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Krankenhaus-IT um Umbruch

Mit der DigitalRadar Basisauswertung wurde eine wichtige KHZG-Hürde genommen. Für viele Kliniken freilich fängt die Arbeit gerade erst an, ob bei Patienteneinbindung, Interoperabilität, dem Entlassmanagement oder der ISiK-Umsetzung. Zu den Erfolgsfaktoren in den derzeitigen digitalen Gründerjahren der Krankenhausdigitalisierung zählen Strategie und Projektmanagement.

Foto: © Philipp Grätzel von Grätz

Die Krankenhausstudie von Roland Berger hatte dieses Jahr einen Schönheitsfehler: Im Spätsommer vorgelegt, basierte sie auf einer Befragung im Mai und Juni 2022 – kurz bevor die Energiekrise und ihre Auswirkungen (auch) im Krankenhaussektor mit voller Wucht sichtbar wurden. Beim 16. Meeting am Meer der Digital Avantgarde GmbH Mitte September in Heiligendamm fasste Janes Grotelüschen, Partner bei Roland Berger, die „Sommerdaten“ nochmals kurz zusammen: 96 % der befragten Krankenhausmanager:innen gaben schon im Frühjahr an, dass sie eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in den nächsten fünf Jahren erwarteten. So viele waren es noch nie: In den Jahren 2017 und 2018 betrug die Quote „nur“ 60 %, kurz vor und dann während der Corona-Pandemie lag sie bei 70-80 %. Immerhin 69 % der Krankenhäuser erwarten demnach für das laufende Jahr ein Defizit, nur 18 % rechnen mit einem Überschuss. „Das wäre in anderen Industrien nicht vorstellbar“, so Grotelüschen. Bei der Frage, was die derzeitige Situation bedeutet, gab es große Einigkeit. Nur 4 % sehen den Ausweg in weiteren Privatisierungen. 31 % erwarten noch stärkere Verbundbildung. Und 65 % gehen von vermehrten Krankenhausschließungen aus.


IT-Budgets sind deutlich gestiegen
Die spannende Frage ist natürlich, was der von vielen als „kalter Strukturwandel“ empfundene Umbau der Krankenhauslandschaft für die Digitalisierung der Kliniken bedeutet. Hierzu hatte Grotelüschen ganz aktuelle Daten im Gepäck, die in diesen Tagen als Teil einer weiteren Roland Berger Studie, des IT-Monitors, veröffentlicht werden. Die Zahlen zeigen vor allem, dass mittlerweile – das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) hat daran seinen Anteil – in der Tat substanziell mehr Geld in die Krankenhaus-IT fließt als noch vor wenigen Jahren. Der Anteil der IT-Kosten am Gesamtumsatz beträgt dem IT-Monitor zufolge 2,2 % im Jahr 2022, das sind relativ 16 % mehr als im Vorjahr und fast 50 % mehr als 2017.


Geld ist also zunehmend da, auch wenn in Heiligendamm daran erinnert wurde, dass der Umsatzanteil der IT-Kosten zum Beispiel in den Niederlanden mit 5,7 % noch mal deutlich höher liegt. Was in vielen deutschen Krankenhäusern derzeit vor allem fehlt, ist eine zielführende Strategie für die Investition der für die IT zur Verfügung stehenden Mittel. Den Daten des IT-Monitors zufolge haben Stand Herbst 2022 immer noch 44 % aller Krankenhäuser entweder gar keine IT-Strategie oder aber eine IT-Strategie, die nicht in die allgemeine Unternehmensstrategie integriert ist.


Für Prozessthemen fehlt es an Kapazitäten

Grotelüschen betonte, dass Krankenhäuser in Zeiten deutlich steigender IT-Budgets zunehmend rechtfertigen müssten, dass dieses Geld gut angelegt ist. „Um Mehrwerte aus den IT-Ausgaben zu generieren, müssten sich die IT-Abteilungen eigentlich stark auf Prozessthemen bzw. Krankenhausprozesse konzentrieren“, so der Berater. Genau das falle vielen aber schwer, und der Grund seien mangelnde Kapazitäten. Viele Häuser seien mit der Aufrechterhaltung des Basisbetriebs und der IT-Sicherheit so stark ausgelastet, dass die Verbesserung von Prozesseffizienz und Versorgungsqualität sowie die wichtige Entwicklung neuer, digitalisierungsbasierter Geschäftsmodelle weitgehend oder komplett hinten runterfalle.


Für Grotelüschen ist die zunehmende Nutzung von Cloud-Anwendungen mit der damit einhergehenden Personalentlastung eine denkbare Möglichkeit, personelle Freiräume für Prozessthemen zu schaffen. Und tatsächlich geben im Roland Berger IT-Monitor immerhin 53 % der Häuser an, in unterschiedlichen Bereichen einen Wechsel in Richtung Cloud-Anwendungen zu erwägen. Interessanterweise sind es die mittelgroßen Häuser mit 500 bis 1 000 Betten, die dem Thema am aufgeschlossensten gegenüberstehen: Immerhin 75 % spielen hier mit dem Gedanken, stärker in die Cloud zu gehen. Als besonders Cloud-geeignet angesehen werden Verwaltungssysteme (67 % Zustimmung) und Arbeitsplatzdienste wie E-Mail (72 % Zustimmung). Immerhin 43 % sehen aber auch das KIS als Kandidaten für die Cloud an, 58 % andere klinische IT-Systeme.


Handlungsfeld Patienteneinbindung
Die KHZG-Förderung kann genutzt werden, um Cloud-Anwendungen im Krankenhaus voranzubringen. Es gibt dafür mit Fördertatbestand (FTB) 7 sogar ein eigenes KHZG-Kapitel. Cloud-Anwendungen können aber auch in anderen FTB zumindest eine Teilkomponente sein, zum Beispiel bei der IT-Sicherheit, bei Patientenportalen oder bei der Entscheidungsunterstützung.


Eines der Handlungsfelder, das im KHZG-Prozess breiten Raum einnimmt, ist der FTB 2, der sich um Patientenportale dreht. Dass es hier einiges zu beachten gibt, machte Bodo Hubl von m.Doc deutlich, einem Marktführer für Patientenportale in Deutschland. Das Unternehmen versorgt nach eigenen Angaben mehr als 300 Einrichtungen mit rund 47 000 Betten mit Portallösungen, die, so Hubl, eigentlich keine „Portale“, sondern „modulare Smart-Health-Plattformen“ seien. Anders gesagt: Portal alleine reicht nicht aus. „Ein maximal patientenzentriertes Portal ist nur durch Content und dessen zielgerichtete Aussteuerung realisierbar.“


Dabei geht es um unterschiedliche Arten von Content, von allgemeinen Informationen über indikationsspezifische, medizinische Inhalte inklusive Fragebögen und patient-reported outcome/experience measures (PROM/PREM) bis hin zu prozessunterstützenden Unterlagen und Entertainment-Angeboten. Der Trick an der Sache sei, so Hubl, diesen Content einerseits individuell entlang des jeweiligen Behandlungspfads auszuspielen, andererseits, um den Aufwand überschaubar zu halten, so viel zu standardisieren wie möglich.


Das Unternehmen m.Doc baut dazu seit Frühjahr ein eigenes Content Creation Team auf. Aber auch aufseiten der medizinischen Einrichtungen gibt es derartige Aktivitäten. Besonders attraktiv ist das für große Häuser bzw. Verbünde, wie Dr. Marc Heiderhoff vom St. Franziskus-Hospital Münster verdeutlichte. Das Haus ist Teil der St. Franziskus-Stiftung mit aktuell 14 Krankenhäusern. Heiderhoff baut in diesem Kontext seit rund einem Jahr das Institut für Krankenhausinformationsmanagement Münster (IKiM) auf, aktuell ein Dreipersonenbetrieb.


Ziel des IKiM sei es, für unterschiedliche klinische Bereiche – derzeit sind Geburtshilfe und Senologie die Arbeitsschwerpunkte – Portal-Content für alle 14 Häuser zentral anzubieten und auch aktuell zu halten. Dazu gehören Informationsmodule, aber auch Checklisten, Terminbuchungsmodule, Therapie- und Medikationspläne und einiges mehr. Ausgespielt werden die Inhalte, die viele multimediale Komponenten enthalten, über eine Patienten-App, die wiederum mit dem Patientenportal interagiert und entsprechend auch die intersektorale Kommunikation unterstützen kann.


Handlungsfeld intersektorale Vernetzung
Die Verbesserung und Digitalisierung der intersektoralen Kommunikation einschließlich einer digitalen Umsetzung des Entlassmanagements ist ein weiteres, durch das KHZG befeuertes IT-Großthema für viele Krankenhäuser in Deutschland. Auch an diesem „Entlass-Ende“ des stationären Aufenthalts setzt sich die klassische Klinik-IT zunehmend in Portale oder Plattformen fort, die die Brücke über die digitalen Mauern der stationären Einrichtung hinaus ins ambulante oder rehabilitative Umfeld spannen.


Eine recht weit verbreitete Plattform, die das leisten kann, ist Recare. Sie sei derzeit bei 660 Krankenhäusern im Einsatz und verbinde diese mit etwa 16 000 nachgelagerten Leistungserbringern, unterstützt von aktuell 26 Krankenkassen, berichtete Recare Sales Director Nico Gollnick. Die große Herausforderung beim Entlass- und Überleitungsmanagement bestehe darin, die Nachversorger im Boot zu behalten. Daher sehe man die Plattform nicht so sehr als ein Produkt, sondern als eine Dienstleistung, bei der sich das Unternehmen wesentlich auch darum kümmere, die jeweils relevanten Nachversorger ins Netzwerk zu bekommen: „Wir messen auch das betriebswirtschaftliche Potenzial, das dahintersteht und prüfen zum Beispiel vorab, wie viele Case-Mix-Punkte bzw. wie viele Liegetage erreichbar sind“, so Gollnick.
Im Kontext des Entlass- und Überleitungsmanagements ist der Sozialdienst ein Bereich, in dem viele Krankenhäuser Bedarf an Prozessoptimierung und Digitalisierung sehen. Recare ist hier in einem aktuellen Projekt mit den BG Kliniken engagiert, über das deren CIO Heiko Hauptmann berichtete. Der Sozialdienst sei bei den digital an sich fortschrittlichen BG Kliniken bisher ein Hort von Fax und Telefon gewesen, so Hauptmann. Durch den Umzug auf eine digitale Plattform mit Einbeziehung der relevanten Nachversorger habe sich die Geschwindigkeit der Patientenvermittlung wesentlich erhöht. Ein Erfolgsfaktor für digitale Sozialdienstprojekte ist einmal mehr die Berücksichtigung der kompletten Prozesskette. Und die fängt nicht erst im Büro des Sozialdienstes an, sondern schon lange vorher, dort, wo die Patienten versorgt werden, in den klinischen Abteilungen. Umgekehrt ermöglicht es die Digitalisierung sozialdienstrelevanter Prozesse, Daten an die jeweiligen Chefärzte zurückzuspielen und so für mehr Transparenz hinsichtlich der Nachversorgung zu sorgen.


Handlungsfeld Datenplattformen
Prozesse im Krankenhaus mithilfe von Daten zu adressieren und zum Nutzen von Mitarbeiter:innen wie Patient:innen zu verbessern, das ist so etwas wie der Heilige Gral der Digitalisierung der stationären Medizin. Dass das mit den Daten allerdings nicht so ganz einfach ist, machte Dr. Nils Hellrung von der vitagroup deutlich. Das Unternehmen betreibt zum einen Callcenter mit bürgerbezogenen Gesundheitsservices, konkret die 116 117-Hotline im ambulanten Sektor. Zum anderen bietet es im stationären Bereich ein Clinical Data Repository (CDR) an: „Das Versprechen, wonach mehr Daten automatisch eine bessere Versorgung bedeuten, ist ein Trugschluss. Aktuelle Daten aus den USA zeigen, dass nur 22 % der klinischen Daten semantisch korrekt verstanden werden, wenn sie über verschiedene IT-Systeme von mehr als einem Hersteller hinweg ausgetauscht werden.“


Auch 2022 sei das dominierende Geschäftsmodell in der Krankenhaus-IT immer noch die Abhängigkeit. Nach dem Modell des Coca-Cola-Konzerns, der sein Rezept nicht verrate, setzten Krankenhaus-IT-Unternehmen auf proprietäre Datenmodelle und machten aus Schnittstellen einen Business Case. In Deutschland sei dieses Problem ausgeprägter als in anderen Ländern, so Hellrung: „Teilweise treten die gleichen Firmen im europäischen Ausland ganz anders auf als in Deutschland.“ Wer im Krankenhaus Prozesse IT-systemübergreifend optimieren wolle, der müsse Anwendungen und Daten voneinander trennen, sprich ein CDR nutzen, gab sich Hellrung überzeugt. Das CDR der vita­group nutzt für den herstellerunabhängigen Austausch von Gesundheitsdaten das IHE-XDS.b-Profil und den HL7-FHIR-Standard. Für die herstellerunabhängige Speicherung der Daten kommt openEHR zum Einsatz, das in Deutschland u. a. von der Medizininformatik-Initiative genutzt wird.


Daten aus Quellformaten wie FHIR können dabei über eine sogenannte CDR Bridge in openEHR übertragen werden und umgekehrt. Wer mit den Daten arbeiten und sie nicht exportieren will, kann einen CDR Viewer nutzen, der unterschiedliche Aggregationen und Visualisierungen ermöglicht. „Wir empfehlen allen Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten, ein CDR einzuführen als Basis für andere Anwendungen“, so Hellrung. „Das ist ein Datensatz, den die Kunden auch dann noch voll unter Kontrolle haben, wenn die Abwendungen darüber verändert oder abgeschaltet werden.“


Handlungsfeld ISiK

Um mehr Interoperabilität im stationären Sektor geht es auch beim gematik-Standard ISiK. Das Kürzel steht für Informationstechnische Systeme im Krankenhaus. Ziel von ISiK ist es, dass Patientendaten künftig (unabhängig vom Thema Datenplattformen) unkompliziert, weil verpflichtend standardisiert, von einem IT-System in ein anderes übertragen werden können. „ISiK läuft im Moment noch ein bisschen unter dem Radar, aber es wird zu einer enormen Veränderung der KIS-Landschaft führen“, sagt Jörg Reichardt, Gründer des KIS-Anbieters AMC und Vorstand des Verbands United Web Solutions. Und weiter: „Ich mache das seit 30 Jahren, die letzten drei Jahre waren spannender als die 20 davor.“


ISiK ist ein mehrstufiges Verfahren, bei dem die gematik den Standard vorgibt und der Gesetzgeber die Krankenhäuser verpflichtet, ihn mit einer Übergangsfrist von 24 Monaten umzusetzen. Das alles basiert auf § 373 SGB V, der mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) im Herbst 2020 ins SGB V kam. Das ISiK-Basisprofil wurde 2021 veröffentlicht, die entsprechende Einführungsfrist läuft im Sommer 2023 ab. Das Ganze funktioniert so, dass der Hersteller des KIS oder klinischen Arbeitsplatzsystems (KAS) den Standard technisch zur Verfügung stellt. Das Krankenhaus wiederum muss innerhalb der genannten Frist den Nachweis erbringen, dass es damit arbeitet. An die ISiK-Basisstufe schließt die Stufe 2 an, die am 1. Juli 2022 von der gematik veröffentlicht wurde. Sie enthält neben Ergänzungen des Basismoduls Standard-Module für Dokumentenaus­tausch, Medikation, Vitalparameter, Terminplanung und Sicherheit. Auch hier gilt eine zweijährige Übergangsfrist.


Reichardt berichtete in Heiligendamm beispielhaft über die Implementierung eines Anwendungsfalls am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin, wo das AMC KIS eingesetzt wird. Partner in diesem Projekt war das Unternehmen Freiblick. Es handelt sich um ein Babylotsenprogramm, bei dem Eltern vor der Geburt mit dem Krankenhaus digital in Kontakt sind und relevante Informationen über unter anderem Fragebögen austauschen. Diese Fragebögen landen direkt im KIS der Geburtshilfe und stehen damit sofort zur Verfügung, wenn es mit der Geburt losgeht. Charmant an ISiK sei unter anderem, dass die Hersteller nicht mehr ablehnen könnten, Schnittstellen zu bauen und dass die Preise dafür vergleichbar werden: „Die Zeiten, in denen die Anhängerkupplung teurer war als der Wohnwagen, sind damit vorbei“, so Reichardt.


KHZG: Noch mal einen Schritt zurück?
Von den Handlungsfeldern abschließend noch einmal zurück zum KHZG-Alltagsgeschäft. Was genau ist in Sachen KHZG im Herbst 2022 der Stand der Dinge? Janes Grotelüschen von Roland Berger hatte auch hierzu in Heiligendamm ein paar Zahlen im Gepäck. Stand August 2022 habe lediglich ein Drittel der Krankenhäuser mit Ausschreibungen für alle FTB begonnen. Mit irgendeiner Ausschreibung begonnen hatten 80 % der Häuser. Diejenigen, die noch nicht oder nicht vollständig ausgeschrieben hatten, begründeten dies zu 67 % damit, dass sie die Fördermittel noch nicht vollständig erhalten hätten.
Was den KHZG-Zieleinlauf Ende 2024 angeht, sind die Krankenhäuser skeptisch. 63 % glauben nicht, dass sie bis Ende 2024 alle malusrelevanten FTB werden umgesetzt haben. Hier stöhnen vor allem die öffentlichen und die freigemeinnützigen Häuser. Bei den privaten Kliniken liegt die Quote der Skeptiker dagegen nur bei 33 %. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Malusregelung noch entschärft wird“, so Grotelüschen. Unabhängig von möglichen Fristverlängerungen gelte es, die nächsten anderthalb Jahre optimal zu nutzen: „Bei der Projektsteuerung können Krankenhäuser in jedem Fall einiges rausholen, wenn sie gut strukturieren und gut priorisieren.“


Mitgastgeber Prof. Dr. Wolfgang Riedel, Institut für Krankenhaus­wesen Braunschweig, empfiehlt außerdem eine Art mentale Neuaufstellung beim Thema Digitalisierung. Er berichtete von mehreren Exkursionen in die Niederlande, wo die Unterstützung des Personals durch die IT eine ganz andere Wertigkeit habe, bis hin zu vermeintlichen Kleinigkeiten wie der Vermeidung von Mehrfachlogins. Das Ergebnis: Die enorme Unzufriedenheit mit der IT, die in deutschen Krankenhäusern weitverbreitet ist, gibt es dort viel weniger. Ein Grund für das deutsche Tal der IT-Tränen sind für Riedel die Fürstentümer, die auf allen Ebenen deutscher Krankenhäuser gepflegt werden: „Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser noch Telefonanlagen selbst betreiben. Es kann nicht sein, dass in einem Haus bei fünf Chefärzten drei PDMS-Konfigurationen gebraucht werden. Und es kann nicht sein, dass in vielen Krankenhäusern die IT-Abteilung gleichzeitig die Strategieabteilung ist. Damit macht man den Bock zum ­Gärtner.“

 

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» Politik muss nachsteuern «
Wie macht ein Krankenhauskonzern aus einem Gesetzestext eine Erfolgsstory? Agaplesion gibt einen Einblick in sein „Projekt KHZG“.

 

Mit 1,8 Milliarden Euro Umsatz ist Agaplesion einer der fünf größten Krankenhauskonzerne Deutschlands. Digitalisierung war für die Frankfurter schon vor dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) kein Fremdwort: Seit rund zehn Jahren hat Agaplesion eine Digitalisierungsstrategie, und auch beim Vorstand gibt es schon länger eine Stabsstelle Innovationsmanagement. Die Förderung aus dem KHZG setzt jetzt auf diese Strukturen auf.

Agilität ist Trumpf
Insgesamt 55 Millionen Euro habe sein Krankenhauskonzern an KHZG-Fördermitteln beantragt und überwiegend bereits ausgezahlt bekommen, sagte Agaplesion CFO Sebastian Polag bei dem von der Digital Avantgarde GmbH ausgerichteten 16. Meeting am Meer in Heiligendamm: „Für den Konzern reicht das natürlich in keiner Weise, aber das KHZG kann für uns und für die ganze Branche trotzdem ein Katalysator sein.“ Um die KHZG-Mittel optimal einzusetzen, wurde eigens ein Prozess- und Projektmanager eingestellt, der eine gewisse Außenperspektive einbringt: „Wir haben bewusst nicht den IT-Chef oder den KIS-Teamchef als Projektleiter eingesetzt“, so Polag.


Vor dem Start des „Projekt KHZG“ hat man sich im Agaplesion-Konzern intensiv Gedanken gemacht, wie ein solches Konvolut interagierender Projekte am besten aufgesetzt werden kann: „Wasserfallmanagement geht nicht, man muss agil arbeiten, sich in Sprints vorantasten und auch mal Dinge ausprobieren können“, so Bettina Geißler-Nielsen, Leiterin Prozess- und Qualitätsmanagement bei Agaplesion. Am Ende entschied sich das Unternehmen, eine zentrale Projektsteuerung zu installieren und für jeden FTB eine eigene Projektgruppenleitung zu benennen, die typischerweise aus der IT-Abteilung kommt und eine gewisse Erfahrung beim jeweiligen Thema mitbringt.


Aufseiten der insgesamt 22 Krankenhäuser gibt es jeweils einen Ansprechpartner für das Gesamtprojekt KHZG, außerdem jeweils eine Lenkungsgruppe Digitalisierung, die die Themen und Implementierungen ins Haus trägt bzw. die jeweiligen Anforderungen des Hauses Richtung Konzern kommuniziert. Damit das Ganze einigermaßen übersichtlich bleibt, wurde für die Steuerung des Projekts KHZG eine eigene Software gekauft und detailliert konfiguriert.
Welche Bedeutung die IT derzeit bei den Investitionen des Agaplesion-Konzerns hat, verdeutlichte Polag an ein paar Zahlen. So habe sich der Anteil der IT-Investitionen an den Gesamtinvestitionen nicht nur, aber auch durch das KHZG von 1,2 % im Jahr 2015 auf 15,4 % im Jahr 2022 mehr als verzehnfacht. Für 2025 werde derzeit sogar ein Anteil von 28,8 % prognostiziert, so der CFO. Gemessen an den Umsatzerlösen liegen die IT-Ausgaben bei Agaplesion derzeit bei (für Deutschland überdurchschnittlichen) 2,8 %, Tendenz steigend.


Was ist ab 2025 mit den laufenden Kosten?

Ein wichtiger Bestandteil der IT-Pläne bei Agaplesion ist ein Clinical Data Repository (CDR): „Wir wollen unsere Landschaft aus drei KIS mit einem CDR kombinieren, um den Backbone, den wir bei Business Intelligence schon seit 15 Jahren haben, auch im medizinischen Bereich hinzubekommen“, so Polag. Mit etwas Sorge blickt die Krankenhausbranche und blickt Agaplesion CFO Polag auf die Zeit ab 2025, wenn das „Projekt KHZG“ endet. Zum einen drohen bei nicht fristgerecht umgesetzten Komponenten empfindliche Maluszahlungen. Zum anderen stünden die Häuser ab 2025 im Regen mit den laufenden IT-Kosten, die dank KHZG stark steigen: „Wir gehen davon aus, dass wir ab 2025 auf zusätzliche 10 Millionen Euro nicht refinanzierte Kosten im Jahr kommen werden“, so Polag.


Hier müsse noch politisch nachgesteuert werden, so der Agaplesion CFO. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) macht in diesem Punkt beim Lobbying seiner Meinung nach keinen optimalen Job. Denkbar sei zum Beispiel ein Modell mit Vorhaltekostenübernahmen ähnlich jenen, wie sie im Bereich Kritische Infrastrukturen existieren. Ob sich dieser Wunsch erfüllt, dürften die nächsten Monate und die nächsten Lauterbach‘schen Gesetze zeigen.