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Integrierte Versorgung: Reif fürs Festland

Digitale Insellösungen im Bereich Integrierte Versorgung hatte das deutsche Gesundheitswesen mehr als genug. Wir haben den Kongress des Bundesverbands Managed Care (BMC) und den Nationalen Fachkongress Telemedizin der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) besucht, um zu klären, wo die Landbrücken bleiben.

Bild: © Thomas – stock.adobe.com, 359020049, Stand.-Liz.

Die digital integrierte Versorgung in Deutschland ist – wie so vieles andere auch – noch ausbaufähig. Doch es scheitert oft daran, diese endlich in die Regelversorgung zu bringen. Woran liegt das? Je nachdem, wen man fragt, sind immer die anderen schuld: mal die Ärzt:innen, weil sie die Digitalisierung blockierten, mal die Patient:innen, weil sie noch nicht überzeugt seien, mal die Politik, weil sie falsche oder nicht ausreichende Rahmenbedingungen schaffe und die Vergütung häufig unklar sei. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Sicher ist, dass es auf allen Seiten nicht an Beteuerungen mangelt, nun endlich Schwung in die Sache bringen zu wollen.


Die ePA: In Sachen integrierte Versorgung bisher kein Tiger
Welchen Nutzen die sektorenübergreifende Versorgung für das Gesundheitssystem haben könnte, wird immerhin von keiner Seite angezweifelt. Das Potenzial für eine bessere Patientenversorgung ist groß und vielfältig: Versorgungslücken könnten geschlossen, unnötige Untersuchungen vermieden, Krankenhauseinweisungen reduziert und – so die nicht selten unausgesprochene Hoffnung – Kosten verringert werden. Unstrittig ist auch, dass dabei die Patient:innen und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen müssen.


Projekte, um endlich die Silos von ambulanter und stationärer Versorgung zu verbinden, gibt es allerhand und von unterschiedlichsten Akteuren. Eine Krankenkasse, die sich in den letzten Jahren beim Vorantreiben der digitalen integrierten Versorgung profiliert hat, ist die Techniker Krankenkasse (TK). Als eine der ersten Kassen hatte sie ihren Versicherten ihre elektronische Patientenakte (ePA) TK-Safe angeboten. Die ePA wird gemeinhin als eine der wichtigsten In­strumente angesehen, um die Reibungsverluste beim Datentransfer über Sektorengrenzen hinweg zu überwinden. Patient:innen könnten nämlich darin enthaltene Dokumente ihren Behandler:innen zur Verfügung stellen. So weit die Theorie, die Praxis scheitert derzeit daran, dass die Akte schlicht noch nicht ausreichend genutzt wird. Grund ist, dass Ärzt:innen oft noch nicht die dazu notwendige technische Ausstattung haben, um darin Informationen hochzuladen oder sie abzurufen. Außerdem ist die ePA in der Bevölkerung noch nicht ausreichend bekannt.  


Regionale Gesundheitszentren als Sektorendrehscheibe?

Gerade für medizinisch unterversorgte Regionen ist die intersektorale Versorgung ein Hoffnungsträger, an den hohe Erwartungen geknüpft sind. Außerhalb der Ballungsgebiete wird es angesichts eines fortschreitenden demografischen Wandels, der gleichzeitig auf einen akuten Ärztemangel und schließende Krankenhäuser trifft, immer schwieriger, die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. Die TK macht sich daher für die Schaffung eines neuen sektorenübergreifenden Versorgungsbereichs stark. Herzstück sollen sogenannte Regionale Gesundheitszentren (RGZ) sein. Vorgesehen ist, dass diese die Akut- und Notfallversorgung und Leistungen der ambulanten und stationären (Grund-)Versorgung sowie den Rettungsdienst abdecken, optional auch Angebote zur Pflege vorhalten und in der Region eine wohnortnahe Versorgung ermöglichen. Ist ein Landstrich unterversorgt, könnte das RGZ zusätzliche Elemente der Ferndiagnostik, -behandlung, -überwachung und -betreuung bereitstellen.


Damit ermöglichen die RGZ eine optimierte Koordination (Sicherstellung des adäquaten Behandlungspfads), Kooperation (zum Beispiel Fallbesprechungen, Qualitätszirkel) und Kommunikation zwischen den verschiedenen an der Versorgung beteiligten Akteuren. Darüber hinaus ist die telemedizinische Anbindung an überregionale Zentren denkbar. Für die notwendige Einrichtung und Pflege der digitalen Infrastrukturen wäre das RGZ zuständig. Klar ist: Ein solches Modell würde die derzeitige Versorgungsstruktur in vielen Bereichen komplett über den Haufen werfen.


Manchmal reicht klein und fein

Doch es muss nicht immer gleich der große Wurf sein, um Sektoren miteinander zu verbinden. Manchmal reichen auch schon kleine, feine Lösungen. So hat das Unternehmen Doctolib den kostenfreien Messenger Doctolib Team entwickelt. Der DSGVO-konforme Messenger wurde speziell für die Koordination und Zusammenarbeit unter Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräften entwickelt und ermöglicht den verschlüsselten Austausch von Nachrichten, Dokumenten und Anhängen. Damit soll die Zusammenarbeit zwischen Fachkolleg:innen an gemeinsamen Fällen und Überweisungen erleichtert werden. Weiterhin bietet der Messenger einen Zugang zu einem intersektoralen Verzeichnis von mehr als 350 000 Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräften in Deutschland. Die Technik lässt sich ohne viel Aufwand effektiv einsetzen. Sie konkurriert mit dem in Entstehung befindlichen KIM-Netzwerk, das auf
E-Mail setzt.


Eine andere, schnell umsetzbare Lösung wird neuerdings von Helios Health angeboten: Der Konzern hat Anfang April ein neuartiges Konzept zur weltweiten Verbesserung der Gesundheitsversorgung vorgestellt: Der CUBE ist eine sogenannte „Walk-in-Lösung“ in Form einer wenige Qua­dratmeter großen Einheit, in der ­Patient:innen eine Betreuung  per Video­sprechstunde erhalten, während sie an sich selbst diagnostische Verfahren anwenden. Zu der zur Verfügung stehenden Diagnostik gehören etwa Röntgen, Ultraschall, Blutdruck- und Augeninnendruckmessung in einer physischen Einheit. Die Nutzer:innen werden während ihres CUBE-Besuchs von Fachkräften angeleitet. Die bei den Untersuchungen gewonnenen Daten werden kooperierenden Ärzt:innen über die Curalie-App übermittelt, damit möglichst nahtlos nach dem Besuch in einem CUBE eine weiterführende Therapie begonnen werden kann – in welchem Sektor auch immer.


Projekte scheitern an bürokratischen Hürden
Die Beispiele zeigen, dass es nicht an guten Ideen mangelt. Doch wie sieht es mit der Übernahme in die Regelversorgung aus? Die Antwort lautet: Eher mau, denn irgendwo auf dem Weg dorthin versanden viele Projekte. Dabei hatte man vonseiten der Regierung beispielsweise mit der Einrichtung des Innovationsfonds vermeintlich viel dafür getan, dass genau das nicht passiert. Woran es immer wieder hakt, zeigte Prof. Dr. Neeltje van den Berg, stellv. Leiterin der Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health am Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald und DGTelemed-Vorstandsmitglied, beim 12. Nationalen Fachkongress Telemedizin auf.


Mangelhaft durchgeführte Evaluationen der Antragsteller, aber auch intransparente Entscheidungsprozesse aufseiten des für das Durchwinken der Projekte zuständigen G-BA, führten häufig zu negativen oder nur eingeschränkten Empfehlungen. Hinzu kommt, dass es an konkreten Aufträgen durch den G-BA an Ministerien, Fachgesellschaften oder Verbänden mangelt, so van den Bergs Beobachtung. Ihre Kritik: „Antragsteller können gegen negative Empfehlungen nicht vorgehen. Außerdem hat es keine Folgen, wenn Projekte, die positiv bewertet wurden, es nicht in die Regelversorgung schaffen.“


Geldvernichtungsmaschine Innovationsfonds?
Bis heute wurden bereits zwei Milliarden Euro vom Innovationsfonds für Projekte abgerufen. Bis Ende 2024 werden es 2,2 Milliarden sein, ob es danach weitergehen wird mit dem Fonds, ist derzeit noch offen. Tatsache ist: Kritik am Innovationsfonds ist bisher nur leise zu vernehmen, wenn überhaupt. Zu viele, die im Gesundheitswesen eine vernehmbare Stimme haben, profitieren von diesem Geldsegen. Tatsache ist aber auch:  Wenn am Ende nicht nur negativ evaluierte Projekte in der Versenkung verschwinden, sondern auch positiv evaluierte Projekte aufgrund von Formalien oder bürokratischen Hürden nicht in der Regelversorgung ankommen, dann wird der Fonds vielleicht doch als eine gigantische Geldverschwendung in die deutsche Medizingeschichte eingehen.
Um in den Prozess endlich Beschleunigung zu bringen, wird der Ruf nach einer staatlichen Digitalisierungsagentur, die die Projekte in die Regelversorgung pusht, immer lauter. Die ist bisher allerdings nicht mehr als ein Schlagwort – jede/r, die/der es benutzt, versteht darunter etwas anderes. Ohnehin dürfte ein neuer Player alleine nicht viel reißen, sei er von staatlicher, ärztlicher oder Patientenseite. Soll eine digital integrierte Versorgung ins Rollen gebracht werden, wird eine gemeinsame Anstrengung notwendig sein. Die müssen dann allerdings auch alle wollen.

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Projekt "IKK Kopfschmerz": Intersektorale Versorgung von MigränePatient:innen
Wie eine digital gestützte, intersektorale Versorgung konkret aussehen kann, zeigt das Projekt „IKK Kopfschmerz“ zur Behandlung von Migränepatient:innen, das das Kopf-schmerzzentrum Frankfurt in Zusammenarbeit mit der IKK classic und Thieme TeleCare initiiert hat. Ziel ist, die Chronifizierung von Kopfschmerzen zu vermeiden, die Behand-lungsqualität zu verbessern sowie eine nichtmedikamentöse Prophylaxe zu etablieren, die die Notwendigkeit zur Gabe von Medikamenten minimiert.

Dazu hatte die Krankenkasse Betroffene angeschrieben und sie zu einem Programm eingeladen, das ihnen eine telemedizinische Betreuung durch Ärzt:innen, eine regel-mäßige telefonische Beratung durch ausgebildete Gesundheitscoaches und die Unter-stützung des Selbstmanagements durch eine App anbietet. Die hybride Versorgung durch geschultes Personal, den regelmäßigen Kontakt zu den Patient:innen und die, falls notwendig, Hilfestellung durch medizinische Expert:innen des Kopfschmerzzentrums Frankfurt und die Überprüfung der erreichten Ziele, all das zusammen führte zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands zahlreicher Teilnehmer. Darüber hinaus gab die Mehrzahl an, sich in der individuellen Gesundheitssituation besser abgeholt zu fühlen.

www.ikk-classic.de/pk/leistungen/behandlungen/kopfschmerzen