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„Wir sollten über das Opt-in-Modell nachdenken“

Die ePA blüht noch im Verborgenen. Andreas Strausfeld ist Vorsitzender der BITMARCK Geschäftsführung und als solcher ein wichtiger Akteur in der ePA-Landschaft. Was ist seine Zwischenbilanz, und was sind die Wünsche an die neue Regierung?

Die Krankenkassen sind seit Anfang 2021 verpflichtet, ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) anzubieten. Wie ist Ihre Zwischenbilanz nach jetzt neun Monaten?

Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die ePA ein mächtiges Werkzeug für die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens ist. Und ich glaube, dass es gut ist, dass der Zug jetzt auf der Reise ist. Eine andere Frage ist, ob wirklich schon alle Weichen optimal gestellt sind.


Das Bundesministerium für Gesundheit sprach Ende September von rund 265.000 angelegten ePAs bisher. Als BITMARCK sind Sie einer der großen ePA-Dienstleister. Wie sehen Ihre Zahlen aus?

Die Zahlen sind noch nicht so, wie wir uns das vorgestellte haben. Jeder im Markt wünscht sich mehr Traffic, aber auf der anderen Seite können wir so ganz gut Erfahrungen sammeln. Wir liegen jetzt bei unseren Krankenkassen im fünfstelligen Bereich. Das ursprüngliche Ziel war eine halbe Million bis Jahresende. Aber da die ePA bisher nicht aktiv beworben wird und die Anbindung der Leistungserbringer Mitte des Jahres überhaupt erst begonnen hat, passt das schon.

 

Anfang kommenden Jahres steht der Umstieg auf die ePA 2.0 an, die dann ein feingranulares Zugriffs- und Rechtemanagement bringen wird. Wie wird „Ihre“ ePA 2.0 genau aussehen?

Wir entwickeln primär das, was die gematik in der Version 2.0 spezifiziert hat. Da liegen die genauen Anforderungen und Zeitpläne jetzt vor, die werden wir einhalten. Darüber hinaus haben wir uns mit den Versicherten und Patient:innen, mit denen wir bei der ePA zusammenarbeiten, nochmal sehr intensiv das Nutzer-Interface und die Usability angesehen. Das feingranulare Rechtemanagement macht die ePA komplexer, aber sie soll dadurch nicht komplizierter zu bedienen werden. Unsere ePA 2.0 ist visuell ansprechender, wir haben Registrierung und Identifizierung nochmal überarbeitet und nutzerfreundlicher gemacht. Für all das bekommen wir gute Rückmeldungen, sodass ich davon ausgehe, dass wir Anfang 2022 eine attraktive Version 2.0 zur Verfügung stellen können.

 

Nun gibt es ja die Diskussionen mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten, der ein feingranulares Rechtemanagement auch außerhalb der ePA-App erwartet. Arbeiten Sie da schon dran?

Das Thema ist politisch noch nicht geklärt, da können wir als Dienstleister im Moment nur abwarten. Wir werden nicht irgendetwas auf Verdacht bauen.  Technisch wäre unter der Voraussetzung angepasster gematik-Spezifikationen vieles denkbar, zumal wir ja auch mit RISE einen sehr erfahrenen Partner an der Seite haben. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es komplexitätsreduzierend ist, wenn wir eine Aktenstruktur, die wir für eine App gebaut haben, jetzt nachträglich auslagern.


Abgesehen von der ePA 2.0, was beschäftigt Sie aktuell am meisten?

Eines unserer Hauptthemen ist unser GesundheitsCockpit, über das Krankenkassen ihren Versicherten diverse digitale Dienstleistungen zugänglich machen können, die unmittelbar mit ihrer persönlichen Gesundheit zu tun haben – beispielsweise die Prüfung von Medikamenteneinnahmen, eine Organisationshilfe bei Einnahmeplänen und ein Vorsorgekalender. Dazu kommen Adressänderungen, SEPA-Aufträge, Anträge aller Art, Bonusprogramme, ein E-Mail-Postfach und vieles mehr, individualisierbar auf die Bedürfnisse der jeweiligen Krankenkasse. Ziel ist, dass die Versicherten, die das möchten, über das Gesundheits-Cockpit auch auf ihre ePA zugreifen und dass das Cockpit außerdem andere Telematik-Dienste nutzen kann, beispielsweise Quittungen im Zusammenhang mit der eAU. Die Versicherten sollen also nicht mit mehreren Apps hantieren müssen, sondern auf das gesamte digitale Angebot ihrer Krankenkasse und auf ihre persönliche ePA über eine App zugreifen können. Das Ganze ist schon relativ weit gediehen, wir wollen das ab Januar bei einer ersten Pilotkasse implementieren.

 

Geht es bei dem GesundheitsCockpit primär darum, dass die Versicherten nur eine statt zweier Apps benötigen? Oder werden auch Services möglich, die bei Trennung der Welten nicht möglich wären?

Attraktivere Services anbieten zu können ist die Hauptintention. Am Beispiel der eAU lässt sich das gut veranschaulichen. Primär muss eine Krankenkasse die eAU dem Arbeitgeber zugänglich machen. Aber der Eingang einer eAU über den KIM-Dienst kann auch genutzt werden, um diverse Prozesse anzuschieben, von Vorversicherungsthemen über Einkommensanfragen bis hin zu einer automatisierten Krankengeldberechnung. Ähnlich bei bestimmten medizinischen Inhalten der ePA. Die ePA 2.0 enthält ab Januar 2022 die Medizinischen Informationsobjekte (MIO) Impfpass, Zahnbonusheft, Kinder-U-Heft und Mutterpass. Hier sind viele Erinnerungsfunktionen denkbar, die am Ende auch die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern.

 

Ohne dass die Krankenkassen zwangsläufig in die Daten reinschauen wollen, nehme ich an?

Das Thema kommt nachvollziehbarerweise immer an dieser Stelle. Am Ende ist das eine Frage des Orts der Datenspeicherung. Wenn ich solche Funktionen zwischen Aktensystem und Frontend der Versicherten ansiedele, dann besteht für die Kassen oder uns keine Möglichkeit, auf die Daten zuzugreifen. Und das ist im Übrigen auch alles gesetzlich geregelt: Die Krankenkassen – und damit auch wir – haben den Sozialdatenschutz seit Jahren intensiv im Blick, das ist unser täglich Brot. Unabhängig davon entwickeln wir all diese Funktionen mit Versicherten zusammen. Dabei genießt der Datenschutz natürlich höchsten Stellenwert.

 

Könnten in einem solchen Gesundheits-Cockpit auch die elektronischen Rezepte auftauchen?

Wir wären hoch interessiert daran und plädieren stark dafür, das Medium eRezept integrationsfähig zu gestalten. Allerdings hat sich die Politik beim eRezept im ersten Schritt für eine Stand-alone-App entschieden. Ich glaube, dass wir deutlich mehr Mehrwert für die Versicherten bekommen, wenn das eRezept mit anderen Gesundheitsservices vernetzt werden kann. Denken Sie an die E-Medikation oder an Wechselwirkungs-Checks. Wir würden es begrüßen, wenn eine neue Bundesregierung sich dieses Themas noch einmal annehmen würde. Es muss ja auch keine tiefe Integration sein, es reicht vielleicht schon eine Schnittstelle mit Transfermechanismus. Das wäre einer unserer Wünsche an die eingangs erwähnten Weichenstellungen.

 

Wo sehen Sie sonst noch Bedarf an Nachjustierung durch die neue Bundesregierung?

Ich meine, wir sollten auch noch einmal darüber nachdenken, ob es zielführend ist, eine ePA mit einem Opt-in-Modell zu starten. Der Opt-out ist ja im aktuellen Sachverständigenratsgutachten angeregt worden, und ich halte das und vieles andere in diesem Gutachten für sehr überlegenswert. Es gibt andere Länder, die mit elektronischen Patientenakten bereits ihre Erfahrungen gemacht haben. Wir sollten uns zumindest genau ansehen, was da funktioniert und nicht funktioniert hat. Zum Beispiel könnte man bei Beginn einer Familienversicherung gleich eine ePA für die jeweiligen Kinder anlegen. Wer partout keine ePA möchte, könnte sich ja wieder abmelden.

 

Wie zufrieden sind Sie mit der gematik in struktureller Sicht?

Prinzipiell hat sich vieles in die richtige Richtung bewegt. Es sollten aber die Verantwortungen für die Festlegung der Rahmenbedingungen und für die operative Umsetzung deutlicher getrennt werden, um für alle Teilnehmer größtmögliche Transparenz zu schaffen. Daher wäre ich auch für eine systematischere Digitalisierungsstrategie, bei deren Formulierung sich die Politik dann diese Zuständigkeiten nochmal ansehen sollte. Auch müsste die Digitalisierung noch stärker am Nutzen für die Versicherten und deren Versorgung ausgerichtet werden, nur so schaffen wir die nötige Akzeptanz. Klar zuständig halte ich die gematik für das Thema Interoperabilität. Da wäre höchstens die Frage, ob es wirklich, wie jetzt geplant, ein eigenes, physisches Gremium braucht, oder ob die Kompetenzen schon existierender Player nicht auch virtuell zusammengebracht werden können. Ich weiß nicht, ob wir immer wieder neue Gremien mit neuen Köpfen benötigen.