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E-Rezept: Ärztliche Verordnungen werden digital

Die elektronische Verordnung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln ist ein wesentliches Element der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Doch wie stellen sich Gesetzgeber und gematik das deutsche E-Rezept genau vor? Ein Zwischenstand.

Foto: © nito – stock.adobe.com


Verordnungen werden heute in der ärztlichen Praxis digital erstellt, dann auf Papier ausgedruckt und an Patienten übergeben, die sie in einer Apotheke ihrer Wahl einlösen. Dort wird der Inhalt des Rezepts von Papier wieder digitalisiert, um die Informationen im Warenwirtschaftssystem verarbeiten zu können. Das geschieht meist mithilfe von Software, oft aber auch von Hand. Angereichert um Informationen, die die tatsächlich abgegebenen Arzneimittel betreffen, gehen diese Rezepte an Abrechnungsdienstleister, die im Auftrag der Apotheken die Abrechnung gegenüber den Krankenkassen durchführen. Im schlechtesten Fall digitalisieren diese Dienstleister dann wieder von Papier.


Muss das so sein? Natürlich nicht. Vorhang auf für das elektronische Rezept, kurz E-Rezept. Durch das
E-Rezept werden Versicherte in die Lage versetzt werden, Rezepte elektronisch mit einer App zu empfangen und an Apotheken weiterzuleiten. Gleichzeitig werden Aufwände in den Arztpraxen und Apotheken Deutschlands mit großer Wahrscheinlichkeit geringer werden, da Papierprozesse entfallen. Übertragungsfehler durch Medienbrüche werden der Vergangenheit angehören.


Das hat nicht nur Auswirkungen auf Versicherte und Angehörige von Gesundheitsberufen, sondern auf ganze Wirtschaftszweige. Beispielsweise wird sich die Branche rund um die Rezeptabrechnung weiter verändern. Abrechnungsdienstleister sind bereits seit Jahren Vorreiter der Digitalisierung, aber immer noch verpflichtet, Tonnen von Papierrezepten auf eigenen Scanner-Straßen zu digitalisieren, zu prüfen und treuhänderisch gegenüber den Kassen abzurechnen. Fällt der Medienbruch weg, stehen die Scanner-Straßen still.


Noch stärker könnte sich die Apothekenlandschaft verändern. Wird das Rezept elektronisch, dann ist der Weg von Patientinnen und Patienten zu Apotheken nur noch ein Knopfdruck. Das gilt auch für Versandapotheken, die bisher darauf bauen mussten, dass Kunden Rezepte in Umschläge packen und zum Briefkasten bringen. Andererseits formieren sich im Bereich der Vor-Ort-Apotheken gerade neue Allianzen, die die Vorteile der Offizin-Apotheke gegenüber den Versandhändlern in das digitale Zeitalter transportieren wollen. Hier entsteht durch das E-Rezept ein ganz neuer und spannender Wettbewerb um die Versorgung mit Arzneimitteln.


Gesetzlicher Rahmen

Aktuelle Gesetze und laufende Gesetzesvorhaben werden also nicht nur Potenziale zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung schaffen, sondern auch Märkte verändern. Das E-Rezept ist ein wesentlicher Teil des Patientendaten-Schutz-Gesetzes (PDSG), das gerade den Bundesrat passiert hat. Im Gegensatz zur elektronischen Patientenakte, die ebenfalls im PDSG geregelt wird, ist das E-Rezept eine Pflichtanwendung. Das heißt, dass alle Akteure, die am Verordnungs- und Abgabeprozess teilnehmen, darauf verpflichtet werden, das E-Rezept zu nutzen. Das gilt für das ärztliche und pharmazeutische Personal genauso wie für die Patientinnen und Patienten in Deutschland.


Für den elektronischen Transport der Rezepte darf gemäß PDSG ausschließlich jene Lösung verwendet werden, die durch die gematik im Auftrag des Ministeriums definiert wird. Andere E-Rezept-Lösungen, die nicht mit der Lösung der gematik kompatibel sind, werden aller Wahrscheinlichkeit nach obsolet, sofern sie nicht in geeigneter Weise an die Telematikinfrastruktur des deutschen Gesundheitswesens (TI) angekoppelt werden.


Wesentliche Rahmensetzungen betreffen den Scope des E-Rezepts, die Weiterentwicklung in Stufen und die Regeln für den Zugriff auf das E-Rezept. Für die handelnden Akteure sind insbesondere die gesetzten Fristen relevant. Das Gesetz regelt, dass in der ersten Ausbaustufe des E-Rezepts alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel in der GKV nur noch elektronisch verordnet werden dürfen, und zwar ab dem 1. Januar 2022. Dies gilt für alle Verordnenden, sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich.


Ausgenommen sind Verschreibungen von Betäubungsmitteln („BtM-Rezepte“) und sogenannte T-Rezepte für Arzneimittel, die Fehlbildungen bei Embryonen hervorrufen können. Diese ärztlichen Verordnungen, die beide nicht das Muster 16 Formular, sondern amtliche Vordrucke nutzen, werden in einer späteren Stufe umgesetzt werden. Fristen gibt es dazu derzeit noch nicht. In den nächsten Jahren werden außerdem weitere ärztliche Verordnungen ihren Weg in die TI finden, unter anderem Verordnungen für Heil- und Hilfsmittel. Auch das Grüne Rezept für ärztliche Empfehlungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist bereits im Visier des Gesetzgebers. Man kann vermutlich davon ausgehen, dass früher oder später auch andere Formulare über die TI adressiert werden, die aber nicht zwangsläufig denselben Übertragungsweg gehen müssen, etwa Ein- und Überweisungen, Laboranforderungen etc.


Das Gesetz regelt auch, dass die gematik im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit die E-Rezept-App entwickeln und für die Bevölkerung auf den Markt bringen wird. Diese App wird alle gesetzlich Versicherten in die Lage versetzen, Rezepte zu empfangen und diese beliebigen Apotheken zuzuweisen oder Rezepte in Apotheken einzulösen. Da die privaten Krankenversicherungen mittlerweile auch wieder zum Gesellschafterkreis der gematik gehören, kann davon ausgegangen werden, dass auch Privatversicherte bald elektronische Verordnungen werden nutzen können.


Wichtig bei alledem ist, dass die Verpflichtung zur Nutzung elektronischer Verordnungen nicht bedeutet, dass alle Versicherten plötzlich gezwungen sind, mit einer App zu hantieren. Auch für elektronische Rezepte wird es einen Papierausdruck geben. Jede Apotheke Deutschlands wird auf Basis dieses Ausdrucks in der Lage sein, verschriebene Medikamente abzugeben.


Spezifikation der gematik
Am 30. Juni 2020 veröffentlichte die gematik eine neue Version ihrer Spezifikation der Telematikinfrastruktur, und zwar Release 4, die bereits durch einen „Hotfix 1“ aktualisiert wurde. In dieser Spezifikation sind die Grundlagen für die bundesweit einheitliche Umsetzung des E-Rezepts angelegt. Im Wesentlichen definiert die Spezifikation, wie eine elektronische Verordnung aufgebaut sein muss und wie ihr Weg durch die Telematikinfrastruktur von der ärztlichen Praxis über Versicherte in die Apotheken aussieht. Die apothekenseitige Abrechnung, die heute schon weitgehend digital abläuft, ist nicht Teil dieser Spezifikation und auch nicht im gesetzlichen Auftrag der gematik festgehalten.


Die beschriebenen Anwendungsfälle sind erwartbar: Rezepte erzeugen, Rezepte in die TI transferieren, Rezepte in der TI durch Versicherte verwalten, Rezepte aus der TI für die Einlösung in der Apotheke „herunterladen“. Apotheken erhalten die Möglichkeit, eine Quittung zu erstellen, die für die Abrechnung eingesetzt werden kann.


E-Rezepte werden ausschließlich in der TI verschickt und verwaltet. Sie verlassen nie den Schutz der TI. Außerhalb der TI werden nur sogenannte „E-Rezept-Token“ übertragen, die aus Datenschutz- und Sicherheitssicht weniger kritisch sind und Apotheken die Möglichkeit geben, auf das geschützte E-Rezept in der TI zuzugreifen. Wenn hier also die Rede davon ist, dass Rezepte an einen Vertreter geschickt werden, dann handelt es sich um den E-Rezept-Token und nicht das eigentliche Rezept. Die Primärsysteme in ärztlicher Praxis, Krankenhaus und Apotheke greifen mithilfe der in der TI zentral und dezentral verfügbaren Sicherheitsmechanismen zu. Das ist folgerichtig und kaum überraschend.


Wesentlich interessanter ist das, was man über die E-Rezept-App liest, im Fachjargon der gematik als „Front-end der Versicherten“ bezeichnet. Offensichtlich ist geplant, dass Versicherte sich mithilfe ihrer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gegenüber den Diensten der TI ausweisen werden. Dazu werden eGKs eingesetzt, die über eine NFC-Schnittstelle mit den Smartphones der Versicherten kommunizieren. Bei dem mittlerweile großen Verbreitungsgrad NFC-fähiger Smartphones wird das mit Sicherheit ein praxistauglicher Weg sein. Die Verbreitung NFC-fähiger eGKs müsste nun von den Krankenkassen forciert werden, um eine flächendeckende Einsatzfähigkeit herzustellen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch Versicherte ohne NFC-fähige Geräte in die Lage versetzt werden, elektronische Rezepte zu verwalten.


Ein neuer, interessanter Aspekt ist, dass die gematik in der Spezifikation auch eine Möglichkeit des Nachrichtenaustauschs zwischen Versicherten und Apotheken beschreibt. Wesentlich ist der Fall, dass Versicherte einer Apotheke ein E-Rezept verbindlich zuweisen. Um diese Zuweisung herum erlaubt die Spezifikation aber auch, dass Nachrichten zwischen Versicherten und Apotheke ausgetauscht werden, und zwar direkt über die TI. Ein Blick in die zugrunde liegende FHIR-Definition legt nahe, dass über solche Nachrichten unter anderem die „Belieferfähigkeit“ angefragt werden kann.


Außerdem beschreibt die Spezifikation, dass den Versicherten Informationen über die tatsächlich abgegebenen Medikamente elektronisch zur Verfügung gestellt werden können. Das PDSG sieht dies auch vor. Aus Sicht der Versicherten entsteht so erstmalig ein elektronisches Verzeichnis der Arzneimittel, die sie in Apotheken bekommen haben. Allerdings gibt es in der Spezifikation einen Hinweis dahingehend, dass die Speicherung dieser Informationen „im E-Rezept [...] noch nicht abschließend geklärt“ sei.


Darüber hinaus können E-Rezepte über die TI an Vertreter des Versicherten verschickt werden. Damit schafft die gematik einen sicheren Weg der Datenübertragung zwischen Versicherten. Auch das ist ein Novum. Eine Interpretation wäre, dass man existierenden Messenger-Diensten nicht über den Weg traut und eine sichere Alternative dazu schaffen will. Der Export und Versand eines E-Rezepts – genauer: eines „E-Rezept-Tokens“ – über E-Mail und Messenger-Dienste ist allerdings zumindest in der Spezifikation angelegt, wenn auch mit dem Verweis auf die in § 360 Abs. 5 SGB V angekündigte Rechtsverordnung. Diese soll die Schnittstellen zu Produkten von Drittanbietern regeln. Man darf gespannt sein, welche Regelungen das Ministerium hier finden wird. Einen offiziellen Termin für die Veröffentlichung dieser Regelungen gibt es derzeit nicht.


Große Erwartungen

Elektronische Verordnungen werden in Deutschland Realität. Der Papierweg wird endlich durch einen durchgängig elektronischen Weg ersetzt, was Medienbrüche verhindert und Potenziale zur Verschlankung von Prozessen mitbringt. Erstmals haben Versicherte eine aktive Rolle im Verordnungsprozess, die über den reinen Papiertransport hinausgeht. Mit der E-Rezept-App und den neuen Möglichkeiten zur Kommunikation entsteht die Basis für fühlbare Mehrwerte im Alltag.


Unklar bleibt aktuell, wie die Integration des E-Rezepts in durchgängig elektronische Versorgungsprozesse aussehen wird, da nach aktueller Regelung ausschließlich die E-Rezept-App der gematik mit dem zentralen Fachdienst reden darf. Die in § 360  SGB V angelegte Rechtsverordnung wird hier vermutlich Klarheit bringen. Spannend wird das Thema jetzt auch für die Hersteller von Praxis- und Apothekenverwaltungssystemen. Schließlich besteht ab 1. Januar 2022 die Pflicht, diese Dienste gemäß der Spezifikation der gematik zu nutzen. Dafür muss nicht nur gewährleistet sein, dass die Software diese Anwendungsfälle unterstützt und auch eine Zulassung hat. Arztpraxen und Apotheken brauchen auch einen Anschluss an die TI, was aber unabhängig vom E-Rezept ohnehin erforderlich ist. Insgesamt dürften die elektronischen ärztlichen Verordnungen die Dynamik der Digitalisierung des Gesundheitswesens deutlich erhöhen. Man darf also mit Spannung in die Zukunft blicken.