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» Wir befinden uns in einem Transformationsprozess «

Im Herbst 2024 hat Daniel Gotthardt das Ruder bei der CompuGroup Medical (CGM) übernommen – in stürmischen Zeiten, die voraussichtlich in einem Rückzug des Unternehmens vom Aktienmarkt münden werden. Ein Arzt an der Spitze – was bedeutet das für eines der größten deutschen Health-IT-Unternehmen?

Foto: © CGM

Sie sind seit gut acht Monaten CEO der CGM. Sie waren vorher CMO, also in einer deutlich medizinnäheren Position. Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert durch den Wechsel?
Ich habe jetzt leider weniger mit konkreten Produktentwicklungen und weniger mit Medical Content zu tun. Stattdessen sind es jetzt eher übergeordnete Themen, mehr Strategie, mehr Unternehmensführung. Die Verantwortung betrifft nicht mehr nur einen Bereich, sondern das gesamte Unternehmen, das ist schon ein Unterschied. Der Vorteil ist, dass man viele Dinge unmittelbar entscheiden kann. Gleichzeitig wird die Arbeitslast dadurch nicht geringer.

Anders als Ihr Vater und anders als alle Ihre Vorgänger im CEO-Posten sind Sie Mediziner, und zwar einer, der sehr viel klinische Erfahrung gesammelt hat, bis hin zum Oberarzt an der Uniklinik Heidelberg. Was ändert sich bei der CGM durch einen Mediziner als CEO?
Zum einen ist es mir wichtig, dass wir noch stärker die Sicht des Kunden einnehmen. Zum anderen wird die 
Digitalisierung, die bisher einen starken Fokus auf administrative Aufgaben und auf klassische IT-Themen gelegt hat, künftig viel mehr die medizinische Versorgung und auch die medizinische Entscheidungsfindung betreffen. Das wird mit der Berufung eines Mediziners auf den CEO-Posten in gewisser Weise abgebildet. Letztlich spiegelt das auch die wachsende Bedeutung wider, die künstliche Intelligenz für digitale medizinische Anwendungen hat. Die CGM wird auch deshalb noch mal stärker mit medizinischen Themen aufgeladen werden.

Die CGM hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Sie haben im Dezember 2024 eine Investitionsvereinbarung mit dem Finanzinvestor CVC abgeschlossen. Aktuell läuft das Delisting-Angebot der CGM, das in einem Rückzug von der Börse münden soll. Was sind Ihre Ziele für die nächsten zwölf Monate?

Es war tatsächlich ein relativ schwieriges Jahr. Als ich angetreten bin, habe ich der CGM drei Dinge auf die Fahne geschrieben. Das eine ist Kundenzufriedenheit. Wir nennen das Operational Excellence, denn wenn wir in allen Bereichen effizient arbeiten und Qualität liefern, dann werden unsere Produkte, unser Service und damit unsere Kunden davon profitieren. Kundenzufriedenheit hat verschiedene Aspekte; wir werden dazu in einigen Bereichen umbauen, das braucht ein wenig Zeit. Wir befinden uns also in einem Transformationsprozess. Der zweite Schwerpunkt ist das Thema „synchronizing products“. Unser großer Vorteil als CGM ist, dass wir fast die ganze Bandbreite der Leistungserbringer abdecken können, und das in vielen Ländern. Der nächste Schritt ist, dass wir diese Produkte besser miteinander verbinden. Das macht auf Ebene der einzelnen Institution das Arbeiten einfacher. Ich glaube aber auch, dass die Digitalisierung sich noch viel mehr in Richtung Versorgungsmanagement weiterentwickeln wird. Dafür braucht es eine vernetzte Plattform, die wir mit Sicherheit anbieten werden. Das dritte ist, wie schon angesprochen, KI, das wird ganz klar ein Fokusthema werden.

Man hat den Eindruck, dass es bisher nicht ganz gelungen ist, daraus Kapital zu schlagen, dass die CGM so breit aufgestellt ist. Wie wollen Sie vorgehen, damit sich das ändert?
Ein wichtiger Aspekt ist, dass unsere Produkt-Teams enger zusammengeführt werden. Wir müssen auch noch stärker als bisher von der Patientenreise her denken. Letztlich spiegelt sich in unserem Unternehmen der Wandel des Gesundheitssystems. Früher hatten wir eine klare Sektorentrennung, und entsprechend gab es stark sektorale IT-Systeme. Jetzt reden wir über intersektorale Versorgungsszenarien und wir haben die elektronische Patientenakte, die ePA, die ohne Vernetzung, Standards und offene Schnittstellen nicht funktioniert. Es gibt viel Wandel im Gesundheitswesen, und die CGM wandelt sich mit.

Besteht die Antwort in neuen Produkten, die intersektoral angelegt sind? Oder ist die Antwort eine Vernetzungsplattform?
Ich sehe da in erster Linie eine Vernetzungsplattform. Wir haben viele Produkte, und die entwickeln wir konsequent weiter. Wir werden auch neue Produkte bauen, aber das kann nicht die ausschließliche Lösung sein. Wir werden die etablierten Produkte stark integrieren, und das ist am besten über eine Vernetzungsplattform umsetzbar. Nehmen Sie das Beispiel KI: Die CGM ist eines der führenden Unternehmen in Europa, was KI-Lösungen für die medizinische Versorgung angeht. Diese KI-Lösungen bauen wir in einem zentralisierten Ansatz und integrieren sie in eine Vielzahl von Systemen. Das haben wir in ähnlicher Weise schon bei CLICKDOC gemacht, es wird künftig aber in einem sehr viel größeren Umfang geschehen. Es wird Kernsysteme geben, die die Kunden sich individuell aussuchen und die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Und gleichzeitig gibt es immer mehr Komponenten, die in diese Kernsysteme integriert und die letztlich zentral entwickelt und auch zentral zur Verfügung gestellt werden.

Stichwort KI-Tools: Kann man sich das vorstellen wie eine Art CGM-internes Marktplatzmodell, bei dem ich mir KI-Anwendungen – seien sie administrativ, seien sie medizinisch – nach Bedarf dazubuchen kann?
Genau. Wir werden sicherlich bei für uns wichtigen Themen eigene KI-Lösungen entwickeln, das machen wir ja jetzt schon. Daneben wird es Anwendungen geben, die sehr spezialisiert sein werden und die wir nicht selbst entwickeln. Hier öffnen wir den Marktplatz dann auch für andere.

Können Sie bei den eigenen Lösungen Beispiele nennen? Woran arbeiten Sie, bzw. was gibt es schon?
Was wir schon im Angebot haben, ist ein Telefonassistent, der normale MFA-Telefonate mit üblichen Themen wie Terminvereinbarung übernehmen kann. Das ist wirklich sehr eindrucksvoll, was da heute schon geht. Für den niedergelassenen Bereich bieten wir Dokumentationsassistenten an, die Gespräche mitschneiden und gezielt in die Dokumentation hinein transkribieren können. Auch das finde ich sehr eindrucksvoll. Wir arbeiten weiter in Richtung Sprachsteuerung. Wir entwickeln intensiv KI-Tools für die stationären Systeme, beispielsweise automatisierte Reports im Rahmen des Controllings. In Sachen KI passiert wirklich unglaublich viel. Das haben wir als CGM relativ früh erkannt, auch intern, und konnten dadurch Know-how aufbauen, das viele andere in dem Umfang nicht haben. Wir haben ein zentrales, internes KI-Team sowie in jedem Segment jeweils kleine Teams etabliert, die gut vernetzt sind und konsequent wachsen.

Sie haben jetzt von Kommunikations-, Dokumentations-Tools und Controlling-Tools gesprochen. Wie sieht es aus mit im engeren Sinne medizinischen KI-Tools, für die dann ja auch eine Medizinproduktezertifizierung nötig wird?

Da sind wir auch dran. Wir haben bereits verschiedene Medizinprodukte in unserem Portfolio, die im Markt zugelassen sind. Diese nutzen aktuell regelbasierte KI, aber wir werden auch in diesem Bereich die Potenziale nicht regelbasierter Anwendungen ausleuchten.

Kommen wir kurz zur ambulanten Welt. Speziell bei den Humanmedizinerinnen und -medizinern lief es zuletzt nicht optimal. Ein Thema, das die CGM und andere vorantreiben, ist das Thema Cloud-basiertes Arztinformationssystem (AIS). Sie haben ein entsprechendes System in Entwicklung. Wie weit sind Sie damit? Und was sind die Zielgruppen für diese Systeme?
Unser Cloud-basiertes AIS ist ein ganz wichtiger Baustein unserer Strategie. Es wird im ersten Schritt von 
Privatärztinnen und -ärzten genutzt. Die Entwicklung geht aber konsequent weiter in Richtung GKV-Versorgung und in Richtung weiterer Anwendergruppen, beispielsweise Psychotherapeuten. Die Roadmap verfeinern wir gerade noch, aber wir werden verschiedene Facharztgruppen bearbeiten, einschließlich Hausärztinnen und Hausärzte. Für wen ist ein Cloud-PVS geeignet? Ich glaube, das hängt davon ab, was die Leute suchen. Es hängt von der Infrastruktur vor Ort ab und auch davon, wie mein Arbeitsalltag abläuft. Wie mobil muss ich sein? Wie viel arbeite ich von zu Hause? Ich denke, dass die Zukunft Hybridsysteme sind, die abhängig von der individuellen Situation ihren Schwerpunkt entweder on-premise oder in der Cloud haben. Wenn Sie zum Beispiel KI-Lösungen nutzen wollen, brauchen Sie eine Cloud-Anbindung, auch dann, wenn Sie ein On-Premise-System haben. Andersherum wird es auch bei Cloud-Systemen sehr oft Komponenten geben, die vor Ort installiert werden müssen. Denken Sie an Hardware-Medizinprodukte, die werden noch lange lokale Komponenten benötigen.

Können die teils schon sehr lange im Markt befindlichen, ambulanten CGM-Systeme ohne Weiteres in den Hybridbetrieb wechseln, wenn sie zum Beispiel KI-Tools nutzen wollen?
Die Systeme werden ja kontinuierlich und intensiv weiterentwickelt. Wir haben auch jetzt schon Vernetzungsthemen integriert, der THERAFOX, unser Arzneimittelinteraktions-Check, ist auch eine Cloud-Lösung, das funktioniert seit Jahren mit tiefer Integration. Aber ohne kontinuierliche Weiterentwicklung der Kernprodukte geht es nicht, das ist schon klar.

Was erwarten Sie sich von der neuen Gesundheitsministerin bei der Digitalisierung?
Klare und verlässliche Rahmenbedingungen: Was sind Minimalanforderungen an medizinische IT-Systeme? An welche Schnittstellen müssen sich alle halten? Gedanken machen muss die Politik sich auch darüber, wie Digitalisierung finanziert wird: Ist das dann Teil der Vergütung der Leistungserbringer? Gibt es Pauschalen? Ansonsten: Mehr Markt wagen. Es gab in den letzten Jahren etliche Versuche, bei der Digitalisierung nicht nur Schnittstellen vorzugeben, sondern auch, wie sie konkret umgesetzt werden sollen. Das halte ich nicht für zielführend. Es braucht schon Regeln, aber bei der Umsetzung sollte man dem Markt vertrauen.

Noch mal zurück zum Anfang unseres Gesprächs. Sie sind Mediziner, und wie eigentlich alle digitalisierungsaffinen Mediziner, die ich kenne, einschließlich unseres ehemaligen Gesundheitsministers, fasziniert von den Möglichkeiten der KI. Wohin bewegt sich die Medizin bei diesem Thema aus Ihrer Sicht?
Das Thema bewegt mich schon sehr stark, und das betrifft nicht nur die Medizin, sondern alle Branchen. Wir sehen auch intern, was mittlerweile alles geht. KI wird in den nächsten drei Jahren die ganze Berufswelt und wahrscheinlich auch die medizinische Versorgung einmal umpflügen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Arzt oder eine Ärztin in fünf bis zehn Jahren nicht mehr so arbeiten wird, wie ich das damals an der Klinik getan habe. Das ist auch gut so, denn wir brauchen immer mehr und immer komplexere Medizin, bei gleichzeitig auf absehbare Zeit anhaltendem Fachkräftemangel. Wie soll das anders gehen als mit Digitalisierung und KI? Wir glauben da sehr stark dran. Festmachen lässt sich das zum Beispiel an unserer MARE-Initiative, dort investieren wir stark in Richtung Daten und Datenanalytik. Wir bauen auch eine eigene KI-Engine, um unsere Modelle zumindest teilweise selbst trainieren zu können. KI wird der Gesundheitsversorgung eine ganz neue Dimension hinzufügen.

Wenn wir über LLM-basierte Anwendungen reden: Können Sie sich vorstellen, hier eigene Modelle zu nutzen?
Wenn wir von Foundation-Modellen reden: Das sehe ich aktuell nicht, aber die Entwicklung geht so schnell, wer weiß. Aktuell verfeinern wir zum Beispiel für Transkription existierende Modelle, damit insbesondere medizinisches Vokabular besser erkannt wird, und wir erweitern die Modelle auch um neue medizinische Inhalte. Das klingt erst mal einfach, aber man muss dazu schon wissen, wie das genau funktioniert mit dem Prompting und dem Validieren. Stichwort LLM-basierte Medizinprodukte: Natürlich diskutieren wir darüber, und wir evaluieren das auch. Das ist ein dickes Brett, aber wenn wir es nicht bohren, wer sonst?

Jenseits der Medizinprodukte: Fühlen Sie sich beim Thema LLM regulatorisch gut aufgehoben in Deutschland und Europa, oder fühlen Sie sich ausgebremst? Haben Sie die nötigen Modelle, die Sie brauchen, und die nötigen Datensätze für Training und Validierung?
Ich würde sagen, wir haben die nötigen Modelle, ja. Bei der Regulatorik, speziell beim AI Act, ist vieles noch neu. Wichtig ist, wie es am Ende angewandt oder ausgelegt wird. Das war bei der DSGVO auch so: Es gab ganz viele Diskussionen, alles sollte nicht mehr funktionieren, aber am Ende hat man einen guten Weg gefunden und damit meiner Meinung nach einen Mehrwert geschaffen. Wenn das bei den KI-Themen ähnlich gelingt, dann können wir damit arbeiten. Natürlich kann man durch eine Über-
regulierung oder eine überharte Auslegung von Gesetzen jede Innovation ersticken. Das darf nicht passieren.




Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM.