E-HEALTH-COM ist das unabhängige Fachmagazin für Gesundheitstelematik, vernetzte Medizintechnik , Telemedizin und Health-IT für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Mehr

Für das ePaper anmelden

Geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden

Anmelden

Passwort vergessen?

Top-Thema |

Elektronische FallAkten

Sind Leistungserbringer-geführte, intersektorale Akten in Zeiten der elektronischen Patientenakte (ePA) nach § 291a und der stark beworbenen Aktensysteme der Kostenträger noch zeitgemäß? Klar ist: Der Zeitgeist alleine ist kein Business Case. Betriebswirtschaftliche Aspekte für Aktenanbieter und Hersteller von Primärsystemen müssen bei der weiteren Entwicklungsplanung berücksichtigt werden, um Aktenlösungen nachhaltig zu machen.

Quelle: © Tippapatt – Fotolia

Unbestritten ist die Notwendigkeit, dass Leistungserbringer untereinander Daten und Dokumente austauschen müssen, um die Behandlungskontinuität in der medizinisch-pflegerischen Versorgung aufrechtzuerhalten. Nun sieht die gematik-Spezifikation der ePA vor, dass Leistungserbringer die Patientenakten nutzen können, um diesen Austauschprozess auszuüben. Doch spricht aktuell noch dagegen, dass sich der Austausch zunächst auf GKV-Patienten beschränkt und diese wiederum die ePA in der ersten Ausbaustufe ab 2021 – und wohl auch darüber hinaus – auf freiwilliger Basis nutzen können. Leistungserbringer hätten also keine Gewähr, dass die ePA für ihre Behandlungsketten lückenlos genutzt werden kann. Für das Konstrukt der Leistungserbringer-geführten Akte spricht außerdem, dass mit ihnen spezifische Daten- und Dokumentenflüsse eingerichtet und gegebenenfalls auch gemeinsam genutzte Dokumentationen in der intersektoralen Versorgung genutzt werden können.


Die Elektronische FallAkte (EFA) ist eine schon seit einiger Zeit von Leistungserbringern und IT-Herstellern gleichermaßen beförderte Plattform, die in ihrer Spezifikation 2.0 auch auf einen durchgehenden IHE-Ansatz abzielt. Durch diese Standardisierung besteht Transparenz darüber, wie mit angeschlossenen Primärsystemen nachhaltig kommuniziert werden kann. Über die Teilnahme an den regelmäßig von IHE Europa und dem Fraunhofer-Institut FOKUS durchgeführten Connectathons / Projectathons können Hersteller auch die Konformität in der Beachtung der IHE- und EFA-Standards nachweisen. Die Ergebnisse sind online verfügbar [1] und bieten auch Leistungserbringern die Sicherheit, dass ihr genutztes Akten- oder Primärsystem den Standardvorgaben entspricht.
In Abb. 1 ist die Architektur einer EFA nach der Spezifikation 2.0 dargestellt, wie sie bei einem Provider für FallAkten – der RZV Rechenzentrum Volmarstein GmbH – eingesetzt wird. Dieser EFA-Kern kann nun über die angedeuteten Wege angesprochen und in einen IHE-basierten Ablauf umgesetzt werden. Durch eine Kapselung bleibt der IHE-EFA-Kern erhalten, aber trotzdem können Mehrwertdienste angebunden werden, wie im Folgenden beschrieben wird.

Praktischer Nutzen im Einsatz von FallAkten – Die EFA in der MDK-Kommunikation
Elektronische FallAkten finden nicht nur in zahlreichen Förderprojekten, sondern auch in produktiven Umgebungen einen nachhaltigen Einsatz. So wurde beispielsweise eine Applikation auf Basis einer EFA entwickelt, die eine konforme Übertragung digitaler Patientenunterlagen an den MDK gemäß Prüfverfahrensvereinbarung gestattet.


Medizincontroller in den Kliniken stehen vor der Herausforderung, zum einen Dokumente aus diversen Systemen (KIS, Archiv etc.) zu entnehmen, zum anderen noch auf Papier vorhandene Patientenunterlagen zu digitalisieren. Archiv- und Scandienstleister bieten hierzu schon Abhilfe, für eine dauerhafte Übertragung ist jedoch auch die Überführung schon digitaler Daten und Dokumente aus KIS und Subsystemen in das Archiv unabdingbare Voraussetzung. Eine EFA kann hier die Funktion einer Austauschplattform bieten, die über Schnittstellen zu den Primärsystemen die Daten und Dokumente extrahiert und für die Übertragung an den MDK aufbereitet – notwendig ist dazu noch die Möglichkeit eines manuellen Befüllens mit den Dateien aus gescannten Papierunterlagen.


Die zweite Herausforderung für das Medizincontrolling bildet die Spezifikation des anzubindenden MDK. Zwar wird aktuell eine national gültige Plattform mit Portalfunktionalitäten entwickelt, inwiefern hier Vorgaben zur Größe der zu übermittelnden Patientenunterlagen und vor allem der Semantik in der Beschreibung dieser Unterlagen an die Kliniken gestellt werden, ist noch offen. Absehbar könnte eine Regelung sein, die schon jetzt von einigen MDK bei der digitalen Bereitstellung von Patientenunterlagen gefordert wird. So schreiben sie neben der Begrenzung auf eine Größe der Unterlagen auch noch die Bezeichnung beziehungsweise Indexierung der Unterlagen vor. Während ein MDK für jedes Dokument (Arztbrief, OP-Bericht, Pflegebericht etc.) eine einzelne Datei, jedoch versehen mit Präfixen, vorschreibt, verlangt wiederum ein anderer MDK die Zusammenfassung der einzelnen Dokumente in einer einzigen PDF-Datei mit einem Leseverzeichnis.


Eine Lösung auf Basis einer EFA wird dieser zweiten Anforderung gerecht, indem die Klinikdokumente auf die Bezeichnungsvorgaben der MDK umgelegt und auch an die Anfor­derungen in der Übertragungsform ­adaptiert werden. In Abb. 2 ist ein Beispiel des Einsatzes einer EFA für diese Anforderung zu sehen; aus der geöffneten Mailnachricht sind die automatisch gesetzten Präfixe bei den Anhängen ersichtlich.


Eine FallAkte wird in diesem Anwendungsfall also als Plattform genutzt, zweckgebunden Dokumente aus den Primärsystemen zu extrahieren und an externe Dienste, den MDK, zu übertragen. Mehrwertdienste ergeben sich beispielsweise aus der „Übersetzung“ der Dokumentnamen oder der Konfektionierung von (PDF-)Dateien.


Weitere Anwendungsszenarien

Weitere Anwendungsszenarien ergeben sich aus der „klassischen“ intersektoralen Versorgung. Denn auch wenn die FallAkte durch ihre Zweckgebundenheit einen begrenzten Zeitraum zur Nutzung gemäß Fallkontext hat und damit auch das Wohlwollen der Datenschützer erhält, kann die Nutzungsdauer einer FallAkte auch länger als jene maximal 8 bis 12 Wochen sein, die für die Bereitstellung für MDK-Übertragungen nötig sind. So ist für die Kommunikation von Kliniken und Ärzten bei der Versorgung onkologischer Patienten auch eine „Aktenlaufzeit“ von bis zu fünf Jahren denkbar.


Gerade in Nordrhein-Westfalen werden, auch bedingt durch die Förderung des Landes, EFA-Systeme in unterschiedlichen Szenarien genutzt, die sich jeweils durch ihre Indikation unterscheiden und über ihren Mehrwert profilieren. Beispiele sind die Ansätze bei FALKO oder I/E-Health, die auch auf eine nachhaltig und skalierbare Nutzung abzielen.[2] In diesen Anwendungsfällen findet der Ansatz einer Leistungserbringer-geführten Akte große Zustimmung, auch weil es gelungen ist, die Primärsysteme eng mit der FallAkte zu vernetzen. Anwender sollen möglichst in ihrem System, beispielsweise dem KIS oder Archivsystem, bleiben und die intersektoralen Funktionalitäten daraus aufrufen können.

Strukturierte Daten in Aktensystemen  
Ein möglicher Grund für den bisher noch nicht flächendeckenden Einsatz von Aktensystemen liegt in deren Primat der Dokumentenverarbeitung. Ärzte, Pflegekräfte und sonstige Akteure im Gesundheitswesen benötigen jedoch strukturierte Daten, um einen Mehrwert in der „Digitalisierung“ ihrer Arbeitswelt zu erfahren. Vitalwerte oder Labordaten lassen sich besser in strukturierter Form darstellen und weiterverarbeiten, als wenn sie „statisch“ in einer PDF-Datei angezeigt werden.


Auch die Spezifikation der ePA nach § 291a sieht nur die Speicherung und den Abruf von Dokumenten vor, Interaktionen mit Primärsystemen auf Datenebene sind also in der ersten Ausbaustufe nicht möglich. Dies mag für den Anwendungsbereich einer Patientenakte sinnvoll erscheinen, bildet aber die Welt der Leistungserbringer nur unzureichend ab.


Aktensysteme für Leistungser­bringer müssen also über die reine Dokumentensicht hinausgehen und Möglichkeiten zur Verarbeitung von Inhaltselementen bieten. Auch bei diesem Ansatz zeigt sich, dass es weiterhin Leistungserbringer-geführte Systeme neben den Patientenakten geben muss.


Auch Elektronische FallAkten (EFA) sehen aktuell keine strukturierte Datenablage vor, jedoch wird beim EFA-Provider RZV der Weg hin zur Überbrückung der beiden Welten „Strukturierte Daten“ und „Aktendokumente“ gegangen. Innerhalb des Projektes NephroTeTe [3] soll eine strukturiert aufgenommene Konsilanfrage über den Weg einer FallAkte als Dokument an Fachärzte übertragen und dort in deren Systemen „restrukturiert“ werden. Der Konsilarzt sieht also nicht nur die PDF-Datei der ­Anfrage, sondern kann auch die ­übertragenen Informationsblöcke (z. B. Labor­daten) in strukturierter Form in sein IT-System übernehmen. Grundlage dieser Übermittlung stellen zwei Dokumente nach CDA-Standard (Clinical Document Architecture) dar, nämlich zum einen die Konsilanfrage und zum anderen die Konsilantwort. CDA-Dokumente bieten mit ihrer Graduierung die ideale Grundlage für diesen Use Case.


Diese CDA-Dokumente können aber nur dann weiterverarbeitet werden, wenn sie sich in möglichst vielen Primärsystemen anlegen beziehungsweise einlesen lassen. Daher wird die RZV GmbH die Vorlage für die Konsil­bearbeitung in den Prozess der allgemeinen Kommentierung innerhalb des sogenannten Interoperabilitätsforums, in dem zahlreiche IT-Hersteller vertreten sind, einbringen.[4]

FallAkten und elektronische Patientenakten
Wie lassen sich nun Leistungserbringer-geführte und elektronische Patientenakten (ePA) zusammenführen? Denn welchen Sinn macht es für Kliniken oder niedergelassene Ärzte, Dokumente in unterschiedlichen Systemen abzulegen und gegebenenfalls sogar Doppelaufwände zu investieren?
Aus dem bisher Gesagten wurde ja schon hergeleitet, dass auch ab 2021 mit dann möglichem ePA-Einsatz weiterhin Aktensysteme existieren, die ausschließlich dem Zweck zur Unterstützung der Leistungserbringer dienen. Die Herausforderung wird darin bestehen, Schnittstellen zwischen diesen beiden Aktenwelten zu definieren, die einen einfachen Austausch von Dokumenten gestatten. Da die gematik für die Anbindung von Primär­systemen auch auf IHE-Standards setzen möchte, sollte eine Kopplung mit IHE-basierten Aktensystemen von Leistungserbringern möglich sein. Prof. Haas hat in der Studie der Bertelsmann Stiftung auch diesen Weg beschrieben, der schematisch in Abb. 3 dargestellt ist.


Elektronische FallAkten bieten in der Spezifikation 2.0 genau diesen Anspruch einer IHE-basierten Kommunikationsschnittstelle und könnten damit Leistungserbringern den Weg hin zu ePAs nach § 291a bieten. Ähnlich wie im oben beschriebenen Szenario mit unterschiedlichen MDK könnten auch unterschiedlich konfektionierte Patientenakten angebunden und den Leistungserbringern über
eine visuell intuitiv zu bedienende Inhaltspräsentation zur Verfügung gestellt werden. Die Kunst wird auch dann darin liegen, die in Patientenakten zahlreich vorhandenen Unterlagen mittels verfügbarer Metadaten (den „Schlagwörtern“) für den jeweiligen Kontext des Leistungserbringers zu filtern und diesem einen schnellen Zugriff auf die benötigten Dokumente zu gestatten. FallAkten nutzen schon heute die in den § 291a-Akten vorgeschriebenen Metadaten in Form von IHE Value Sets, „verstehen“ also die Sprache der Dokumentenverarbeitung in Patientenakten.

 

Markus Stein

Strategisches Produktmanagement, RZV Rechenzentrum Volmarstein GmbH
Präsidiumsmitglied der GMDS e.V.

 

Referenzen
[1] Siehe hierzu https://connectathon-results.ihe.net/ (zuletzt aufgerufen am 12.2.2019) und http://www.fallakte.de/index.php/efa20 (zuletzt aufgerufen am 12.2.2019)
[2] FALKO unterstützt die onkologische Versorgung zwischen Kliniken und Praxen (siehe https://falko.nrw/, zuletzt aufgerufen am 12.2.2019); I/E-Health soll den nachhaltigen Einsatz in unterschiedlichen Modellregionen mit differenzierter Indikation demonstrieren (siehe https://ie-health.nrw/, zuletzt aufgerufen am 12.2.2019)
[3] Siehe https://nephrotete.de/ (zuletzt aufgerufen am 12.2.2019)
[4] Siehe die Struktur im HL7-Wiki unter https://wiki.hl7.de/index.php?title=IG:NephroKonsilAnfrageBericht (zuletzt aufgerufen am 12.2.2019)