In den ersten beiden Quartalen 2020 wurden im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung 1,4 Millionen Videosprechstunden abgerechnet, davon rund 1,2 Millionen im zweiten Quartal. Diese Zahlen teilte KBV-Vorstand Stephan Hofmeister bei einer Online-Pressekonferenz der KBV zur Digitalisierung mit. Bei 3000 abgerechneten Videosprechstunden im Jahr 2019 klingt das nach einem ordentlichen Anstieg. Ein Wachstum um mehrere zehntausend Prozent, würde die PR-Agentur schreiben. Tatsächlich habe es sich auch in den Lockdown-Monaten bei den Videosprechstunden nur um einen kleinen Bruchteil der Versorgung gehandelt, so Hofmeister. Den gut eine Million Videokontakten stünden rund 180 Millionen persönliche Arzt-Patienten-Kontakte gegenüber.
Organ-Fachärzte sind keine Video-Fans
Interessant ist die Detailauswertung, die die KBV-Zahlen ermöglichen. Drei von vier Videosprechstunden fanden im Bereich Psychiatrie statt: 65% aller Videosprechstunden betrafen psychologische Psychotherapeut:innen und weitere 10% ärztliche Psychotherapeut:innen. Immerhin 11% der Videosprechstunden wurden von Hausärzt:innen durchgeführt. Alle anderen Fachrichtungen zusammen teilten sich die restlichen 14%.
Entsprechende Unterschiede gibt es beim Anteil der Praxen, die – Stand zweites Quartal 2020 – Videosprechstunden anboten. Das waren 56% aller psychotherapeutischen Praxen sowie jeweils etwas mehr als 10% bei Allgemeinmediziner:innen und Kinderärzt:innen. Die übrigen Fachgruppen liegen demnach eher im 5% Bereich. „Insgesamt ist die Videosprechstunde eine gute Ergänzung zum Praxisbesuch, und sie wird auch so angenommen. Sie wird aber den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt als Goldstandard nicht ersetzen“, so Hofmeister.
KBV: eAU erst ab fünf Tagen
Die KBV-Vorstände äußerten sich mit Blick auf die Videosprechstunde auch zum dritten Digitalisierungsgesetz des Bundesgesundheitsministeriums, dem DVPMG, das sich derzeit in parlamentarischer Abstimmung befindet. Andreas Gassen betonte, dass die darin vorgesehene Ausweitung der Videosprechstunde genauso begrüßt werde wie die quantitative Limitierung auf maximal 30% der Behandlungsfälle: „Wir wollen keine reinen Videosprechstundenpraxen haben.“
Dies gelte auch mit Blick auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, ergänzte Hofmeister: Eine eAU bei ausschließlicher Fernbehandlung werde klar abgelehnt, zumal die AU auch eine rechtliche Dimension habe: „Wir warnen vor einer Callcenter-Medizin nach dem Prinzip ‚bestellt-und-geliefert‘“. Der Gegenvorschlag der KBV besagt, die Frist ab derer bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz eine AU gefordert wird, auf fünf Tage zu verlängern. Krankheitsbedingte Abwesenheiten bei Bagatellerkrankungen sollten, so Hofmeister, „im Innenverhältnis“ geregelt werden, sprich ohne zwingende Involvierung von Arzt oder Ärztin und damit ohne Pflicht zur AU. „Eine solche Bescheinigung ist nur bei andauernder Erkrankung notwendig“, so Hofmeister.
KIM-Dienst kv.dox: „Nähern uns der 1000“
Mit Sorge blickt die KBV in Sachen eAU in Richtung viertes Quartal 2021. Dann sollen die Ärzt:innen die eAU über die TI schicken an die jeweils zuständige Krankenkasse schicken. Das bedeute mehr Bürokratie, sagte Thomas Kriedel. Denn die Patient:innen bräuchten trotzdem einen Papierdurchschlag für die Arbeitgeber. Dieser Teil der eAU Welt solle nämlich frühestens im dritten Quartal 2022 digital werden. „Das ist sicherlich nicht das, was wir uns unter Digitalisierung vorstellen“, so Kriedel.
Für den Versand der eAU soll bekanntlich der TI-Dienst KIM zum Einsatz kommen. Dafür gibt es unterschiedliche Anbieter, die unterschiedlich weit sind. Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen, aber aus KV-Kreisen ist zu hören, dass bis Januar nur rund 500 KIM-Accounts bundesweit für Berechtigte in der TI registriert waren. Auch sei außerhalb von Feldtests noch kaum ein Arztbrief über KIM verschickt worden. Die KBV selbst sprach jetzt in ihrer Pressekonferenz davon, dass man sich bei dem hauseigenen KIM-Dienst kv-dox bei den Bestellungen der 1000er-Marke nähere. In jedem Fall ist KIM sieben Monate nach Beginn der Sondervergütung des per KIM versandten eArztbriefs kein Massenphänomen. An der eArztbrief-Vergütung werden die Krankenkassen nicht bankrottgehen.