht nur den Bereich E-Mental-Health. Die Frage, wie digitale Dienste in eine bisher meist weitgehend monolithische Krankenhaus-IT-Landschaft integriert werden können, beschäftigt derzeit praktisch jede Krankenhaus-IT-Abteilung. Nehmen Sie die Gesundheitsakten der Krankenkassen, da stellt sich genau dieselbe Frage. Bisher sind das alles noch einzelne Projekte, es muss auf Dauer aber ein umfassendes, durchstandardisiertes Vorgehen her. Wie das aussehen wird? Ich denke schon, dass IHE-Profile und aktuelle Schnittstellenstandards, insbesondere HL7 FHIR, darauf die richtigen Antworten sind. Der Teufel liegt natürlich im Detail.

Minddistrict hat in den Niederlanden für die Anbindung seiner Module an Klinik- und Praxis-IT-Systeme eine HL7-FHIR-basierte Schnittstelle erfolgreich implementiert. Ein Modell für Deutschland?
Schneider: Absolut. Wir müssen vor allem die deutschen KIS-Anbieter dazu kriegen, mitzumachen. Bei uns diskutieren wir das derzeit intensiv mit den beiden für uns besonders relevanten Unternehmen, mit Meierhofer und Agfa. Ich würde behaupten, FHIR wird sich ziemlich schnell durchsetzen, weil es wirklich eine gute Technologie ist. Meierhofer hat bereits bewiesen, das HL7 FHIR mit M-KIS funktioniert.

In welchen anderen Bereichen arbeiten die Einrichtungen des Asklepios-Konzerns bereits mit telemedizinischen Lösungen?
Schneider: Ein wichtiger Dienst gerade auch im Hamburger Cluster ist die Teleradiologie. Damit unterstützen wir aus den Hamburger Radiologien heraus andere Einrichtungen insbesondere nachts und am Wochenende. Sehr intensiv nutzen wir digitale Lösungen auch in unseren Tumorzentren, wo niedergelassene Ärzte aus ganz Deutschland die Möglichkeit haben, Patienten in einem Tumorboard digital anzumelden. Auch im Bereich Labor gibt es interessante Anwendungen, beispielsweise ferngesteuerte Analyseautomaten in kleineren Häusern.

Sehen Sie telemedizinische Leistungen, die auf den Patienten zielen, als Ergänzung Ihrer stationären Versorgungsangebote? Oder als ein eigenes Standbein?
Thesing: Was die Psychiatrie angeht, kann es in beide Richtungen gehen. Es wird Patienten geben, für die wird ein rein onlinegestütztes Therapieangebot ausreichend sein, und andere, die zusätzlich eine teil- oder vollstationäre Versorgung benötigen. Attraktiv an der telemedizinischen Betreuung gerade auch in der Psychiatrie ist nicht zuletzt, dass wir Patienten erreichen, für die eine rein stationäre Versorgung problematisch ist, alleinerziehende Eltern zum Beispiel. Wir können also Patienten, bei denen das bisher schwierig war, ein stationäres Versorgungsangebot in Anspruch zu nehmen, mit den Therapiemodulen von Minddistrict eine qualitativ hochwertige, evidenzbasierte Versorgung anbieten.

Schneider: Was digitale Angebote außerdem attraktiv macht, ist, dass sie die Hürde für einen ersten Kontakt niedrig halten. Für die Psychiatrie ist das viel beschrieben, aber es geht darüber hinaus. Wir werden unsere Kliniken zum Beispiel jetzt deutschlandweit über unseren Partner samedi mit einer Online-Terminbuchung ausstatten. In den Einrichtungen, in denen das schon geschehen ist, sehen wir, dass dieses Angebot gerade auch nach 18 Uhr sehr stark wahrgenommen wird. Wir machen es den Patienten einfach und erreichen sie in ihrer Lebenswirklichkeit.

Wie genau wollen Sie die Minddistrict-Module bei Nicht-Asklepios-Patienten bekannt machen?
Thesing: Dass die Möglichkeiten der Nutzung von E-Mental-Health-Angeboten im deutschen Markt noch deutlich verbessert werden müssen, ist klar. Aber es gibt schon Möglichkeiten. Was wir primär anstreben, ist der Weg über die Hausärzte. Dann gibt es die sozialpsychologischen Hilfesysteme. Auch dort werden wir unsere Behandlungsmöglichkeiten bekannt machen und hoffen, dass das an Hilfesuchende weitergegeben wird. Auch auf der Homepage von Asklepios wird es künftig Hinweise auf diese Angebote geben. Wichtig ist dabei, dass wir ein offenes System anstreben, das auch von anderen medizinischen Einrichtungen genutzt werden kann. Minddistrict bleibt eine Plattform, in deren Weiterentwicklung sich auch andere Kliniken fachlich einbringen können. Das wird kein „closed shop“ von Asklepios.

Schneider: Das ist überhaupt ein wichtiger Grundsatz bei all unseren E-Health-Aktivitäten. Wir wollen keine neuen Inseln bauen, sondern offene Plattformen. Insgesamt steigt für einen Versorger durch digitale Plattformen und Dienstleistungen die Flexibilität. Es wird einfacher, auf unterschiedliche Gegebenheiten im Gesundheitsmarkt zügig zu reagieren und passende Angebote zu machen. Dafür ist dann aber eine Standardisierung zwingend. Und das müssen wir jetzt endlich hinbekommen.

 

 

Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM.