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Spielend gesund

In den letzten Jahren ist eine innovative Methode in der Medizin zunehmend in den Vordergrund gerückt: Gamification. Die Kombination von Spielprinzipien und medizinischer Anwendung verspricht nicht nur Spaß und Unterhaltung, sondern auch konkrete gesundheitliche Vorteile. Hat Gamification das Zeug, die Medizin zu revolutionieren? Welche positiven Effekte kann sie auf Patient:innen und das Gesundheitssystem haben?

Bild: © Centrigrade

Unter Gamification in der Medizin versteht man die Integration spielerischer Elemente und Prinzipien in den Gesundheitskontext, sprich in Gesundheitsanwendungen, medizinische Software oder digitale Gesundheitsplattformen. Ziel ist, die Motivation, das Engagement und die Benutzerbeteiligung zu fördern, um positive Verhaltensänderungen zu unterstützen. Das dahinterliegende psychologische Prinzip: Menschen neigen dazu, besser und engagierter bei Aufgaben zu sein, wenn sie Spaß dabei haben – und das kann sich positiv auf den Therapieverlauf auswirken.


Das therapeutische Spiel nutzt die Freude von Menschen am Wettbewerb, um gesunde Gewohnheiten zu fördern. Durch Apps und Plattformen können Nutzende Herausforderungen annehmen, Punkte sammeln und sich mit anderen messen. Ob beim Erreichen von Fitnesszielen, der Einhaltung von Medikamentenplänen oder dem Ernährungsmanagement – der spielerische Anreiz kann die Motivation erheblich steigern.


Auf der Nutzerseite dürfte es keine größeren Schwierigkeiten geben, Gamification in die Medizin einzubringen – immerhin sind Games keineswegs nur für junge Menschen interessant. Das Phänomen ist längst im Mainstream angekommen: Laut dem Newzoo Global Games Market Report wurden im Jahr 2022 weltweit rund 3,2 Milliarden Gamer:innen gezählt. In Deutschland zockt mittlerweile jede:r Zweite. Das Grundprinzip ist also gelernt, warum also nicht die Vorteile auf andere gesellschaftliche Bereiche anwenden?


Erfolgreiche Gamification in der Rehabilitation

Ein Bereich, in dem Gamification bereits Erfolge verbucht, ist die Physiotherapie. Jüngstes Beispiel: Das BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin hat in seiner neuen Rehaklinik einen vollständig digitalisierten Therapieraum namens „ukb Brain Cloud 1.0“ eingerichtet. Dieser setzt auf Gamification, indem er Patient:innen durch digitale Therapieanwendungen, basierend auf Virtual- oder Mixed-Reality-Brillen und Spielekonsolen, therapeutisch unterstützt. Die Anwendungen werden individuell an jeden Patienten bzw. jede Patientin angepasst. Die Gamification-Elemente wie Levelaufstieg und High-Scoring steigern die Motivation und Therapie-Adhärenz, da das Erreichen von Therapiezielen sichtbar gemacht wird.

 

Solche Projekte müssen in der Regel speziell auf bestimmte Patientengruppen zugeschnitten werden. So ist die Raumgestaltung der „ukb Brain Cloud 1.0“ speziell auf die Bedürfnisse neurologisch beeinträchtigter Patient:innen abgestimmt. Erreicht wird dies mit regulierbaren Therapieplätzen, gedimmtem Licht und einem reizarmen Ambiente, um die Konzentration auf die Übungen zu fördern. Die digitalen Therapieangebote, einschließlich VR-Brille, Tablet und Smart-App, sind barrierefrei. Ein weiteres Plus: Die digitalen Übungen können auch als Tele-Rehabilitation zu Hause fortgesetzt werden, um den Therapieerfolg nachhaltig zu sichern – und weil die Therapie Spaß macht, ist es leichter, die Patient:innen bei der Stange zu halten.


Spiel und Spaß bei der Therapie
„Der Vorteil von Games ist, dass diese die intrinsische Motivation ansprechen“, sagt Thomas Immich, CEO von Centigrade und ehemaliger Spieleentwickler, in seinem Vortrag anlässlich der MEDICA. Er betont, wie wichtig es ist, die Zielgruppe der jeweiligen Games zu kennen und die jeweiligen Spielertypen anzusprechen. „Wir unterscheiden nach sechs Typen: Die gehen von Spielern, die eher belohnungsorientiert handeln, über jene, denen es um Autonomie, grundlegende Veränderung oder das Erreichen einer bestimmten Meisterschaft geht, bis hin zu solchen, die sinnorientiert spielen oder denen das Herstellen von Verbindungen wichtig ist.“ Menschen verkörpern in der Regel nicht nur einen Spielertyp, sondern verschiedene. Worauf alle jedoch anspringen, ist das Storytelling. Es braucht also eine gute Geschichte, die die Phantasie anregt und die Spielenden bei der Stange hält.


Immich berichtet von einem Spiel, das seine Firma für die Behandlung von Patient:innen mit infantiler Cerebralparese (ICP) entwickelt hat. Zunächst wurden Personas, also typische Vertreter:innen der Betroffenen, entworfen. Diese sollten angeregt werden, eine bestimmte motorische Übung zu wiederholen. Bei einer Zielgruppenbefragung hatte ein Junge zuvor angegeben, dass es sein größter Wunsch sei, seinem Bruder auch einmal ein Glas Wasser bringen zu können. Für den Game-Entwickler Immich war das ein wichtiger Hinweis: „Wir haben herausgefunden, dass von ICP betroffene Kinder sich mehr Gedanken um andere machen, als Interesse daran haben, bestimmte Pokale zu gewinnen.“ Seine Firma entwickelte daraufhin ein Spiel, bei dem die Spielenden sich um einen kleinen Drachen kümmern müssen. Gespielt wird mit einer professionellen Game-Konsole, einer Nintendo Switch, die mit einem medizinischen Sensor verbunden ist. Sollen Games im häuslichen Umfeld benutzt ­werden, ist die Usability von großer Bedeutung. Außerdem spart es Kosten, wenn nicht noch extra Konsolen entwickelt werden müssen.


Serious Games mit Bildungszweck
Auch im Bereich der Gesundheitsbildung und Prävention eröffnet Gamification neue Wege. Serious Games, also Spiele mit einem Bildungszweck, haben das Potenzial, komplexe medizinische Konzepte auf verständliche Weise zu vermitteln. Von virtuellen Anatomie-Apps bis hin zu Simulationen von Krankheitsszenarien ermöglicht die spielerische Herangehensweise eine tiefere Einbindung von Wissen und vermittelt ein Verständnis für Gesundheitsthemen.


Serious Games sind heute bereits Teil der medizinischen Ausbildung. Seit 2016 wird beispielsweise an der Universitätsmedizin Göttingen eine digitale Simulation einer Notaufnahme im Rahmen der Pflichtlehre eingesetzt. In Kleingruppensitzungen mit 18 bis 50 Studierenden übernimmt jeder Teilnehmende die ärztliche Tätigkeit in der virtuellen Notaufnahme, wobei bis zu zehn Patient:innen gleichzeitig behandelt werden müssen. Erfahrene Ärzt:innen begleiten die Termine und stehen den Studierenden sowohl für technische als auch für inhaltliche Fragen zur Verfügung. Die besonderen Stärken des Serious Games liegen vor allem darin, dass die Studierenden lernen können, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, ohne dabei echte Patient:innen zu gefährden.


Trotz vielversprechender Perspektiven von Gamification in der Medizin gibt es auch Herausforderungen. So gilt es, Datenschutzbedenken aus dem Weg zu räumen sowie die Notwendigkeit einer sorgfältigen Entwicklung solcher Anwendungen nach ethischen Grundsätzen im Auge zu behalten. Dennoch könnte die zunehmende Integration von spielerischen Elementen in der medizinischen Praxis dazu beitragen, die Patientenversorgung zu verbessern und präventive Maßnahmen effektiver zu gestalten.


Gamification ist nicht nur ein Spiel – es ist eine ernsthafte Strategie, um die Medizin menschlicher, ansprechender und effektiver zu gestalten. Nicht zuletzt könnte die Gesundheitsversorgung durch das Hinzufügen einer spielerischen Note nicht nur heilender, sondern auch unterhaltsamer werden.