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How-to Patienteneinwilligung: So macht's Berlin

Für eine digitale Vernetzung über Einrichtungen und Träger hinweg ist ein datenschutzkonformes, gleichzeitig möglichst schlankes und alltagstaugliches Einwilligungsmanagement eine Conditio sine qua non. In Berlin machen die digital zunehmend enger kooperierenden Krankenhausschwergewichte Charité und Vivantes jetzt vor, wie sich Träger-Egoismen überwinden und gemeinsame Lösungen finden lassen können.

Quelle: © eHealth.Business GmbH

I nnovative digitale Lösungen in den Klinikalltag zu etablieren, bedeutet immer auch die Koordination technischer, organisatorischer sowie rechtlicher Rahmenbedingungen. Die technische Umsetzung von neuen organisatorischen Abläufen an den Arbeitsplätzen muss unter der Berücksichtigung der (datenschutz-)rechtlichen Anforderungen erfolgen. Beim digitalen Austausch medizinischer Daten über digitale Plattformen sollen Patient:innen die entscheidende Instanz sein und selbst darüber bestimmen, wer ihre Gesundheitsinformationen digital abrufen kann. In der IT-Kooperation von Charité und Vivantes machen beide Kliniken vor, wie ein datenschutzkonformes Einwilligungsmanagement in der digitalen Vernetzung aussehen kann.


Die Mehrwerte, die durch einen ­digitalen Austausch von Behandlungsinformationen allein in der Versorgung entstehen, sind vielfältig: Doppeluntersuchungen werden vermieden, relevante Behandlungsinformationen liegen zeitnah und ortsunabhängig vor und die Weiterbehandlung von Patient:innen kann auf einer vollständig verfügbaren Datengrundlage erfolgen. Niemand muss die Behandlungsdokumente mehr von Klinik zu Klinik tragen. Vielmehr werden die relevanten Informationen durch das Erteilen einer Einwilligung im Aufnahmeprozess der Klinik freigegeben. Genau an diesem Punkt setzen aber auch die Herausforderungen des Einwilligungsmanagements an: Welche Daten dürfen für wen und wie lange freigegeben werden? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Austausch möglich wird? Wie kann technisch sichergestellt werden, dass Patient:innen den Informationsaustausch durch einen Widerruf stoppen können? Und was passiert mit bereits ausgetauschten Informationen im Sinne der ärztlichen Dokumentationspflicht?


Im Rahmen der IT-Kooperation von Charité und Vivantes wurden genau diese Fragen erfolgreich beantwortet und technisch korrekt umgesetzt. Durch das Projekt „Digitaler Austausch von Behandlungsdokumenten“ der IT-Kooperation von Charité und Vivantes können gesetzlich versicherte Patient:innen, die entweder in einem Vivantes-Haus oder an einem Standort der Universitätsklinik behandelt wurden, ihre Dokumente für die jeweils anderen Einrichtungen freigeben. Dadurch werden Verlegungs- und Aufnahmeprozesse beschleunigt, und sie binden weniger Ressourcen. Für die Weiterbehandlung mitentscheidende medizinische Daten stehen sofort und in hoher Qualität zur Verfügung.


 In einem ergänzenden, zweiten Projekt sollen medizinische, strukturierte Daten zu Patient:innen zwischen Kliniken der beiden Krankenhausträger ebenfalls digital ausgetauscht werden, um bereits erhobene medizinische Informationen, wie zum Beispiel Laborwerte und erfasste Vitalparameter, in der aktuellen Behandlung zu berücksichtigen. Medizinische Daten der Versorgung werden so für den
Mit-, Weiter- oder Nachbehandelnden digital und strukturiert am klinischen Arbeitsplatz verfügbar. Medizinisch prozessuale Folgeaktivitäten können somit direkt digital initiiert werden.


Umsetzung des Einwilligungsmanagements
Die Übermittlung von Patientendaten kann nur unter den folgenden beiden Voraussetzungen erfolgen. Entweder ist die Datenübermittlung gesetzlich abgesichert oder der Patient bzw. die Patientin willigt nach entsprechender Aufklärung in die digitale Übermittlung seiner medizinischen Dokumente und Daten ein. Die Prozesse zur Einwilligung der Patient:innen wurden in bereits bestehende, etablierte Prozesse integriert, um die organisatorischen Aufwände gering zu halten und die Etablierung im klinischen Alltag zu erleichtern.


Gesetzlich versicherte Patient:innen, die in beiden Kliniken stationär aufgenommen und behandelt wurden, können seit Mai 2021 vom digitalen Austausch von Behandlungsdokumenten profitieren. Grundlegend für den Informationsaustausch zwischen den beiden Kliniken ist die beiderseitige Einwilligung. Patient:innen willigen in beiden Kliniken ein und entbinden jeweils die behandelnden Ärzt:innen von der Schweigepflicht. Dieser Prozess ist Teil des etablierten Einwilligungsmanagements im Rahmen des Behandlungsvertrages. Erfolgt die Einwilligung seitens des/der Patienten/Patientin, wird diese Information technisch im KIS erfasst und an die an das Krankenhausinformationssystem angebundenen Interoperabilitätssysteme übermittelt. Entsprechend der Vorgaben der dafür relevanten  IHE-Profile (Integrating the Healthcare Enterprise) und den darin beschriebenen Standards wird die technische Information zur Einwilligung erstellt und so der digitale Dokumentenaustausch freigegeben.


Im Klinikalltag gestaltet sich ein beispielhafter Ablauf wie folgt: Ein:e Patient:in wird in der Charité stationär aufgenommen, im Gespräch stellt die Aufnahmekraft daraufhin fest, dass ein stationärer Aufenthalt bei der Vivantes erst wenige Monate zurückliegt. Der/die Patient:in berichtet, in der Vivantes-Klinik in den digitalen Austausch von Behandlungsdokumenten eingewilligt zu haben. Nach einer Aufklärung willigt er/sie auch in der Charité ein. Die Aufnahmekraft erfasst ihre Einwilligung am Stationsrechner. Über einen Absprung aus dem Krankenhausinformationssystem hat das behandelnde medizinische Personal anschließend Zugriff auf die lokalen Dokumente sowie die externen Dokumente des Vivantes-Aufenthaltes. Die relevanten Dokumente werden abgerufen, in die eigenen Systeme übernommen und können direkt in die Behandlung einbezogen werden.


Die eindeutige Identifikation der gesetzlich versicherten Patient:innen zwischen Charité und Vivantes erfolgt innerhalb jedes Klinikums über die XAD-PID und bei der gegenseitigen Abfrage über die lebenslang unveränderliche Krankenversicherungsnummer (KVNR). Auf diese Weise wird ausgeschlossen, dass Informationen von Patient:innen vertauscht und falsche Informationen über eine:n Patienten:in ausgegeben werden.


Der Einwilligungsstatus, den der/die Patient:in erteilt, lässt sich jederzeit von den jeweiligen Patient:innen verändern. Entscheiden sich Patient:innen im Nachhinein gegen den digitalen Austausch ihrer Behandlungsinformationen, ist der Widerruf in einer der beiden Kliniken ausreichend. Nach der technischen Erfassung am klinischen Arbeitsplatz ist der beiderseitige Datenaustausch umgehend gesperrt. Dokumente, die bereits in die lokalen Systeme der Kliniken (und somit in die Patientenakte) übernommen wurden, werden dadurch nicht gelöscht. Im Sinne der ärztlichen Dokumentationspflicht sind diese als Datengrundlage für die Behandlungsentscheidungen zu sehen und dürfen daher nicht aus der Patientenakte entfernt werden.


Datenschutz vs. Machbarkeit im klinischen Alltag

Datenschutzrechtlich geprüft und freigegeben wurde das Vorhaben von den Konzerndatenschützer:innen beider Kliniken. Die Herausforderung in der Umsetzung aus rechtlicher Sicht bestand darin, die sensiblen Patientendaten zu schützen und gleichzeitig die Mehrwerte des digitalen Dokumentenaustauschs auszuschöpfen.


Die Etablierung des Einwilligungsmanagements für den digitalen Austausch von Behandlungsdokumenten erfolgte auf Basis datenschutzrechtlicher Vorgaben. Um die Etablierung für das klinische Personal so unkompliziert wie möglich zu gestalten, wurde auf bestehende Prozesse aufgebaut und diese erweitert. Neben der Zusammenarbeit mit den Konzerndatenschützer:innen und dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit war daher auch die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Abteilungen in den Kliniken besonders wichtig.


Mit dem Behandlungsvertrag als Rechtsgrundlage konnte auf gefestigte Prozesse aufgesetzt werden, um zusätzliche Arbeitsschritte und Aufwände möglichst gering zu halten. Hier wurde für beide Kliniken ein individuelles Vorgehen erarbeitet. In der Charité erfolgt die Erfassung der Einwilligung der Patient:innen über das Krankenhausinformationssystem. Neben den Einwilligungen zu anderen Anwendungsfällen wird hier auch die Einwilligung zum Dokumentenaustausch im Rahmen der IT-Kooperation direkt technisch erfasst und die technischen Einwilligungsinformationen werden an das IHE-Archiv übergeben.


Nach der technischen Erfassung wird die Einwilligung fester Bestandteil des Behandlungsvertrages und in dieser Form den Patient:innen ausgehändigt. Bei Vivantes erfolgt die Erfassung der Einwilligung und Entbindung von der Schweigepflicht im digitalen Behandlungsvertrag der Patientenakte. Die Einwilligung wird anschließend technisch extrahiert und die Einwilligungsinformationen werden in das IHE-Archiv übermittelt.


Erfolgsfaktoren der Umsetzung
Die IT-Kooperation von Charité und Vivantes zeigt deutlich, welche Erfolgsfaktoren in Digitalisierungsprojekten wirklich relevant sind: Bei der Umsetzung von digitalen Innovationen geht es in erster Linie darum, den klinischen Alltag zu verbessern und Prozesse so zu optimieren, dass Patient:innen und medizinisches Personal davon profitieren. Am Ende geht es darum, die medizinische Qualität in der Versorgungskette zu verbessern, den ökonomischen Nutzen für die Leistungserbringer:innen zu steigern und die Mitarbeiter:innen von ungeliebten administrativen Aufgaben zu entlasten.


Dies funktioniert nur, wenn die Akteure, die tagtäglich mit den Systemen arbeiten, auch in die Gestaltung und Abstimmung der Prozesse involviert sind. Für neu eingeführte Prozesse, die sich erst in den klinischen Alltag etablieren müssen, muss das medizinische Personal explizit geschult werden. Damit geht ein erheblicher Aufwand für die eigentliche Zielgruppe einher, in der anfangs kein Mehrwert erkennbar ist. Um digitale Innovationen zum Erfolg zu führen, ist aber genau diese Motivation, die aus dem Erkennen eines Mehrwertes für den Arbeitsalltag in Kliniken entsteht, entscheidend. Nur so können die Möglichkeiten zur Optimierung der Behandlung über das medizinische Personal an die Patient:innen gebracht werden.


Die Umsetzung im klinischen Alltag zur direkten Optimierung der Patientenversorgung ist nur ein Aspekt des Erfolges von Digitalisierungsprojekten. Darüber hinaus ist es von wesentlicher Bedeutung, dass auch nationale Lösungen von Forschungsvorhaben wie die der MII (Medizininformatik-Initiative) oder Lösungen des Forschungsnetzwerkes der Universitätsmedizin zu COVID-19 (NUM) mit in die Lösung eingeflossen sind. Ein integratives und abgestimmtes Vorgehen, sowohl in Bezug auf die Versorgungs- als auch auf die Forschungsseite, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Umsetzung von Digitalisierungs- und Vernetzungsprojekten in Kliniken.


Eine frühzeitige Involvierung von Datenschützer:innen im Unternehmen und auf Landesebene ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt der erfolgreichen Umsetzung. Nur so können datenschutzrechtliche Anforderungen früh in der Projektumsetzung in technische Umsetzungen und organisatorische Prozesse aufgenommen werden. Die Nichtbeachtung führt hingegen oftmals zu Anpassungen an bereits implementierten Systemen und Prozessen, was Verzögerungen und Kostensteigerungen mit sich bringt.