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»Wir müssen digitale Kompetenzen fördern«

Kaum eine andere medizinische Disziplin hat Telemedizin, Wearables und Maschinenlernen in den letzten Jahren so ins Herz geschlossen wie die Kardiologie. Das Fach steht an der Schwelle zu einer umfangreich digital gestützten Versorgung, und auch gesundheitspolitisch sind die ersten Schritte gegangen. Prof. Dr. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums an der  Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, gehört zu denen, die die digitale Kardiologie in Deutschland vorantreiben.

Bild: © privat

Warum sollten sich Kardiolog:innen für Digitalisierung interessieren? Was interessiert Sie daran?
Ich interessiere mich unter anderem deswegen dafür, weil ich sehr technikaffin bin und elektronische Spielzeuge mich sehr ansprechen. Interessanter ist, warum die Kardiologie sich dafür interessieren sollte: Wir sind an einem Punkt, wo wir die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in unserer klinischen Praxis einsetzen können und auch sollten. Wir müssen diese Chance ergreifen, denn wenn wir es nicht tun, werden wir irgendwann überrollt und haben die Entwicklung dann nicht mehr selbst in der Hand. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Es ist ja nicht so, dass angehende Ärzt:innen Digitalisierung im Studium oder Fachärzt:innen in der Weiterbildung lernen. Das Thema kommt da effektiv nicht vor. Das müssen wir ändern. Ich habe mich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass Digitalisierung im neuen Weiterbildungs-Curriculum Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) auftaucht. Dort gibt es jetzt den Punkt „Digitale Kardiologie“, der konkrete Inhalte und Handlungskompetenzen auflistet, von digitaler Recherchekompetenz über die Nutzung medizinischer Datenbanken bis hin zu Grundkenntnissen über Wearables, Apps und Telemedizin. Wir müssen digitale Kompetenz fördern und entsprechende Strukturen für die Kompetenzvermittlung implementieren. Da ist das Weiterbildungs-Curriculum der Anfang.

Die digitale Kardiologie hat ja zahlreiche Facetten, von Wearables über Bilddaten-Analyse und Big-Data-Analytik bis hin zum Telemonitoring bei Herzinsuffizienz. Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die interessantesten digitalen Baustellen?

Ein sehr wichtiges Thema, das mir als Rhythmologe natürlich auch nahesteht, ist die Herzrhythmus-Diagnostik mit allen möglichen neuen digitalen Tools. Dabei geht es nicht nur um die teils recht banale, technische Umsetzung der Diagnostik, sondern vor allem auch um die Implementierung von systematischen Screening-Programmen in den Alltag. Da wird die digitale Kardiologie wirklich spannend, aber auch sehr anspruchsvoll. Das ist dann auch keine rein kardiologische Aufgabe mehr, sondern
eine, die interdisziplinär und nicht zuletzt auch gesundheitspolitisch angegangen werden muss. Ein zweites, sehr vielversprechendes, aber erneut ziemlich anspruchsvolles Gebiet ist die Integration all der vielen Daten, die wir heute schon generieren können, in Modelle, die uns für klinische Entscheidungen weiterbringen. Und dann gibt es das Telemonitoring, das aktuell viel diskutiert wird.

Fangen wir damit mal an. Sie sind u.a. in der AG 33 der DGK, die sich um das Thema Herzinsuffizienz-Telemonitoring kümmert. Hier gibt es jetzt EBM-Ziffern für die ­Abrechnung telemedizinischer Leistungen, nachdem der G-BA vor mittlerweile auch schon deutlich über einem Jahr den Weg dafür freigeräumt hatte. Wie beurteilen Sie die neuen Abrechnungsmöglichkeiten?
Wir sollten als Erstes festhalten, dass wir eine gute Studienlage zum Herzinsuffizienz-Telemonitoring haben, und zwar sowohl beim konventionellen Telemonitoring als auch beim Telemonitoring mithilfe kardialer Devices. Wir haben weniger Praxisbesuche, weniger Krankenhauseinweisungen, erkennen defekte Devices früher und reduzieren unter Umständen die Sterblichkeit. Telemonitoring nutzt Patient:innen und Behandelnden, und daher ist es ein wichtiges Statement, dass dafür jetzt Erstattungswege geschaffen wurden. Das heißt für uns: Wir müssen jetzt auch versuchen, das im Rahmen der Möglichkeiten zu implementieren, um es dann gegebenenfalls schrittweise zu verbessern. Die Situation insgesamt ist nicht unkompliziert: Wir haben diverse Einrichtungen, die seit Langem ­telemedizinische Dienste anbieten. Das sind aber keine ambulanten Einrichtungen und somit gar keine Vertragseinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Inwiefern?
Die Art und Weise, wie wir hier bei uns seit über zehn Jahren Telemedizin machen, ist in den Strukturen, die jetzt etabliert werden sollen, nicht wirklich vorgesehen. Die strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung stößt beim Herzinsuffizienz-Telemonitoring (mal wieder) an Grenzen. Neben dieser Abrechnungsthematik gibt es auch noch eine Reihe anderer offener Fragen, zum Beispiel was Strukturen und vor allem auch Qualitätssicherung angeht. Kurz gesagt: Telemonitoring bei Herzinsuffizienz ist sinnvoll. Dass es vergütet werden soll, ist zu begrüßen. Aber wie wir das genau umsetzen werden, wissen wir ehrlicherweise noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass da das eine oder andere noch nicht ganz zu Ende gedacht ist.


Kommen wir zu einem Ihrer Hauptthemen, den Wearables für Herzrhythmus und EKG. Was sind aus Ihrer Sicht sinnvolle Einsatzszenarien für diese Wearables, vor allem auch für die Uhren? Nutzen Sie die bei manchen Patient:innen aktiv, sofern vorhanden? Und wenn ja, in welchen klinischen Szenarien?
Es gibt zwei Situationen, in denen ich das sehr hilfreich finde. Das eine ist der Patient, der in die Sprechstunde kommt und sagt, er habe gelegentlich Herzrhythmusstörungen. In solchen Situationen kann es ohne Wearables mitunter Monate, manchmal Jahre dauern, bis die Anfälle irgendwann einmal auf einem Langzeit- oder Ruhe-EKG eingefangen werden. Bei Rhythmusstörungen, die die Patient:innen selbst bemerken, lässt sich diese dia­gnostische Odyssee verkürzen, wenn die Betroffenen im richtigen Moment ihr Wearable-EKG einschalten und mir dann einfach das PDF schicken. Die zweite Konstellation sind asymptomatische Patient:innen mit hohem Risiko für Vorhofflimmern, also zum Beispiel Patient:innen mit Schlaganfall, Schlafapnoesyndrom oder auch Bluthochdruck. Wenn ich die bitte, mehrfach am Tag aktiv ein EKG aufzuzeichnen, erweitert das mein Blickfeld und verlängert die überwachte Zeit. Und das erhöht die Chance, ein intermittierendes Vorhofflimmern zu finden.

Würde Ihnen denn das 1-Kanal-EKG eines typischen Wearables ausreichen, um die Diagnose Vorhofflimmern zu stellen und daraus dann auch die Indikation zur Antikoagulation abzuleiten?

Klares Ja. Ein 1-Kanal-EKG von 30 Sekunden ist nach den aktuellen Vorhofflimmerleitlinien der European Society of Cardiology ausreichend für die Diagnose von Vorhofflimmern.

Was machen Sie, wenn Sie auf dem Wearable-EKG-Streifen irgendeine Rhythmusstörung sehen, die nicht eindeutig Vorhofflimmern ist? Würden Sie dann auf ein Mehrkanal-Wearable wechseln?

Das ist sicher eine Möglichkeit. Wir haben bei uns ein 6-Kanal-Wearable, wobei wir das nur selten wirklich brauchen. Klinisch ist das nicht so relevant wie die anderen genannten Szenarien. Die Information, die ich in der Regel brauche, lautet: Ist es Vorhofflimmern oder nicht? Dafür sind die 1-Kanal-Wearables gut geeignet. Wenn es kein Vorhofflimmern ist, müssen wir in der Regel ohnehin etwas genauer hinsehen.

Nutzen Sie auch die photoplethysmographischen Herzrhythmusmessungen?
Das kann eine gute Alternative für asymptomatische Patient:innen sein, die zum Beispiel kein Uhren-EKG-System besitzen. Für die Pulsmessung reicht die normale Handykamera. Wenn Patient:innen das mehrfach am Tag machen, dann gibt uns das eine gute Ersteinschätzung der Rhythmussituation.

Wie sieht es mit der Synkopenabklärung aus? Würde da zum Beispiel eine kontinuierliche PPG-Messung weiterhelfen?
Das würde ich eher kritisch sehen. Bei Synkopen würden wir ja gerne, wenn möglich, die nächste Synkope definitiv erwischen und dann auch sehen, was für ein Herzrhythmus zum Zeitpunkt der Synkope vorlag. Mit einer PPG-Messung lassen sich Pausen identifizieren, aber was genau die Pause im Herzrhythmus verursacht hat, erfahren wir dadurch nicht. Man muss auch sagen, dass die kontinuierliche PPG-Messung nicht so einfach ist. Was die Apple Watch mit ihrem „unregelmäßigen Pulsalarm“ macht, ist keine kontinuierliche Messung. Die Uhr misst alle paar Minuten, und erst bei Hinweis auf Unregelmäßigkeit eine Zeit lang kontinuierlich. Was ich mir für die Zukunft vorstellen könnte, sind EKG-Shirts, die dann im Idealfall sogar 12-Kanal-EKGs ableiten. Wenn wir so etwas hätten, und wenn es zuverlässig funktioniert, dann könnten wir unter Umständen auch in bei der Synkopenabklärung möglicherweise auf diagnostische Implantate verzichten.

Spannend werden Wearable-Daten ja nicht zuletzt dann, wenn man sie mit Algorithmen hinterlegt, die bei Dia­gnose und/oder Prognose behilflich sein können. Sie werden bei der DGK-Tagung über das Thema Künstliche Intelligenz (KI) im Kontext von Wearables referieren. Was halten Sie von Versuchen, zum Beispiel aus den EKG-Daten durch KI mehr herauszuholen, als das menschliche Auge herausholen kann, seien es Prognosen für die künftige Entwicklung der Ejektionsfraktion (EF) oder eine Abschätzung des Risikos von Vorhofflimmern?
Ich finde das spannend und halte es für wichtig, dass diese Studien laufen. Natürlich müssen wir uns immer fragen, was uns am Ende wirklich klinisch weiterhilft. Wenn ich mit dem EKG zeigen kann, dass das Kalium möglicherweise zu hoch ist oder Hinweise finde, dass die linksventrikuläre Ejektionsfraktion niedrig ist, dann stellt sich die Frage, was mir das bringt. Im Zweifel würde ich ohnehin Blut abnehmen bzw. eine Echokardiographie machen. Anders sieht es aus, wenn aus dem EKG ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern ablesbar wäre. Das könnte als eine frühe Screening-Stufe im Rahmen von komplexen Vorhofflimmer-Screening-Programmen genutzt werden: Eine kontinuierliche PPG-Messung würden dann zum Beispiel nur die erhalten, bei denen sich im Ruhe-EKG Hinweise auf ein erhöhtes Vorhofflimmerrisiko finden. Es gibt auch Untersuchungen, in denen anhand des EKGs das Geschlecht vorhergesagt wird. Das bringt nun klinisch gar nichts, aber trotzdem illustriert all das sehr schön, dass in klinischen Routinedaten viel mehr Informationen stecken, als wir uns vorstellen und die wir noch längst nicht alle nutzen. Wir müssen lernen, wie wir diese Informationen herausziehen können, und das betrifft dann nicht nur das EKG, sondern auch viele andere Daten, sei es aus medizinischen Kontexten, sei es von kardiologischen Wearables, sei es aus ganz anderen Quellen. In diesen Daten steckt unheimlich viel drin, und das könnten wir mithilfe von KI extrahieren. Diese Daten sind schon heute alle vorhanden, nur nicht in einer Art und Weise, die es erlauben würde, sie vernünftig auszuwerten.

Und wie kommen wir dahin?

Das ist sicher keine rein kardiologische Aufgabe. Das geht nur mit viel Vernetzung und datenschutzrechtlich abgesicherten Datenpools. Klar ist, dass es ohne solche vernetzten Strukturen nicht gehen wird, wenn wir die vielen Daten, die wir haben, in größere Modelle integrieren wollen. Und diese Modelle brauchen wir, um hinreichend zuverlässige Prognosen über den klinischen Verlauf treffen zu können. Die Prognosen, also die Definition von Risikogruppen, ist dann im nächsten Schritt die Grundlage für klinische Studien, seien es Screening-Studien, Präventionsstudien oder Therapiestudien.

Anderes Thema zum Abschluss: Sie gehören zu den gar nicht so wenigen Kardiolog:innen, die recht aktiv auf Twitter sind. Was gefällt Ihnen an dieser Art Kommunikation, und wo sind die Grenzen?
Die recht gute Präsenz der Kardiologie auf Twitter und anderen sozialen Medien hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Ich sehe da für die professionelle Kommunikation gewisse Vorteile. Das ist auf jeden Fall eine gute Ergänzung zu den anderen Wegen der professionellen Kommunikation über Journal-Publikationen und auf Kongressen. Ein Pluspunkt ist, dass soziale Medien schnell sind: Es gibt immer wieder Publikationen, von denen ich zuerst auf Twitter erfahre, bevor sie dann in einem Journal auftauchen. Als zweiten Pluspunkt sehe ich die Vernetzung: Es ist relativ leicht, miteinander zu interagieren, auch international und mit Kolleg:innen, mit denen man sonst vielleicht nicht ohne Weiteres in Kontakt gekommen wäre. Ich halte auch die Tatsache, dass soziale Medien wie Twitter offene Austauschplattformen sind, für einen Vorteil. Die schnelle, nicht kontrollierte Kommunikation hat natürlich immer auch ein gewisses Risiko. Zudem ist es gerade bei komplexen, wissenschaftlichen Sachverhalten schwierig, die Information auf 280 Zeichen zu reduzieren. Auch ist es in wissenschaftlichen Publikationen heute üblich, potenzielle Interessenkonflikte offenzulegen, was in sozialen Medien nicht gewährleistet wird. Auch gibt es kein strukturiertes Peer-Review-Verfahren und die Sichtbarkeit in sozialen Medien entspricht nicht automatisch dem wissenschaftlichen Impact der jeweiligen Person, was zu einer gewissen Verzerrung führen kann. Aber ich glaube dennoch, die Chancen sozialer Medien für den professionellen Gebrauch überwiegen. Am Ende ist der offene, fachliche Austausch ja irgendwo die Grundmaxime von Wissenschaft. Ich habe da große Sympathien für, und vielen, gerade auch jüngeren Kolleg:innen geht das ähnlich.  



Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur e-health-com.