Warum haben Sie sich als Unternehmen entschieden, einen digitalen Gesundheitsdiensteanbieter wie Minddistrict zu übernehmen, statt einfach nur dessen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen?
Schneider: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir sind Kunde von Minddistrict, gleichzeitig wollen wir uns als Konzern weiterentwickeln. Wir sind überzeugt, dass wir künftig nicht mehr nur Krankenhauskonzern sind, sondern ein Gesundheitsdienstleister, der sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vor, während und nach dem Krankenhausaufenthalt – engagiert. Wenn wir das erreichen wollen, brauchen wir Kernprodukte, auf die wir uns verlassen können. Und das betrifft natürlich auch digitale Dienste auf unterschiedlichen Ebenen.
Wie genau werden Sie die E-Mental-Health-Angebote in die IT-Landschaft von Asklepios integrieren?
Schneider: Das betrifft ja nicht nur den Bereich E-Mental-Health. Die Frage, wie digitale Dienste in eine bisher meist weitgehend monolithische Krankenhaus-IT-Landschaft integriert werden können, beschäftigt derzeit praktisch jede Krankenhaus-IT-Abteilung. Nehmen Sie die Gesundheitsakten der Krankenkassen, da stellt sich genau dieselbe Frage. Bisher sind das alles noch einzelne Projekte, es muss auf Dauer aber ein umfassendes, durchstandardisiertes Vorgehen her. Wie das aussehen wird? Ich denke schon, dass IHE-Profile und aktuelle Schnittstellenstandards, insbesondere HL7 FHIR, darauf die richtigen Antworten sind. Der Teufel liegt natürlich im Detail.
Minddistrict hat in den Niederlanden für die Anbindung seiner Module an Klinik- und Praxis-IT-Systeme eine HL7-FHIR-basierte Schnittstelle erfolgreich implementiert. Ein Modell für Deutschland?
Schneider: Absolut. Wir müssen vor allem die deutschen KIS-Anbieter dazu kriegen, mitzumachen. Bei uns diskutieren wir das derzeit intensiv mit den beiden für uns besonders relevanten Unternehmen, mit Meierhofer und Agfa. Ich würde behaupten, FHIR wird sich ziemlich schnell durchsetzen, weil es wirklich eine gute Technologie ist. Meierhofer hat bereits bewiesen, das HL7 FHIR mit M-KIS funktioniert.
In welchen anderen Bereichen arbeiten die Einrichtungen des Asklepios-Konzerns bereits mit telemedizinischen Lösungen?
Schneider: Ein wichtiger Dienst gerade auch im Hamburger Cluster ist die Teleradiologie. Damit unterstützen wir aus den Hamburger Radiologien heraus andere Einrichtungen insbesondere nachts und am Wochenende. Sehr intensiv nutzen wir digitale Lösungen auch in unseren Tumorzentren, wo niedergelassene Ärzte aus ganz Deutschland die Möglichkeit haben, Patienten in einem Tumorboard digital anzumelden. Auch im Bereich Labor gibt es interessante Anwendungen, beispielsweise ferngesteuerte Analyseautomaten in kleineren Häusern.
Sehen Sie telemedizinische Leistungen, die auf den Patienten zielen, als Ergänzung Ihrer stationären Versorgungsangebote? Oder als ein eigenes Standbein?
Thesing: Was die Psychiatrie angeht, kann es in beide Richtungen gehen. Es wird Patienten geben, für die wird ein rein onlinegestütztes Therapieangebot ausreichend sein, und andere, die zusätzlich eine teil- oder vollstationäre Versorgung benötigen. Attraktiv an der telemedizinischen Betreuung gerade auch in der Psychiatrie ist nicht zuletzt, dass wir Patienten erreichen, für die eine rein stationäre Versorgung problematisch ist, alleinerziehende Eltern zum Beispiel. Wir können also Patienten, bei denen das bisher schwierig war, ein stationäres Versorgungsangebot in Anspruch zu nehmen, mit den Therapiemodulen von Minddistrict eine qualitativ hochwertige, evidenzbasierte Versorgung anbieten.
Schneider: Was digitale Angebote außerdem attraktiv macht, ist, dass sie die Hürde für einen ersten Kontakt niedrig halten. Für die Psychiatrie ist das viel beschrieben, aber es geht darüber hinaus. Wir werden unsere Kliniken zum Beispiel jetzt deutschlandweit über unseren Partner samedi mit einer Online-Terminbuchung ausstatten. In den Einrichtungen, in denen das schon geschehen ist, sehen wir, dass dieses Angebot gerade auch nach 18 Uhr sehr stark wahrgenommen wird. Wir machen es den Patienten einfach und erreichen sie in ihrer Lebenswirklichkeit.
Wie genau wollen Sie die Minddistrict-Module bei Nicht-Asklepios-Patienten bekannt machen?
Thesing: Dass die Möglichkeiten der Nutzung von E-Mental-Health-Angeboten im deutschen Markt noch deutlich verbessert werden müssen, ist klar. Aber es gibt schon Möglichkeiten. Was wir primär anstreben, ist der Weg über die Hausärzte. Dann gibt es die sozialpsychologischen Hilfesysteme. Auch dort werden wir unsere Behandlungsmöglichkeiten bekannt machen und hoffen, dass das an Hilfesuchende weitergegeben wird. Auch auf der Homepage von Asklepios wird es künftig Hinweise auf diese Angebote geben. Wichtig ist dabei, dass wir ein offenes System anstreben, das auch von anderen medizinischen Einrichtungen genutzt werden kann. Minddistrict bleibt eine Plattform, in deren Weiterentwicklung sich auch andere Kliniken fachlich einbringen können. Das wird kein „closed shop“ von Asklepios.
Schneider: Das ist überhaupt ein wichtiger Grundsatz bei all unseren E-Health-Aktivitäten. Wir wollen keine neuen Inseln bauen, sondern offene Plattformen. Insgesamt steigt für einen Versorger durch digitale Plattformen und Dienstleistungen die Flexibilität. Es wird einfacher, auf unterschiedliche Gegebenheiten im Gesundheitsmarkt zügig zu reagieren und passende Angebote zu machen. Dafür ist dann aber eine Standardisierung zwingend. Und das müssen wir jetzt endlich hinbekommen.
Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM.