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Medizin |

DiGA-versum: Die Berichtssaison

Die Zahl der eingelösten Freischaltcodes steigt. Aber ob das ein Erfolg ist oder nicht, daran scheiden sich auch dieses Jahr die Geister.

Bild: © AnnJane – stock.adobe.com, 470304764, Stand.-Liz.

Mit dem Digital-Gesetz (DigiG) beginnt auch für die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) eine neue Zeitrechnung. Künftig sollen auch Medizinprodukte der Klasse IIb DiGA werden können, und es soll einfacher werden, telemedizinische Leistungen im DiGA-Kontext einzubinden bzw. abzurechnen. Davon dürften nicht zuletzt DiGA im Kontext Disease Management-Programme sowie Schwangerschafts-DiGA profitieren.

 

Bevor es in die „neue Zeit“ geht, gibt es schon fast traditionell wieder zwei Jahresberichte zur bisherigen Welt, nämlich den DiGA-Report des Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. (SVDGV) und den DiGA-Bericht des GKV-Spitzenverbands.: Wie hat sich der DiGA-Markt im dritten Jahr seines Bestehens, zwischen Herbst 2022 und Herbst 2023, entwickelt? Das ist die Kernfrage.

 

Randomisierte Studien sind Standard

Beginnen wir mit dem SVDGV-Report. Basis des Reports sind jene 49 DiGA, die zum Stichtag 30. September im DiGA-Verzeichnis gelistet waren. Informationen über die Zahl der eingelösten Freischaltcodes lieferten die Hersteller bei 35 von 49 dieser DiGA. Auf dieser Basis wurden die Gesamtzahlen geschätzt. Insgesamt 24 der 49 Ende September 2023 gelisteten DiGA waren dauerhaft gelistet, haben also den Nachweis eines positiven Versorgungsnutzens bereits erbracht (Abbildung 1). Das Versorgungsspektrum wird dabei langsam breiter. Neben DiGA für psychische Erkrankungen, Adipositas und Muskel- und Gelenkbeschwerden kamen u.a. solche für Alkoholabhängigkeit, Endometriose, Reizdarm und Rauchentwöhnung dazu.

Abbildung 1: DiGA-Übersicht zum 30. September 2023

 

Dass eine relevante Zahl an DiGA den Wechsel von vorläufiger zu dauerhafter Listung geschafft hätten, zeige, dass das DiGA-Verfahren mit seinem Nutzennachweis „im laufenden Betrieb“ funktioniere, so der SVDGV. Was die Evidenzgenerierung angeht, zeigt das Barometer eindeutig auf RCT: Einhundert Prozent der bisher gelisteten DiGA wählten für den Nachweis des positiven Versorgungseffekts eine randomisierte Studie. Dass bei den digitalen Pföegeanwendungen (DiPA) kein Erprobungsjahr existiert, ist laut SVDGV ein wesentlicher Grund dafür, warum es zwei Jahre nach Einführung der DiPA noch immer keine einzige erstattungsfähige DiPA in Deutschland gebe.

 

Kontinuierliches Wachstum

Insgesamt wurden in den drei ersten DiGA-Jahren rund 370.000 DiGA Freischaltcodes eingelöst. Dabei gibt es, was die Gesamtzahlen angeht, einen Aufwärtstrend. Nach einem Sprung um 215 Prozent zwischen dem ersten und dem zweiten DiGA-Jahr ging es im dritten DiGA-Jahr nochmal um 65 Prozent nach oben. Grob geschätzt wurden demnach im dritten DiGA-Jahr bis Ende September 2023 rund 206.000 Freischaltcodes eingelöst.

 

Eine andere Schätzungsmethodik kommt auf eine Zunahme um 80 Prozent im dritten DiGA-Jahr. Im Wesentlichen lässt sich bisher konstatieren, dass die Zahl der verordneten DiGA Monat um Monat steigt (Abbildung 2). Der Knick im Frühjahr 2023 hängt nach Herstellerangaben u.a. mit dem Cyberangriff auf die Bitmarck zusammen. Die Zahlen zeigen freilich auch, dass die Zahl der eingelösten Freischaltcodes pro DiGA nicht in den Himmel wächst. Bezieht man die 206.000 im dritten Jahr verordneten DiGA auf die 49 DiGA Ende September 2023, dann sind es im Schnitt 4200 Freischaltcodes pro DiGA. Rechnet man analog für das zweite DiGA-Jahr, landet man bei 3800 Freischaltcodes, was einem „Plus pro DiGA“ von rund 10 Prozent entsprechen würde.

Abbildung 2: Eingelöste Freischaltcodes für DiGA nach Monaten

 

Die Detailauswertung zeigt, dass circa 80 Prozent der verordneten Freischaltcodes im dritten DiGA-Jahr Erstverordnungen waren, nach rund 90 Prozent im ersten und rund 85 Prozent im zweiten Jahr. Interessant ist, dass knapp 70 Prozent der DIGA-Nutzer:innen weiblich waren. Diese Quote hat über die drei Jahre deutlich zugenommen, was u.a. damit zusammenhängen dürfte, dass gynäkologische Apps mittlerweile ein relevantes Teilsegment des DiGA-Marktes sind, und auch Depression und Migräne häufiger bei Frauen diagnostiziert werden. Die größte Altersgruppe sind 50- bis 64-jährige Patient:innen.

 

DiGA-Bericht der GKVen: “Versprechen nicht eingelöst“

Einen deutlich anderen Tonfall schlägt, wie schon in den Vorjahren, die Gesetzliche Krankenversicherung an: „Die Bilanz zu den DiGA ist von Ernüchterung geprägt. Auch im dritten Jahr nach ihrer Einführung lösen die Gesundheits-Apps nicht ihr Versprechen ein, die gesundheitliche Versorgung grundlegend zu verbessern“, konstatierte Verbandschefin Stefanie Stoff-Ahnis bei einer Pressekonferenz. Kritik gibt es zum einen, nicht neu, an dem Konzept der Listung und Erstattung zur Probe, außerdem an der Preispolitik. Es könne nicht sein, dass es ein Hersteller im ersten Jahr der Einführung 2000 Euro und damit das Zehnfache des Durchschnitts der verhandelten Preise aufrufe. Abbildung 3 gibt einen Überblick über die Herstellerpreise aller 49 DiGA.

Abbildung 3: Herstellerpreise der DiGA

 

Die GKV sieht auch eine relevante Inflation bei den DiGA-Preisen: Im Vergleich zum ersten Berichtsjahr seien die durchschnittlichen Herstellerpreise bei Aufnahme der DiGA ins Verzeichnis um 46 Prozent auf derzeit 593 Euro gestiegen. Im zweiten DiGA-Jahr waren es 557 Euro. Die verhandelten Vergütungsbeträge ab dem zweiten Jahr nach Listung liegen derzeit im mittel bei 221 Euro, jeweils pro Quartal. Einige exemplarische DiGA mit Herstellerpreisen und Vergütungsbeträgen zeigt Abbildung 4.

Abbildung 4: Herstellerpreise und Vergütungsbeträge bei dauerhaft gelisteten DiGA

 

„DiGA kommen langsam in der Versorgung an“

Insgesamt gebe einen starken Trend zur vorläufigen Listung. Nur eine einzige von 19 im dritten DiGA-Jahr zugelassenen DiGA sei von Anfang an dauerhaft gelistet worden. Im ersten und zweiten Berichtsjahr war es rund ein Viertel. Allerdings ist auch die GKV nicht nur negativ. Es zeige sich, dass die DiGA langsam in der Versorgung ankämen, so der Verband. Das Potenzial zur Verbesserung der medizinischen Versorgung wird gesehen, sofern es auch einen entsprechenden Nutzennachweis gebe.

 

Zu den Zahlen: Die GKV hat die Indikationen der 19 neuen DiGA aus dem dritten DiGA-Jahr ausgewertet. Elf davon adressieren psychische Erkrankungen, je zwei Krankheiten des Nervensystems bzw. des muskuloskelettalen Systems und je eine Herz-Kreislauf-, Atmungs-, Stoffwechsel- und Urogenital-Erkrankungen. Das gesamte Indikationsspektrum aller gelisteten DiGA zeigt Abbildung 5. Insgesamt sieben DiGA wurden bis Ende September 2023 wieder gestrichen und/oder zurückgezogen, nämlich Cankado, Esysta, Mika, M.sense Migräne, Rehappy und Selfapy Panik.

Abbildung 5: Indikationsspektrum aller 49 Ende September 2023 gelisteten DiGA

 

Der DiGA-Report der GKV gibt auch einen Einblick in die gruppenspezifischen Höchstbeträge. DiGA sind dann von Höchstbeträgen betroffen, wenn sie im ersten Jahr der vorläufigen oder dauerhaften Listung sind und mehr als 2000 Mal in Anspruch genommen worden sind, wobei es bei Erprobungs-DIGA einen Abschlag von 20 Prozent bzw. ab der 10.000 Einlösung 40 Prozent vom Höchstbetrag gibt, bei dauerhaft zugelassenen DiGA werden ab 10.000 Einlösungen 25 Prozent abgezogen.

 

Laut GKV hat die Höchstbetragsregelung bei bisher sieben DiGA zu Preisbegrenzungen geführt. Abbildung 6 gibt einen Überblick.

Abbildung 6: Produktspezifische Höchstbeträge

 


Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM