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» Was bei der Videosprechstunde passiert ist, darf sich nicht wiederholen «

Als einer der ersten ärztlichen Berufsverbände hat der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) ein eigenes Telemedizin-Programm gestartet und kooperiert mit dem Unternehmen OnlineDoctor, das jedem interessierten Dermatologen die Möglichkeit gibt, asynchrone telemedizinische Dienstleistungen anzubieten und abzurechnen. E-HEALTH-COM hat sich mit dem Medical Director des Unternehmens, dem niedergelassenen Dermatologen Max Tischler, über die Zukunft der ambulanten Telemedizin in Deutschland unterhalten.

Max Tischler ist niedergelassener Dermatologe und Medical Director des Unternehmens OnlineDoctor; Foto: © OnlineDoctor

Wie kamen Sie zur Telemedizin?
Ich habe im April 2021 meinen Facharzt in Dermatologie gemacht und sehe meine Zukunft in der unternehmerischen Selbstständigkeit, also im niedergelassenen Bereich. Vor diesem Hintergrund hat mich die Telemedizin schon immer interessiert, weil sie die Möglichkeiten der ambulanten Medizin erweitert. Der konkrete Kontakt zu OnlineDoctor kam dann während des Start-up-Cafés 2020 vom Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) zustande, einem Partner von OnlineDoctor. Ich fand das Konzept bei dieser Plattform sehr gut, weil es sehr arztzentriert ist. Wenn Sie in unternehmerischer Selbstständigkeit als Arzt arbeiten wollen, hilft Ihnen eine App,
die die unkomplizierten Fälle aus der ambulanten Versorgung herauszieht, nicht wirklich weiter. OnlineDoctor ist eine Plattform, die es mir ermöglicht, meine Dienste anzubieten und sie attraktiv abzurechnen. Das finde ich eindeutig inspirierender.


Wie sieht Ihre eigene telemedizinische Aktivität aus?

Ich bin das, was man Heavy User nennt. Ich ermuntere jeden in meiner Sprechstunde aktiv dazu, sich online an mich zu wenden, wenn ein Präsenztermin mal nicht so schnell machbar ist, was in der Dermatologie bekanntlich nicht ganz selten ist. Ich nutze die Plattform außerdem für Verlaufskontrollen aller Art, zum Beispiel nach Operationen, aber auch bei neu angesetzten Systemtherapien. Da will ich wissen, wie gut die Therapie anschlägt oder ob Nebenwirkungen auftreten. Atopische Dermatitis,
Psoriasis, das sind so die Klassiker. Berufsgenossenschaftliche Fälle mit Handekzem sind auch eine interessante Gruppe für die Online-Versorgung sowie solche, bei denen ich mir mit der Diagnose nicht zu hundert Prozent sicher bin und nach zwei oder drei Wochen wissen möchte, wie gut eine probatorische Therapie angesprochen hat.


Es sind also gar nicht so sehr neue Patient:innen, die Sie online erreichen wollen?
Sowohl als auch. Neue Fälle sind natürlich ein großes Thema. Aber mittlerweile bin ich der Auffassung, wir sollten uns grundsätzlich Gedanken über neue Strategien und Strukturen für die ganz normale dermatologische Versorgung machen. Da ist viel möglich, denken Sie an automatisierte, KI-gestützte Abfragen im Vorfeld von persönlichen Konsultationen. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster: Ich glaube, dass wir bei den allermeisten Indikationen in fünf Jahren primär einen digitalen Kontakt haben werden. Der persönliche Kontakt kommt dann ins Spiel, wenn Interventionen nötig sind, und für die haben wir dann vielleicht sogar mehr Zeit als heute. Woran ich ausdrücklich nicht glaube, sind rein digitale Praxen. Es wird immer Personen geben, die eine klassische Sprechstunde in Anspruch nehmen wollen oder müssen, das sollten wir ihnen nicht verbauen.


Lassen Sie uns kurz zu der Plattform kommen, für die Sie als Medical Director engagiert sind. Die Kooperation des Schweizer Unternehmens OnlineDoctor mit dem BVDD startete vor rund zwei Jahren als offenes Angebot an alle Dermatolog:innen in Deutschland. Wie sehen die aktuellen Zahlen aus
?
In Summe haben wir bisher über 70 000 Fälle digital bearbeitet, mit aktuell rund 400 dermatologischen Praxen deutschlandweit. Das heißt, jede zehnte Praxis nutzt OnlineDoctor bereits. Dazu kommen noch mal weitere 200 Fachärzte und Fachärztinnen in Österreich und der Schweiz. In Deutschland haben wir mittlerweile mit 40 gesetzlichen Krankenkassen Selektivverträge und decken damit gut ein Drittel der Versicherten ab. Diese Selektivverträge kamen sukzessive innerhalb des letzten Jahres, und sie haben erwartungsgemäß zu einer deutlichen Fallzahlsteigerung geführt.

Wie unterscheiden sich die Online-Konsultationen von den leibhaftigen Konsultationen?
Eine Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem BVDD hat gezeigt, dass in drei von vier Fällen die Konsultation als „gleich“ oder „besser“ im Vergleich zur Vor-Ort-Konsultation erlebt wird. Trotzdem gibt es natürlich Grenzen: Ich kann online nicht immer eine sichere Diagnose stellen. Ich kann keine Biopsie machen, habe keinen Tast- und keinen Geruchssinn zur Verfügung. Entsprechend agiere ich vorsichtiger, und im Zweifel bitte ich die Person, persönlich vorbeizukommen. Etwa 15 Prozent der Betroffenen brauchen einen Praxistermin, den wir dann in der Regel auch sehr zeitnah möglich machen. Etwa in 20 Prozent der Fälle stelle ich ein Rezept aus. Da es in Deutschland noch kein E-Rezept gibt, müssen Neupatientinnen und -patienten dafür im Moment noch in die Praxis kommen. Bei allen anderen geht das auch ohne Vor-Ort-Besuch. Etwa 10 bis 20 Prozent der Online-Anfragen kommen in unserer Praxis von weiter weg. Da geht es dann häufig eher um eine digitale Einschätzung und den ärztlichen Rat.


Der EBM-Katalog bietet ambulanten Ärzt:innen mittlerweile einige Möglichkeiten, Telemedizin abzurechnen – Möglichkeiten, die OnlineDoctor nicht nutzt. Warum?
Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von Abrechnungsziffern, aber die sind auf die Videosprechstunde, also die synchrone Telemedizin, beschränkt. Was wir machen, ist asynchrone Telemedizin, und das ist im EBM bisher ausgeklammert. Ich finde das als Arzt allerdings gar nicht so schlecht, gerade auch nach den Erfahrungen mit den finanziell unattraktiven EBM-Ziffern für die Videosprechstunden. Bei OnlineDoctor bewegen wir uns im Bereich individueller Gesundheitsleistungen und haben 40 gesetzliche Krankenkassen über integrierte Versorgungsverträge an Bord, darunter die Techniker, die Kaufmännische Krankenkasse, die Hanseatische Krankenkasse und zahlreiche Betriebskrankenkassen. Das macht den Service sowohl für die Versicherten als auch für das ärztliche Personal interessant.


Wie genau sieht das Abrechnungsmodell in den IV-Verträgen aus?
Pro Online-Beratung erhalte ich als Dermatologe ein pauschales Honorar von OnlineDoctor. Diese Vergütung erfolgt für jede Konsultation, die ich digital durchführe und nicht als Quartalspauschale.


Die Honorierung ist insgesamt deutlich attraktiver als die der Videosprechstunden. Wie haben Sie das geschafft, und warum machen die Krankenkassen das mit?

Das ist ja letztlich auch die Crux der Videosprechstunde: Es gab coronabedingt einen großen Schub Anfang 2020, aber danach ist das wieder stark abgeflacht, weil der Anreiz ohne Lockdown-Situation nicht groß genug ist. Eine Videosprechstunde geht nicht schneller als eine normale Konsultation, manchmal dauert sie sogar länger. Bei den asynchronen Konsultationen ist das anders, da kann ich unter Umständen Zeit sparen und bin flexibel. Was die Krankenkassenperspektive angeht, hat das aus meiner Sicht mehrere Dimensionen: Zum einen ermöglicht die Zusammenarbeit mit OnlineDoctor, die Versorgung für Versicherte zu verbessern, beispielsweise in ländlichen Regionen, in denen eine fachärztliche Unterversorgung droht. Darüber hinaus möchten die gesetzlichen Krankenkassen die Digitalisierung des Gesundheitswesens aktiv mitgestalten und sinnvolle Angebote auf diese Weise fördern.

Wie entwickeln Sie die Plattform weiter, und was wären Ihre Wünsche an die neue Bundesregierung?

Technisch werden wir dieses Jahr daran arbeiten, dass sich die Software in den ärztlichen Alltag noch effizienter einfügt und für viele verschiedene Arten von Fällen an-
gewendet werden kann. Unser Ziel ist es, jeden in der Praxis im Sinne eines Digital-First-Ansatzes zu betreuen. Das heißt, Betroffene mit einem Hautleiden haben immer zuerst digitalen Kontakt zum Dermatologen oder zur Dermatologin. Wenn notwendig, wird nachfolgend ein nahtloser Übergang in die Versorgung vor Ort geschaffen. Damit schaffen wir ein nachhaltigeres und ressourcen-effizienteres Gesundheitssystem.


Was die neue Bundesregierung angeht, würde ich mir wünschen, dass der Elan nicht verloren geht und dass die Arztseite bei der Telemedizin nicht vergessen wird – Stichworte: Bürokratie reduzieren und Vergütung sicherstellen. Früher oder später wird die Frage der Abrechenbarkeit der asynchronen Telemedizin noch mal neu aufs Tablett kommen, und dann gilt es zu gewährleisten, dass der Service nicht unattraktiv wird. Das, was bei der Videosprechstunde passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Wenn wir verhindern wollen, dass mit z.B. ausländischem oder Spekulationskapital leichte Fälle aus der Versorgung gezogen werden, dann müssen wir digitale Angebote von niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen fördern, anders geht das nicht. Wenn in der eigenen Praxis nur noch die komplexen, interventionellen Fälle bleiben, während alle anderen durch anonyme Apps ohne konkrete Ansprechpartner versorgt werden, dann dünnt die ambulante Versorgung aus. Am Ende wird das ins-
gesamt teurer und nicht im Sinne der Menschen sein, davon bin ich überzeugt.

Ein wichtiger Baustein gerade in der Dermatologie ist auch die bessere digitale Vernetzung mit Hausärzten und Kliniken, also die Arzt-zu-Arzt-Telemedizin. Gibt es Bestrebungen, hier etwas voranzukommen?
Das ist ein wichtiges Thema, gerade auf dem Land. In der Schweiz hat OnlineDoctor beispielsweise bereits professionelle App-Lösungen in Betrieb, die es medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern erlauben, patientenbezogen digital mit Konsiliarärzten und -ärztinnen zu kommunizieren. In Deutschland sind die technischen Hürden deutlich höher. In kleinem Rahmen mache ich das mit Kollegen und Kolleginnen so, dass eine Online-Anfrage gestellt wird, ich als Konsilarzt agiere und Hausarzt oder Hausärztin dann die Rezeptierung übernimmt. Das ist im Prinzip genau der interkollegiale Austausch, der sonst über Smartphone-Messenger läuft, nur eben mit einer sicheren Telemedizinplattform. Solche datenschutzrechtlich abgesicherten, digitalen Kooperationsstrukturen sollten unbedingt stärker ermöglicht werden. Das wäre auch noch ein Wunsch an die neue Regierung.



Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM.