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Robotik & KI

Vom Labor in die Pflege: Wie lernfähige Reha-Robotik den Sprung schaffen kann

Bild: © JAKE STUDIO – stock.adobe.com, 1032407344, Stand.-Liz.

Lernfähige Robotiksysteme können in Zukunft Pflegekräfte entlasten sowie die Rehabilitation von Patient:innen verbessern. In der Forschung wird aktuell untersucht, wie Exoskelette und  andere robotische Assistenzsysteme mithilfe von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) auf die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzer:innen eingehen und sie so besser unterstützen können.

 

Ob im Rettungsdienst, im Seniorenheim oder im Krankenhaus, in vielen Gesundheitsbereichen werden KI-Anwendungen vermehrt Einzug halten. Die Kombination von Methoden der KI mit Robotik bietet große Chancen. Vor allem Menschen, die neurologische Schäden in Folge von schweren Unfällen oder Erkrankungen erlitten haben und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, können von diesen lernfähigen Robotiksystemen profitieren, weil sich diese selbstständig an die individuelle Patientin  oder den Patienten anpassen. Die Rehabilitations-Robotik erforscht beispielsweise, wie lernfähige Teil- und Ganzkörper-Exoskelette, unter Nutzung von Methoden der KI, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung einen Teil der verlorenen Bewegungsmöglichkeiten zurückgeben können. Das Ziel ist klar: wieder mehr Selbstständigkeit und Teilhabe ermöglichen.


Den Sprung vom Labor in die Pflegepraxis haben lernfähige Robotiksysteme allerdings noch nicht geschafft. Es sind oftmals vergleichsweise einfache Systeme, die wir schon heute in der Anwendung sehen. In dem Bereich der körperlichen Unterstützung gibt es inzwischen eine Vielzahl von Herstellern und Modellen, die auf verschiedene Einsatzbereiche zugeschnitten sind. So gibt es Oberkörpersysteme, die Pflegekräften buchstäblich den Rücken stärken oder Hilfen, die in der Logistik die Überkopfarbeit unterstützen. Die eingesetzten Systeme sind zumeist durch den Nutzer anpassbar, aber lernen nicht selbst, sich an ihre Träger anzupassen. Wie Robotiksysteme durch die Interaktion mit dem Menschen lernen und sich verbessern können, untersucht aktuell die Arbeitsgruppe Lernfähige Robotiksysteme der Plattform Lernende Systeme.

 

Hybride Systeme kombinieren die Stärken von datengetriebener und wissensbasierter KIDieses selbstständige Lernen wird durch datengetriebene KI ermöglicht, die in den letzten Jahren unter anderem durch steigende Rechenleistung und Deep-Learning-Ansätze immer erfolgreicher wurde. Klassische wissensbasierte Ansätze hingegen basieren in einfachster Form auf einem vorgegebenen Regelwerk, das beispielsweise von menschlichen Expertenteams erstellt wurde: Wenn A eintritt, reagiere mit B. Wissensbasierte Ansätze sind einfacher in ihrer Ausprägung und Auswirkung zu interpretieren. Sie können als Basis für sowohl intelligentes als auch sicheres und verifizierbares Verhalten einfacher Robotiksysteme dienen. Je nach Komplexität der Anforderungen müssen aber Kombinationen verschiedener KI-Lösungen erforscht werden.


Der innovative Ansatz der sogenannten hybriden KI liegt nun in der Kombination von datengetriebenen und wissensbasierten Herangehensweisen, sodass die Stärken beider Ansätze zum Tragen kommen: Die Skalierbarkeit, die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit von datengetriebenen KI-Systemen sowie die Erklärbarkeit und die Daten- und Ressourceneffizienz von regelbasierten KI-Systemen. Regelbasierte Ansätze dienen dabei als eine Art Käfig, der unerwünschte Auswirkungen der datenbasierten KI-Komponenten auf das Verhalten des Robotiksystems einhegt. Das Gesamtsystem wird immer noch regelkonform reagieren.


Aktuell kann man Robotiksysteme, die selbstständig in der Anwendung lernen, nicht als Medizinprodukt zulassen. Durch die Verfolgung solcher hybriden Ansätze kann in Zukunft auch eine Zulassung robotischer Systeme als Medizinprodukt in der Pflege und Rehabilitation ermöglicht werden. Für lernfähige Robotiksysteme wie Exoskelette in der Rehabilitation sind hybride KI-Ansätze – datengetriebene KI eingebettet in eine grundlegende, absichernde Regelung der Systeme – zentral: Wissensbasierte Ansätze ermöglichen die regelbasierte Anpassung an zuvor bekannte Zusammenhänge – ohne aufwendiges Training, während die datengetriebene Komponente den komplexen, zuvor nicht genau definierbaren Aufgabenstellungen durch Lernen anhand von Daten gerecht werden kann. Einen Überblick über die Potenziale und Herausforderungen von hybriden KI-Systemen gibt die Kurzpublikation „Hybride KI – Wissen und Daten kombiniert nutzen“ der Plattform Lernende Systeme.


KI-Systeme erkennen die Bewegungsintention der Schlaganfallpatient:innen
Das Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat ein mobiles und modulares Ganzkörper-Exoskelett für die Therapie von Schlaganfällen entwickelt. Ziel eines solchen Systems ist es, die Patient:innen wieder in die Bewegung zu bringen. Beispielsweise muss das Gehirn einer einseitig gelähmten Patientin oder eines Patienten neu lernen, wie Bewegungen des Arms koordiniert werden. Ein einfacher Ansatz, bei dem direkt menschliches Wissen, hier der Therapeutin oder des Therapeuten, genutzt wird, ist das sogenannte Teach-in-Verfahren. Hierbei kann der:die Therapeut:in eine bestimmte Bewegung mit der Patientin oder dem Patienten zusammen ausführen. Normalerweise würde die:der Therapeut:in diese Bewegung mehrfach wiederholen; dies übernimmt nun das Exoskelett. Das System merkt sich die Bewegung, wiederholt diese selbstständig und entlastet damit die Therapeut:innen von dieser anstrengenden Tätigkeit. Wenn die:der Patient:in das Gefühl für die Bewegung zurückerlangt hat, gilt es im nächsten Schritt, die Verbindung zum Gehirn wiederherzustellen: Eine von der Patientin  oder dem Patienten geplante Bewegung soll vom Exoskelett ausgeführt werden. Nun kommt datenbasierte KI ins Spiel. Diese KI-Komponente wertet die Signalübertragung von Gehirn zur Muskulatur aus und gibt diese Informationen an dessen Exoskelett weiter. Zur Abschätzung der Restaktivität, also wie viel Muskelkraft der teilgelähmten Patientin oder dem Patienten noch zur Verfügung steht, wird das Elektromyogramm (EMG) gemessen und mittels Methoden der KI hinsichtlich der Kraft, die die:der Patient:in gerade aufbringen kann, interpretiert. Das Exoskelett übernimmt den restlichen Kraftaufwand, der zur Ausführung einer Bewegung notwendig ist.


Auch Betroffene, die über keine Restmuskelaktivität mehr verfügen, können von einem KI-basierten Exoskelett profitieren. Statt der EMG-Daten wird das Elektroenzephalogramm (EEG) herangezogen: Die datengetriebene KI-Komponente erkennt daraus die Bewegungsintention der Person, interpretiert diese, sodass die Bewegung schließlich durch das Exoskelett ausgeführt werden kann. Natürlich können auch EMG und EEG für eine noch bessere Unterstützung kombiniert werden. Bei der Integration verschiedener Signale inklusive dem EEG zur Anpassung der Regelung eines robotischen Systems spricht man vom sogenannten Embedded Brain Read­ing. Die verschiedenen Signale von Menschen im Zusammenspiel mit verschiedenen Unterstützungssituationen können wiederum regel-, also wissensbasiert ausgewertet werden. Somit zeigt sich ein enges Zusammenspiel zwischen grundlegender Regelung des Systems und verschiedenen datengetriebenen Methoden im Sinne hybrider KI. Wichtig bleibt aber auf jeden Fall, dass bei der Entwicklung dieser Anwendungen die enge Zusammenarbeit mit ärztlichem, therapeutischem und pflegerischem Personal und vor allem den Betroffenen nötig ist, um die Systeme bestmöglich auf die praktische Anwendung auszurichten.


Herausforderungen bei der Entwicklung KI-basierter Robotiksysteme
Die Sicherheit der betroffenen Personen hat höchste Priorität bei der Entwicklung lernfähiger Robotiksysteme wie dem Exoskelett. Da das Exoskelett lernt, aus Daten zur Muskelaktivität etwa die Restkraft der Patient:innen abzuschätzen, muss ein solches lernendes System so konzipiert sein, dass ein falsch gelerntes Modell die:der Träger:in nicht gefährdet. Motoren müssen sorgfältig ausgewählt sowie gesteuert und inhärent abgesichert werden und es bedarf eines umfassenden Gesamtkonzepts, um alle potenziellen Verletzungsgefahren auszuschließen. Zudem sollten Betroffene in der Rehabilitation möglichst selbstständig agieren können. Um dies zu ermöglichen, bedarf es der Integration datengetriebener Methoden in die grundlegende Regelung des Systems. Dafür ist es sinnvoll, dass alle Berechnungen innerhalb des Systems des Exoskeletts ablaufen, was eine ressourcenarme Hard- und Software erfordert.


Die aktuelle Forschung zielt vor allem auf die Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion. Immer mehr Arten von Nutzerdaten werden berücksichtigt, um die Exoskelette besser an die Bedürfnisse der Patient:innen anzupassen. Um die Zufriedenheit mit exoskelettbasierten Rehabilitationsmaßnahmen zu erhöhen, müssen zudem die intrinsischen Motivationen zu einer Bewegung deutlicher erkannt werden, wozu das System auch den spezifischen Kontext einer Handlung besser erfassen muss. Nicht zuletzt muss der Lernprozess der KI-basierten Robotiksysteme effizienter werden: Da Trainingsbeispiele von Patient:innen nur schwer erhoben werden können, müssen die Systeme auch auf Grundlage weniger Daten oder durch Einsatz von Transferlernen aus Daten von gesunden Personen oder Patient:innen mit ähnlichen Erkrankungen zufriedenstellende Ergebnisse produzieren können.


Aktive Systeme vom Labor in die Anwendung bringen
Der Transfer von der Forschung in die Praxis ist oftmals mit Hürden verbunden. Bei der Entwicklung von Exoskeletten kann das Kosten-Nutzen-Verhältnis aus rein finanzieller Perspektive nur schwer abgeschätzt werden. Die Kosten für praxistaugliche Systeme hängen stark von der Nachfrage und Optimierung der Produktion ab. Die Preise für Systemkomponenten für Antriebe, Computer, Sensoren und Fertigung müssten sinken, um komplexe Systeme für einen breiten Markt zugänglich zu machen. Einige passive Systeme zumindest könnten theoretisch schon in den nächsten Jahren in Berufsbekleidungsläden, Sanitätshäusern oder sogar Sportgeschäften angeboten werden, einfachere aktive Systeme dürften folgen. Auch komplexere oder gar lernfähige Systeme könnten künftig vermehrt zum Einsatz kommen. Klar ist, dass der demografische Wandel ein zentraler Treiber dieses Prozesses ist und schon heute Bestrebungen, lernfähige Robotiksysteme in die Pflege und Rehabilitation zu integrieren, nicht nur nahelegt, sondern unumgänglich macht.


Gegenwärtig gilt es, die genannten Herausforderungen in der Forschung zu überwinden und praxistaugliche Systeme für bestehende Anwendungsgebiete besser zugänglich zu machen. Die Expert:innen der Plattform Lernende Systeme erarbeiten Handlungsoptionen, wie lernfähige Robotik ihr Potenzial zum Wohle der Gesellschaft entfalten kann. Hybride KI, die datengetriebene und wissensbasierte Ansätze kombiniert, kann in Zukunft eine Zulassung lernfähiger Exoskelette als Medizinprodukt in der Pflege ermöglichen.


Auch wenn es noch einige Herausforderungen zu lösen gibt: Der potenzielle Nutzen von KI-basierten Exoskeletten ist hoch – etwa für gelähmte Schlaganfallpatient:innen in der Rehabilitation, die sich unterstützt von einem Exoskelett erstmals wieder eigenständig bewegen können.

Über die Plattform Lernende Systeme
Die Plattform Lernende Systeme ist ein Netzwerk von Expertinnen und Experten zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Sie bündelt vorhandenes Fachwissen und fördert als unabhängiger Makler den interdisziplinären Austausch und gesellschaftlichen Dialog. Die knapp 200 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln in Arbeitsgruppen Positionen zu Chancen und Herausforderungen von KI und benennen Handlungsoptionen für ihre verantwortliche Gestaltung. Damit unterstützen sie den Weg Deutschlands zu einem führenden Anbieter von vertrauenswürdiger KI sowie den Einsatz der Schlüsseltechnologie in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Plattform Lernende Systeme wurde 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften gegründet und wird von einem Lenkungskreis gesteuert. Die Leitung der Plattform liegt bei Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (BMBF) und Jan Wörner (acatech).

Weitere Infos
www.plattform-lernende-systeme.de

 

Autorin

Prof. Dr. Elsa Kirchner
ist Leiterin des Fach-gebiets „Systeme der Medizintechnik“ an der Universität Duisburg-Essen, leitet am DFKI RIC das Team intelligent Health care Systems und engagiert sich als Leiterin der Arbeitsgruppe „Lernfähige Robotik-systeme“ der Plattform Lernende Systeme.
Kontakt: Elsa.kirchner(at)uni-due.de