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Vernetzung |

„Wir wollen auf keinen Fall ein Parallelgremium“

Fotos: © Lopata/axentis.de

Keine Bundesagentur für Akten. Keine Kassen-Crawler. Dr. Thomas Kriedel und Dr. Stephan Hofmeister von der KBV haben bezüglich elektronischer Patientenakten klare Vorstellungen.

 

Der TSVG-Entwurf verpflichtet die Krankenkassen, bis zum Jahr 2021 elektronische Patientenakten nach § 291a (EPA) zur Verfügung zu stellen bzw. zu finanzieren. Außerdem soll ein mobiler Zugang zur EPA kommen, der ohne Gesundheitskarte auskommt. Das kam beides damals auch in Ihrem Positionspapier vor. Sind Sie zufrieden mit dem TSVG, was das Thema elektronische Akten angeht?

 

Kriedel: Sie haben Recht, Teile von unseren Forderungen sind übernommen worden. Wir finden es richtig, dass jedem Patienten eine EPA angeboten werden soll. Wir sind auch zufrieden damit, dass die enge Kopplung an Chipkarten, Stichwort Zwei-Karten-Prinzip, durch die Option zum mobilen Zugang aufgeweicht wird. Das Handling mit Chipkarten hat sich aus unserer Sicht weitgehend überlebt. Es ist auch völlig in Ordnung, dass der Aktenprovider um die versorgungsrelevanten Kernfunktionen der EPA herum zusätzliche Angebote schafft, zum Beispiel als Krankenkasse die Verwaltungsdaten transparent macht. Trotzdem würden wir uns schon noch einige weitergehende Regulierungen wünschen.

 

Was fehlt Ihnen konkret?

 

Kriedel: Tatsache ist, dass die wirklich relevanten Inhalte einer EPA wesentlich in den Arztpraxen erzeugt und zur Verfügung gestellt werden. Außerdem muss ein nachbehandelnder Arzt die zur Verfügung gestellten Daten sinnvoll nutzen können. Deswegen wollen wir als KBV bei den arztinduzierten Kerninhalten der EPA – also nicht bei den zusätzlichen Angeboten – die Richtlinienkompetenz für Informationsobjekte haben. Dazu gehört auch, dass wir die technischen Schnittstellen für diese Arztbefunde vorgeben können, damit nicht jeder Provider oder jeder Praxis-IT-Hersteller machen kann, was er will. Das ist keine Einengung der Möglichkeiten einer EPA, sondern eine notwendige Standardisierung im Hinblick auf einen bestmöglichen Nutzen für die Versorgung.

 

„Die inhaltliche Richtlinienkompetenz muss bei uns liegen.“

 

Braucht es dazu eine parallele Struktur, etwa eine Digitalisierungs- oder Patientenaktenagentur, die die Gematik ergänzt? Müssen die Governance-Strukturen der Gematik geändert werden?

 

Kriedel: Wir haben uns da viele Gedanken gemacht. Wir sind der Auffassung, dass die Gematik alles in allem gute Arbeit geleistet hat bei den technischen Basisstandards. Hier ist eine Herangehensweise sinnvoll, die das gesamte Gesundheitswesen einbezieht. Bei der EPA ist das anders, die betrifft nur Teile des Gesundheitswesens, und zwar vor allem die Vertragsärzte, insbesondere was die Definition der Informationsobjekte angeht, und auch die Krankenhäuser. Deshalb stellen wir uns vor, dass die inhaltliche Richtlinienkompetenz bei uns liegt, während die Gematik sich weiterhin um Sicherheitsstandards und andere Basistechnologien kümmert.

 

Hofmeister: Wenn ich mal als Arzt spreche, dann ist es für mich relativ einfach. Die ärztlichen Befunde müssen technisch spezifiziert werden: Was ist ein EKG? Was ist eine Lungenfunktion? Das legt bisher niemand fest, deswegen gibt es auch dieses babylonische Sprachgewirr. Das muss einer in die Hand bekommen. Wir sind mit 660 Millionen Behandlungsfällen pro Jahr einfach der Akteur, der am allermeisten ärztliche Daten dieser Art hat, deswegen fordern wir, dass wir die medizinischen Daten spezifizieren können. Wie die Akten mit diesen dann unveränderbaren und erkennbaren Daten befüllt werden, ist uns mehr oder weniger egal. Der Patient hat einen Anspruch auf seine Daten, und was er damit macht, ist seine Sache. Aber wir wollen dort, wo wir als Ärzte unmittelbar betroffen sind, das Ruder in der Hand haben. Wir wollen – auch gegenüber dem PVS-Hersteller – vorgeben können: Was ist ein EKG? Sonst funktioniert das nicht. Wir müssen wissen, ob wir links oder rechts fahren, ob wir metrische oder andere Systeme nehmen. Für solche Vorgaben ist die Gematik nicht der richtige Ort für. Diese Standardisierung ist im Übrigen nicht nur für die elektronische Arztakte im PVS und die EPA wichtig, sondern auch für die Arzt-zu-Arzt-Kommunikation, die auch in einer Welt mit EPAs eine sehr wichtige Rolle spielen wird und muss. Das geht in den Diskussionen manchmal etwas unter.

 

„Mit wem wollen Sie bei den Krankenhäusern sprechen?“

 

Nun werden Krankenhäuser und auch Fachgesellschaften sich möglicherweise nicht so gerne von der KBV inhaltliche Vorgaben für irgendwelche medizinischen Datensätze machen oder definierte Schnittstellen vor die Nase setzen lassen, auf die sie keinen Einfluss hatten.

 

Kriedel: Moment. Wir wollen nicht im stillen Kämmerchen alleine entscheiden, sondern wir wollen die Richtlinienkompetenz. Das geht einfach schneller. Natürlich sprechen mit den anderen Beteiligten, mit den Krankenhäusern…

 

Hofmeister: Hier stellt sich die Frage: Mit wem wollen Sie da sprechen? Mit einzelnen Krankenhäusern? Oder der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die allerdings als eingetragener Verein nicht direkt auf die Krankenhäuser einwirken kann.

 

Kriedel: Was wir auf keinen Fall wollen, ist ein Parallelgremium. Kein Institut. Keine Agentur. Je mehr Akteure da mitspielen, umso komplizierter wird es. Unsere Vorstellung ist, dass wir bei medizinischen Fachanwendungen die Richtlinienkompetenz erhalten. Dafür gibt es Präzedenzfälle. Wer hat den Notfalldatensatz relativ schnell umgesetzt? Wir, zusammen mit der GKV. Das war innerhalb von drei, vier Monaten erledigt. Da hatten die Bundesmantelvertragspartner, also der GKV-Spitzenverband und die KBV, die gesetzliche Aufgabe, sich zu einigen, sowohl auf die Spezifikation als auch auf die Vergütung, und sie haben das getan. So stellen wir uns das auch für die Standards vor, die im Zusammenhang mit der EPA und der innerärztlichen Kommunikation benötigt werden. Es gibt noch einen zweiten Präzedenzfall, nämlich die Schnittstelle für den Datentransfer bei Wechsel des PVS-Systems. Da hat uns der Gesetzgeber im letzten Jahr das Recht gegeben, eine Schnittstelle zu definieren und zu veröffentlichen, die nach zwei Jahren verbindlich wird. So kann es funktionieren. Es macht einfach keinen Sinn die Fachanwendungen bei der Gematik anzusiedeln oder in einem anderen Gremium, das anders heißt, aber genauso schwerfällig ist. Wenn Herr Spahn eine sinnvolle EPA und eine sinnvolle digitale Kommunikation zügig haben will, dann muss er uns beauftragen.

 

„Wir haben gezeigt, dass wir Standards setzen können“

 

Und Sie nutzen dann auch jene internationalen Standards, die Fachgesellschaften, Standardisierer und Teile der Industrie einfordern?

 

Hofmeister: Wir haben mit KV-Connect bzw. dem SNK zehntausende von Ärzten und zahlreiche Krankenhäuser angebunden und damit gezeigt, dass wir Standards setzen können. Wir sind interessenneutral. Wir verdienen damit nichts. Und wir können als Körperschaft KBV vom Gesetzgeber rechtlich dazu befähigt werden, Normen zu setzen. Natürlich würden wir dabei existierende Standards wie DICOM berücksichtigen. Wir haben weder die Kapazitäten noch das Interesse, das Rad neu zu erfinden. Aber es ist eben noch nicht alles standardisiert. In Fällen, in denen konsentierte Standards fehlen, würden sich IT-Experten und Ärzte zusammensetzen und einen Standard definieren. Und sie würden dabei auf internationale Standards (FHIR, HL7) zurückgreifen, wo es sie gibt und wo sie mit vertretbarem Aufwand umsetzbar sind.

 

Vielleicht mal ein Beispiel?

 

Hofmeister: Nehmen Sie den Kreatininwert. Mit modernen IT-Lösungen könnte man sich vorstellen, ein Kreatin in zwei Varianten zu erlauben. Entscheidend ist, dass sie unterscheidbar sind und dass die Systeme nicht U/ml und mg/dl vermischen, was schwere Behandlungsfehler produziert. Wenn Sie bei diesem Thema die Krankenhäuser fragen, dann haben Sie Konzern X und Y und Z, die alle unterschiedliche Ideen haben, weil sie es schon immer so machen. Da kommen wir nie zu Potte. Wir als KBV bieten an, dass wir bei der inhaltlichen Standardisierung das Zepter übernehmen, weil es Sinn macht. Das ist keine spaßbewehrte Aufgabe, und wir werden damit auch keine Dankbarkeit ernten. Aber so bekommen wir etwas auf die Schiene, an das sich PVS-Hersteller und auch KIS-Hersteller halten müssen. Und die Provider der EPAs erhalten eine verlässliche Grundlage. Schlimm wäre, wenn wir als Ärzte in Zukunft bei jeder EPA etwas anderes kriegen, was zwar EKG heißt, aber völlig verschieden aussieht. Dann sind wir wirklich bei einer digitalen Aldi-Tüte.

 

„Eine Crawler-Funktion mit zentraler Registry kommt nicht in Frage“

 

Sie haben wiederholt betont, dass Sie gut damit leben können, wenn Krankenkassen als Provider elektronischer Akten auftreten. Nun gab es Mitte Juli einen großen Aufschrei aller 17 KVen, die sich gegen einen Direktzugriff von Krankenkassen auf Praxis-IT-Systeme ausgesprochen haben – und zwar mit Verweis auf das digitale Gesundheitsnetz der AOKen, das zumindest bisher einen dezentralen, IHE-basierten Netzwerkansatz favorisierte. Was ist Ihr Problem mit dieser Form der Akte?

 

Kriedel: Wer elektronische Akten füllen will, kann das über eine Push-Funktion machen, bei der Daten und Dokumente von den Ärzten aktiv eingestellt werden. So läuft es bei den Server-Akten, die die TK oder die DAK anbieten wollen. Die Alternative ist eine Pull-Funktion, bei der Provider Daten aus den angeschlossenen Systemen heraus ziehen und zu einer virtuellen Akte zusammenstellen. Das was die AOK unserem Verständnis nach in deren Pilotprojekt in Mecklenburg-Vorpommern machen wollte, war dieses Pull-Prinzip, ursprünglich mit Arztrechnern, die rund um die Uhr online sind, später dann mit Servern als Zwischenspeicher bei der KV. Es sollte dabei eine Art Crawler-Funktion geben, eine zentrale Registry, die die Dokumente aus den Praxis-IT-Systemen einsammelt. Das kommt aus unserer Sicht nicht in Frage, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Ärzte dazu bereit sind.

 

Hofmeister: Die Arztakte ist sakrosankt, und ein Zugriff durch Dritte ist nicht akzeptabel. Jede Registry, die aus dezentralen Daten eine Akte zusammenstellt, weiß mehr als derzeit irgendjemand weiß. Sie weiß nämlich, dass ein Patient bei dem und dem Arzt war. Das ist ein Tabubruch und für Ärzte ein No-Go, und es ist nebenbei bemerkt unglaublich teuer.

 

Was die AOK in ihrem Gesundheitsnetzwerk umsetzen möchte, ist das Konzept einer dezentralen Netzakte, das historisch wesentlich von Ärztenetzen mitentwickelt wurde. Dem liegen – neben Sicherheitserwägungen – nicht zuletzt von Ärzten formulierte Überlegungen zugrunde, wonach sekundäre Datensammlungen wenn möglich vermieden werden sollten. Ist das so abwegig?

 

Kriedel: Wir halten das für sehr kompliziert, umständlich und grundsätzlich bedenklich, und alle KVen teilen unsere Auffassung. Um eine EPA zu betreiben, braucht es einen solchen Crawler nicht. Mit einem Zentralserver, auf dem Dokumentenkopien aktiv abgelegt werden, ist das viel einfacher. Die Daten sind dann auch viel leichter zu transportieren, zum Beispiel bei einem Kassenwechsel, was ja auch eine wichtige Forderung an die EPAs ist. Es ist auch ein Unterschied, ob wir von einem regionalen Ärztenetz mit Ärztenetzserver sprechen oder von einer KV-Bezirk-weiten EPA-Infrastruktur. Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Eine Registry zu führen, die Datenabfragen macht, kann in einem Ärztenetz Sinn machen, aber es ist weder eine Aufgabe einer Krankenkasse noch einer KV.

 

Interview: Philipp Grätzel von Grätz

 

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