KI-Systeme erkennen die Bewegungsintention der Schlaganfallpatient:innen
Das Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat ein mobiles und modulares Ganzkörper-Exoskelett für die Therapie von Schlaganfällen entwickelt. Ziel eines solchen Systems ist es, die Patient:innen wieder in die Bewegung zu bringen. Beispielsweise muss das Gehirn einer einseitig gelähmten Patientin oder eines Patienten neu lernen, wie Bewegungen des Arms koordiniert werden. Ein einfacher Ansatz, bei dem direkt menschliches Wissen, hier der Therapeutin oder des Therapeuten, genutzt wird, ist das sogenannte Teach-in-Verfahren. Hierbei kann der:die Therapeut:in eine bestimmte Bewegung mit der Patientin oder dem Patienten zusammen ausführen. Normalerweise würde die:der Therapeut:in diese Bewegung mehrfach wiederholen; dies übernimmt nun das Exoskelett. Das System merkt sich die Bewegung, wiederholt diese selbstständig und entlastet damit die Therapeut:innen von dieser anstrengenden Tätigkeit. Wenn die:der Patient:in das Gefühl für die Bewegung zurückerlangt hat, gilt es im nächsten Schritt, die Verbindung zum Gehirn wiederherzustellen: Eine von der Patientin oder dem Patienten geplante Bewegung soll vom Exoskelett ausgeführt werden. Nun kommt datenbasierte KI ins Spiel. Diese KI-Komponente wertet die Signalübertragung von Gehirn zur Muskulatur aus und gibt diese Informationen an dessen Exoskelett weiter. Zur Abschätzung der Restaktivität, also wie viel Muskelkraft der teilgelähmten Patientin oder dem Patienten noch zur Verfügung steht, wird das Elektromyogramm (EMG) gemessen und mittels Methoden der KI hinsichtlich der Kraft, die die:der Patient:in gerade aufbringen kann, interpretiert. Das Exoskelett übernimmt den restlichen Kraftaufwand, der zur Ausführung einer Bewegung notwendig ist.
Auch Betroffene, die über keine Restmuskelaktivität mehr verfügen, können von einem KI-basierten Exoskelett profitieren. Statt der EMG-Daten wird das Elektroenzephalogramm (EEG) herangezogen: Die datengetriebene KI-Komponente erkennt daraus die Bewegungsintention der Person, interpretiert diese, sodass die Bewegung schließlich durch das Exoskelett ausgeführt werden kann. Natürlich können auch EMG und EEG für eine noch bessere Unterstützung kombiniert werden. Bei der Integration verschiedener Signale inklusive dem EEG zur Anpassung der Regelung eines robotischen Systems spricht man vom sogenannten Embedded Brain Reading. Die verschiedenen Signale von Menschen im Zusammenspiel mit verschiedenen Unterstützungssituationen können wiederum regel-, also wissensbasiert ausgewertet werden. Somit zeigt sich ein enges Zusammenspiel zwischen grundlegender Regelung des Systems und verschiedenen datengetriebenen Methoden im Sinne hybrider KI. Wichtig bleibt aber auf jeden Fall, dass bei der Entwicklung dieser Anwendungen die enge Zusammenarbeit mit ärztlichem, therapeutischem und pflegerischem Personal und vor allem den Betroffenen nötig ist, um die Systeme bestmöglich auf die praktische Anwendung auszurichten.
Herausforderungen bei der Entwicklung KI-basierter Robotiksysteme
Die Sicherheit der betroffenen Personen hat höchste Priorität bei der Entwicklung lernfähiger Robotiksysteme wie dem Exoskelett. Da das Exoskelett lernt, aus Daten zur Muskelaktivität etwa die Restkraft der Patient:innen abzuschätzen, muss ein solches lernendes System so konzipiert sein, dass ein falsch gelerntes Modell die:der Träger:in nicht gefährdet. Motoren müssen sorgfältig ausgewählt sowie gesteuert und inhärent abgesichert werden und es bedarf eines umfassenden Gesamtkonzepts, um alle potenziellen Verletzungsgefahren auszuschließen. Zudem sollten Betroffene in der Rehabilitation möglichst selbstständig agieren können. Um dies zu ermöglichen, bedarf es der Integration datengetriebener Methoden in die grundlegende Regelung des Systems. Dafür ist es sinnvoll, dass alle Berechnungen innerhalb des Systems des Exoskeletts ablaufen, was eine ressourcenarme Hard- und Software erfordert.
Die aktuelle Forschung zielt vor allem auf die Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion. Immer mehr Arten von Nutzerdaten werden berücksichtigt, um die Exoskelette besser an die Bedürfnisse der Patient:innen anzupassen. Um die Zufriedenheit mit exoskelettbasierten Rehabilitationsmaßnahmen zu erhöhen, müssen zudem die intrinsischen Motivationen zu einer Bewegung deutlicher erkannt werden, wozu das System auch den spezifischen Kontext einer Handlung besser erfassen muss. Nicht zuletzt muss der Lernprozess der KI-basierten Robotiksysteme effizienter werden: Da Trainingsbeispiele von Patient:innen nur schwer erhoben werden können, müssen die Systeme auch auf Grundlage weniger Daten oder durch Einsatz von Transferlernen aus Daten von gesunden Personen oder Patient:innen mit ähnlichen Erkrankungen zufriedenstellende Ergebnisse produzieren können.
Aktive Systeme vom Labor in die Anwendung bringen
Der Transfer von der Forschung in die Praxis ist oftmals mit Hürden verbunden. Bei der Entwicklung von Exoskeletten kann das Kosten-Nutzen-Verhältnis aus rein finanzieller Perspektive nur schwer abgeschätzt werden. Die Kosten für praxistaugliche Systeme hängen stark von der Nachfrage und Optimierung der Produktion ab. Die Preise für Systemkomponenten für Antriebe, Computer, Sensoren und Fertigung müssten sinken, um komplexe Systeme für einen breiten Markt zugänglich zu machen. Einige passive Systeme zumindest könnten theoretisch schon in den nächsten Jahren in Berufsbekleidungsläden, Sanitätshäusern oder sogar Sportgeschäften angeboten werden, einfachere aktive Systeme dürften folgen. Auch komplexere oder gar lernfähige Systeme könnten künftig vermehrt zum Einsatz kommen. Klar ist, dass der demografische Wandel ein zentraler Treiber dieses Prozesses ist und schon heute Bestrebungen, lernfähige Robotiksysteme in die Pflege und Rehabilitation zu integrieren, nicht nur nahelegt, sondern unumgänglich macht.
Gegenwärtig gilt es, die genannten Herausforderungen in der Forschung zu überwinden und praxistaugliche Systeme für bestehende Anwendungsgebiete besser zugänglich zu machen. Die Expert:innen der Plattform Lernende Systeme erarbeiten Handlungsoptionen, wie lernfähige Robotik ihr Potenzial zum Wohle der Gesellschaft entfalten kann. Hybride KI, die datengetriebene und wissensbasierte Ansätze kombiniert, kann in Zukunft eine Zulassung lernfähiger Exoskelette als Medizinprodukt in der Pflege ermöglichen.
Auch wenn es noch einige Herausforderungen zu lösen gibt: Der potenzielle Nutzen von KI-basierten Exoskeletten ist hoch – etwa für gelähmte Schlaganfallpatient:innen in der Rehabilitation, die sich unterstützt von einem Exoskelett erstmals wieder eigenständig bewegen können.