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Vernetzung |

„Die Rolle des Versicherten muss noch weiter gestärkt werden.“

Foto: © AOK Baden-Württemberg

Auch die AOK wird eine §291a-Akte anbieten. Michael Noll von der AOK Baden-Württemberg ist jetzt AOK-weit zuständig für das digitale Gesundheitsnetzwerk der Krankenkasse.

 

Anfang 2018 hatte die AOK Nordost mit ihrem Vernetzungsprojekt im Ärztenetz HaffNet den Startschuss für das digitale Gesundheitsnetzwerk der AOKen gegeben. Wie ist der aktuelle Stand?

 

Das digitale Gesundheitsnetzwerk ist ein Projekt aller AOKen zur sektorenübergreifenden Vernetzung. Im ersten Schritt liegt der Fokus auf einer digitalen Vernetzung von ambulanten Ärzten und stationären Einrichtungen. Die Vernetzung in der Pilotregion, wo das Ärztenetz HaffNet und die Ameos-Kliniken vernetzt werden, läuft gut. Es gibt natürlich auch Kinderkrankheiten, aber die wachsen sich aus. Wir haben im Juli in Berlin mit den Vivantes- und Sana-Kliniken unsere zweite Pilotregion ans Netz genommen. Hier konzentrieren wir uns auf die Vernetzung von Geburtskliniken mit niedergelassenen Gynäkologen und mit den Schwangeren. Das ist auch deswegen interessant, weil wir hier sehr stark die Schwangeren, einbeziehen. Entsprechend sammeln wir dort Erfahrungen u. a. mit dem Thema Zugriffs- und Berechtigungsmanagement. Insgesamt kann man sagen, dass die AOK in fast allen Regionen aktiv ist. In Baden-Württemberg arbeiten wir aktuell mit dem Hausärzteverband und MEDI an Vernetzungsprojekten, die wir gegen Jahresende konkreter vorstellen wollen. Da bewegt sich sehr viel.

 

Wie bewertet die AOK den Referentenentwurf des TSVG, der darauf abzielt, Krankenkassen zu Herausgebern bzw. Finanziers elektronischer Patientenakten nach §291 SGB V zu machen?

 

Grundsätzlich begrüßen wir diesen Gesetzentwurf, weil er erstmals den Versicherten in den Mittelpunkt stellt. Uns freut auch, dass alle Krankenkassen einerseits klar in die Verantwortung genommen werden, ihren Versicherten Akten anzubieten und sie andererseits die Möglichkeit erhalten sollen, die Akten ergänzend zu den Standardfunktionen um weitere kassenindividuelle Funktionen erweitern zu können. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Aktenspezifikationen der gematik offen und erweiterbar gestaltet werden, um einen Innovationswettbewerb der Krankenkassen zu ermöglichen.

 

„Das Konzept der AOKen wird auch eine Patientenakte nach §291 beinhalten.“

 

Die AOK hat bisher auf ein dezentrales IHE-Netzwerk nach dem Vorbild Österreichs gesetzt. Die Äußerungen aus Berlin deuten jetzt eher in Richtung einer zentralen Patientenakte innerhalb der Telematikinfrastruktur. Inwieweit muss die AOK ihr Aktenprojekt jetzt modifizieren?

 

Der Ort der Datenhaltung ist aus unserer Sicht nicht der entscheidende Punkt. Auch bei einer dezentralen Datenhaltung, die wir weiterhin tendenziell für sicherer halten, müssen die den Patienten zugänglich gemachten Daten – wie ja auch in Österreich – schon aus Gründen der Verfügbarkeit auf Servern abgelegt werden, die sich in diesem Fall dann nicht irgendwo in einem einzigen Rechenzentrum befinden, sondern dezentral in der Hoheit von zum Beispiel Ärztenetzen oder KVen. Entscheidend ist nicht der Ort der Datenspeicherung, sondern entscheidend ist, dass die Akten interoperabel sind und dass der Patient die Hoheit über seine Daten hat. Beim Thema Interoperabilität setzen wir weiterhin ganz klar auf IHE und internationale Standards. Trotzdem haben Sie natürlich recht: Eine Patientenakte nach §291 SGB V werden wir jetzt anbieten, das ist schließlich der im TSVG formulierte Auftrag. Wir reden aber nicht von einem separaten Projekt, sondern von einem Teil unseres breiter angelegten Vernetzungsprojekts. Das Konzept der AOKen wird künftig auch eine EPA nach §291 beinhalten und diese noch um weitere, innovative Funktionen erweitern.

 

Was heißt das konkret? Sie haben am Stettiner Haff und in Berlin unter anderem mit Cisco, Parsek und Tiani die Vernetzung umgesetzt. Müssen Sie jetzt neu ausschreiben?

 

Als AOK-übergreifendes Projekt haben wir in einem ersten Schritt die Lizenzen für die IHE-Software ausgeschrieben. Wir werden jetzt in weitere Ausschreibungsschritte gehen und dabei unter anderem die Portalentwicklung und die §291-Akten adressieren, um hier bundesweit agieren zu können. Davon unabhängig sind die regionalen Vertragspartnerschaften, im Fall der AOK Nordost wie Sie sagen mit Cisco und Parsek. Kurz gesagt: Wir werden als AOKen eine ganze Reihe an Partnern haben, und das werden auch nicht überall dieselben sein. Schon deswegen ist Interoperabilität für uns das absolut zentrale Thema.


Im Sommerloch gab es ja plötzlich einen Riesenaufschrei, und 17 KVen haben sich in seltener Einigkeit und mit Verweis auf die AOK-Netze gegen einen Zugriff von Krankenkassen auf die Praxis-IT-Systeme ausgesprochen – inklusive der KV Mecklenburg-Vorpommern, die ja eigentlich ein Projektpartner in Mecklenburg-Vorpommern ist. Was war da los?

 

Meines Erachtens war das im Wesentlichen ein Missverständnis, das auch der komplexen Thematik geschuldet ist. Umso wichtiger ist, dass wir uns alle an einen Tisch setzen und miteinander sprechen. Richtig ist, dass wir in unseren digitalen Gesundheitsnetzwerken nicht ins Arztinformationssystem eingreifen wollen, sondern dass der Arzt – wie auch bei den anderen elektronischen Akten – Dokumente und Daten über eine Schnittstelle, zum Beispiel eine KV Connect-Schnittstelle, zur Verfügung stellt und auch Dokumente abrufen kann. Diese Daten und Dokumente sind dann in der Hoheit des Patienten, der die Berechtigungen verwaltet, egal ob sie auf einem zentralen Server in Frankfurt oder einem dezentralen Server in Schwerin liegen. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass auch der Versicherte Daten einstellen kann. Auch da unterscheidet sich unser Vernetzungsprojekt nicht von den Projekten anderer Krankenkassen. Letztlich geht es darum, dass ein Ökosystem geschaffen werden muss, bei dem nicht einzelne Akteure alle Fäden ziehen, sondern bei dem der Patient die Entscheidungsgewalt hat.


„Wir brauchen ein Recht auf permanente Abrufbarkeit der eigenen Daten.“

 

Letztlich schwebt Ihnen ja eine digitale Welt vor, in der Patientenakten nach §291 SGB V mit regionalen Netzen technisch eng interagieren. Was ist neben den TSVG-Maßnahmen politisch noch erforderlich, um dort wirklich hinzugelangen, Stichwort E-Health-Gesetz II?

 

Es gibt da mehrere Punkte. Die Rechtsgrundlage für unsere digitalen Netzwerke ist ja der §67 SGB V. Hier halten wir es für nötig, den Versicherten als Herren seiner Daten konsequenterweise mit aufzunehmen. Dann sollte die Rolle der Gematik verändert werden, und zwar in Richtung einer Netzagentur, die zuständig ist für die grundlegende Infrastruktur, das Identitätsmanagement und die Schnittstellen, nicht aber für Ausgestaltung oder gar Betrieb einzelner Anwendungen. Natürlich muss sich die Selbstverwaltung bei Anwendungen wie der Patientenakte, der E-Medikation oder dem elektronischen Rezept abstimmen. Das sollte aber in einem alle Interessen ausbalancierenden Verfahren mit verbindlichem Regelwerk außerhalb der Gematik passieren. Wir sähen es außerdem gerne, wenn AIS- und KIS-Hersteller unmissverständlich dazu verpflichtet würden, offene Schnittstellen für den Datenaustausch mit elektronischen Patientenakten und anderen Anwendungen bereit zu stellen. Und wir denken, dass die Rolle des Versicherten noch weiter gestärkt werden muss. Insbesondere sollte es statt der bisherigen ‚Auskunft auf Verlangen‘ ein Recht auf permanente Abrufbarkeit der eigenen Daten geben. Dazu müssten aus unserer Sicht §305 SGB V und §630g BGB angepasst werden.

 

Interview: Philipp Grätzel von Grätz

 

Die Sicht der KBV:

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Die Sicht der Techniker Krankenkasse

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