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Medizin |

Mama an Frühchen: Ich bin bei Dir!

Foto: Philipp Grätzel

Rooming-in im digitalen Zeitalter: Zehn deutsche Krankenhäuser holen die Mutter künftig bei Frühchen digital in den Inkubator – damit der Kontakt zum Kind noch enger wird.


Die Zeiten, in denen Frühchen den Inkubator kaum verlassen durften, sind schon länger vorbei. Mitte der 80er Jahre kam das so genannte Känguruhing aus Kolumbien nach Europa: Die Mutter – zunehmend auch der Vater – nimmt das Frühgeborene aus dem Inkubator heraus und legt es sich auf Brust und Bauch. Für das Frühgeborene fühlt sich das ein bisschen so an wie jene Gebärmutter, in der es sich eigentlich ohnehin noch befinden müsste. „Wir wissen mittlerweile aus Studien, dass sich durch Känguruhing das Überleben und die Überlebensqualität der Kinder verbessert“, betont Prof. Thomas Schaible, Direktor der Neonatologie an der Universitätsmedizin Mannheim.


Wenn die Matte „movet“ und puckert
Lässt sich dieses Konzept nicht weiterdenken? Das Startup Babybe hat das getan und ein System entwickelt, bei dem sich mit Mutter quasi elektronisch in den Inkubator einwählen kann. Auf diese Weise erreichen Herztöne, Atembewegungen, aber auch zum Beispiel die Stimme der Mutter auch dann das Kind, wenn die Mutter gar nicht in der Nähe ist.


Konkret funktioniert das Ganze so: Das Frühchen liegt im Inkubator auf einer Art Gelmatratze, deren Oberfläche der Haut der Mutter nachempfunden ist und die über einen Luftschlauch mit einer Pumpe und Steuerungseinheit verbunden ist, die sich außerhalb des Inkubators befindet. Die Mutter hat ebenfalls eine Art Gelmatratze im Kleinformat: Sie sieht aus wie eine Schildkröte, und die Mutter legt sie sich auf Brust und Bauch. Diese Gel-Schildkröte der Mutter zeichnet nun die Herztöne und Atembewegungen auf. Sie werden an die Steuerungseinheit im Krankenhaus übertragen, und diese pumpt die Gelmatratze im Rhythmus der Atembewegung auf.


Gleichzeitig überträgt die Steuerungseinheit die Herztöne in den Inkubator, ebenfalls über den pneumatischen Schlauch. Das Kind, das in der Regel mit einem Ohr auf der Matratze liegt, hört dann den Herzschlag seiner Mutter. „Wir bauen damit den Körperschall nach, den ein Kind auch in der Gebärmutter hört“, erläuterte Babybe-Gründer Raphael Lang. Mehr noch: Über ein an die „Schildkröte“ angeschlossenes Smartphone kann die Mutter dem Kind auch vorlesen oder vorsingen. Und auch das wird pneumatisch über den Schlauch an die Matratze übertragen.


Digitalisierung für mehr menschliche Nähe

„Wir glauben, dass ein System, das den Kindern das Gefühl vermittelt, nahe bei der Mutter zu sein, für die Kinder gut ist“, sagte die Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am St. Joseph Krankenhaus Tempelhof in Berlin, Dr. Beatrix Schmidt. Dort wurden jetzt zwei entsprechende Systeme angeschafft. Perspektivisch wollen die Berliner die digitale Gelmatratze nicht nur bei Frühchen, sondern auch bei schwerkranken Reifgeborenen einsetzen.


Evidenzbasiert ist diese Behandlung im Moment noch nicht. Doch das soll sich ändern. Mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse, die die Anschaffung der Babybe-Systeme pro Klinik mit 6000 Euro unterstützt, soll an zehn Krankenhäusern in Deutschland eine prospektive Studie mit insgesamt 200 Frühchen stattfinden. Mit dabei sind außer Berlin und Frankfurt unter anderem das Städtische Klinikum Braunschweig sowie die Universitätskliniken in Greifswald und Frankfurt/Main.

 

Das Ziel ist relativ ehrgeizig: „Wir messen Körpergewicht und Kopfumfang, um zu sehen, ob sich Simulation günstig auf die Entwicklung der Kinder auswirkt“, so Schaible, der die Studie leitet. Daneben wird analysiert, ob durch die leichten Bewegungen der Matratze die kardiorespiratorische Stabilität zunimmt, das Kind also zum Beispiel weniger Atempausen und weniger Sauerstoffmangel hat. Schließlich wird zwei Jahre nach der Geburt per Fragebogen auch noch ermittelt, wie sich die Mutter-Kind-Beziehung entwickelt hat. „Der Digitalisierung wird ja oft unterstellt, dass sie ein Risiko für den ‚Human Touch‘ in der Versorgung sei. Bei diesem System wird die menschliche Verbindung im Gegenteil sogar gestärkt“, sagte TK-Vorstand Thomas Ballast.

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM