E-HEALTH-COM ist das unabhängige Fachmagazin für Gesundheitstelematik, vernetzte Medizintechnik , Telemedizin und Health-IT für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Mehr

Für das ePaper anmelden

Geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden

Anmelden

Passwort vergessen?

Top-Thema |

Roboter in der Chirurgie

Minimale Bewegungen mit größter Präzision ausgeführt, über Stunden und ohne nachzulassen. Der Einsatz von Robotern in der Chirurgie bietet viele Vorteile und Potenziale, die menschlichen Operateure zu unterstützen. Die europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) und die internationale Norm IEC 80601-2-77 zeigen Herstellern auf, was sie bei der Entwicklung beachten müssen.

Bild: © TÜV SÜD

Erfahrung, Urteilsvermögen und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, zeichnen erfolgreiche Chirurg:innen aus. In der robotergestützten Chirurgie werden diese menschlichen Qualitäten um die ermüdungsfreie, präzise Bewegung der Roboter ergänzt. Längst weit mehr als ein mechanisches Werkzeug, liefern Roboter zahlreiche Daten über den Zustand des Patienten und die Operationsumgebung. So können der Material- und Medikamenteneinsatz optimiert werden.

Medizinisch und wirtschaftlich im Vorteil
Bei vielen Einsätzen sind Roboter, was Präzision und Stabilität angeht, dem Menschen sogar überlegen: etwa bei orthopädischen Eingriffen an der Wirbelsäule, Tumorentfernung an inneren Organen oder in der Neurochirurgie. Auch in der minimalinvasiven Chirurgie zeigen die programmierten Helfer ihre Stärke, denn sie können deutlich kleinere Bewegungen ausführen als der Mensch. Zuverlässig übernehmen sie Schnitte im Millimeterbereich oder darunter. Kleinere Schnitte verkürzen die Dauer der Operation und damit die Narkose, Patient:innen erholen sich dadurch schneller. Zudem verheilen die kleineren Wunden leichter und das Infektionsrisiko sinkt, sodass sich die Verweildauer im Krankenhaus insgesamt verkürzt.


Der Einsatz von Robotern unterstützt die Operateure auch ergonomisch: Statt über lange Zeit bei komplizierten Operationen in verkrampfter Haltung am Tisch zu stehen, erlaubt die Bedienung über eine Konsole eine entspanntere, weniger ermüdende und damit weniger fehleranfällige Körperhaltung. Zusätzlich entlasten die mechanischen Helfer das OP-Team bei repetitiven Aufgaben: Sie führen begleitende Ultraschalluntersuchungen durch oder vernähen Wunden.


Wenn der Roboter die Bewegung der Chirurgin/des Chirurgen über Joystick umsetzt, ist es auch denkbar, dass Operateur:in und Patient:in räumlich weit voneinander entfernt sind. Im Normalfall findet die Unterstützung jedoch vor Ort und buchstäblich Hand in Hand mit dem Menschen statt. Dabei übertragen Kameras den Operationsbereich auf einen Monitor, und von einer Konsole aus steuert die Chirurgin/der Chirurg einen oder mehrere Roboterarme mit Instrumenten. Die Vergrößerung auf dem Monitor erlaubt deutlich präzisere Bewegungen, als im menschlichen Sichtfeld möglich sind. Welche Bewegungen jedoch auszuführen sind, oder auch das richtige Timing der verschiedenen Schritte im Operationsverlauf, bleibt in menschlichen ­Händen. 
Erfahrung und Intuition als Entscheidungsgrundlage sind unverzichtbar. Auch routinierte Chirurg:innen müssen ihre eigene Expertise mit Simulationstrainings und Hospitationen ergänzen, um sich auf die Arbeit mit Robotern vorzubereiten. Wie viel Schulung nötig ist, bevor ein Mensch im OP die Hilfe eines Roboters in Anspruch nehmen darf, legen die Hersteller fest. Teilweise sind bis zu 250 Trainingseinheiten gefordert. So soll sichergestellt sein, dass alle Funktionen ausreichend eingeübt und alle Vorgaben der geltenden Normen erfüllt werden.


Der rechtliche Rahmen
Um die Gesundheit der Patient:innen bestmöglich zu schützen, legt die Medizinprodukteverordnung hohe Standards hinsichtlich der Sicherheit und Qualität aller Medizinprodukte fest. Hersteller müssen nachweisen, dass ihre Software zuverlässig, leistungsfähig und wiederholgenau arbeitet, sodass die Sicherheit der Geräte garantiert ist. Die Konformität mit der MDR ist Voraussetzung, diese Produkte auf dem europäischen Markt anzubieten.


Speziell auf robotergestützte, invasive Eingriffe bezieht sich die IEC 80601-2-77. Sie beschreibt Risiken, die in der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter als unvertretbar eingestuft werden, sowie die nötigen Schutzmaßnahmen. So wird zwischen einem sogenannten „Protective Stop“ und einem Not-Stopp unterschieden. Der Protective Stop hält alle Instrumente, die der Roboter führt, in ihrer momentanen Position an. Er muss in Situationen erfolgen, wenn der Roboter arbeitsunfähig ist, etwa weil seine Kamera verdeckt wird. Technische oder medizinische Komplikationen hingegen, die die gesamte Operation betreffen, müssen zu einem kompletten Abschalten des Systems, dem Not-Stopp, führen.


Führt ein Roboter Bewegungen in eine falsche Richtung oder mit einer unpassenden Geschwindigkeit aus, gilt dies ebenfalls als unvertretbares Risiko. Die Steuerung kann außerdem keine eigenen Entscheidungen treffen, zum Beispiel eine von mehreren Bewegungsbahnen zu einer bestimmten Achsenstellung auswählen. Deshalb blockieren fluchtende Achsen den Roboterarm, es kommt zum Stillstand. In dieser Situation, die als technologische Singularität bezeichnet wird, ist die Steuerung hilflos. Beispiele hierfür werden häufig in der Diskussion um die Chancen und Grenzen Künstlicher Intelligenz betrachtet.


Hersteller und Entwickler sind nicht die einzigen, die sich mit den Regelungen zur robotergestützten Chirurgie auskennen müssen. Auch Betreiber von Gesundheitseinrichtungen und Berater für Medizinprodukte sind gefordert, ebenso wie die Verantwortlichen für die IT-Sicherheit. Mit fortschreitender Verbreitung der Künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen werden auch hier die entsprechenden Regelwerke greifen, etwa der European Artificial Intelligence Act und weitere Dokumente, die sich mit maschinellem Lernen und autonom agierenden Maschinen beschäftigen.


Ungestörter Informationsfluss
Damit der Mensch und die Maschine störungsfrei miteinander kommunizieren können, müssen alle mechanischen und elektronischen Komponenten einwandfrei funktionieren. Motoren mit niedrigen Drehzahlen sorgen für die stufenlose freie Bewegung der Roboterarme. An deren Ende erfassen hochempfindliche Sensoren den Hautwiderstand oder die Beschaffenheit des Gewebes; Der Mensch kann anhand dieser Information den Druck auf das Skalpell individuell anpassen. So lassen sich die Befehle der Steuerung planmäßig umsetzen. Alle Schnittstellen müssen für eine problemlose Interaktion nicht nur exakt definiert, sondern auch benutzerfreundlich gestaltet werden. Nur dann sind schnelle und richtige Handlungen im OP möglich. Die Vernetzung aller Komponenten erfordert zudem umfangreiche Maßnahmen der Cybersicherheit. 
Die Effizienz, die Roboter im OP erhöhen, lässt sich mit den interoperablen Systemen auch in den Klinikalltag übertragen. Alle Informationen, die Sensoren während der Operation erfassen, etwa Hautbeschaffenheit oder chemische Reaktionen, erlauben schnellere Diagnosen und erleichtern die Nachsorge. So entsteht ein Mehrwert über den OP hinaus. 


Simulation spürt Schwachstellen auf
Hersteller von Chirurgierobotern können in Testlaboren die elektrische und mechanische Sicherheit ihrer Geräte sowie die Ergonomie mit realitätsnahen Simulationen testen. Dabei werden beispielsweise Fehler künstlich erzeugt, um die Reaktion des Systems zu beobachten. Zum Szenario gehören auch Cyberangriffe auf die IT und die Betriebstechnik. Derartige Prüfungen, schon während der Entwicklung von unabhängigen Expert:innen durchgeführt, identifizieren Schwachstellen und reduzieren das Risiko späterer  Nachbesserungen.