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Mobile Standards

Mobile Standards setzen sich durch

Schon viel zu lange verharrt die Telemedizin in einem bedauerlichen Teufelskreis, in dem die unzureichende Evidenz, ein skeptischer Berufsstand, und zahllose Pilotprojekte einen fröhlichen Ringelreihen spielen.  Immer neue Projekte und Startups mit immer neuen Technologien zerschellten am Beharrungsvermögen unserer Gesundheitswesen.  Zum großen Wurf kam es auch deswegen nicht, weil die Pilotprojekte zu Pilotitis und Insellösungen führten, die auch wegen fehlender Standards und Interoperabilität einfach nicht miteinander verbunden werden konnten. 


Dänemark: Flächendeckendes COPD-Telemonitoring ab 2018
Aber langsam regt sich etwas, und es hat mit dem wachsenden Interesse der Politik zu tun, die Potenziale der Telemedizin für die Reform des Gesundheitswesens nutzbar zu machen, für eine effektivere Nutzung der knapper werdenden Ressourcen und für mehr Einbindung des Patienten.  Vor allem die nordischen Länder arbeiten schon seit Jahren an Anwendungen zum Telemonitoring.  Im TeleCare Nord Projekt mit über 1,100 chronisch Lungenkranken (COPD) hat Dänemark die medizinische und wirtschaftliche Effektivität einer Telemedizinlösung nachweisen können. 2018 soll diese Lösung national eingeführt werden.  Und weil das nationale Gesundheitsministerium federführend zur Seite stand, waren Standards und Interoperabilität mit von der Partie: Dänemark bekennt sich bereits seit 2012 zu Continua-konformen Lösungen in der Telemedizin.


Die nordischen Länder einen einige Faktoren, die einen geradezu idealen Nährboden für Telemedizin bilden:  ein zunehmender Mangel an Pflegepersonal vor allem in den dünnbesiedelten Regionen und auf den Inseln, eine aufgeschlossene und technikaffine Bevölkerung, ein hohes Maß an Vertrauen in das Gesundheitswesen und in die Sicherheit der eigenen Daten und die kurzen, von Pragmatismus und Konsens geprägten Entscheidungswege zwischen den nationalen, regionalen und kommunalen Ebenen.  Small is beautiful!  Und wo die geringe Größe zum Problem werden könnte, weil die nordischen Länder einzeln nicht die Marktmacht mitbringen, um die Industrie dazu zu treiben, mehr standard-konforme Lösungen anzubieten, da tun sich die „Nordics“ einfach zusammen und arbeiten an einer gemeinsamen Referenzarchitektur zur Telemedizin, um den Marktzugang zu erleichtern.


Österreich: Rahmenrichtlinie Telemonitoring ist online
Bleibt uns da einfach nur der neidische Blick gen Norden?  Nein.  Auch in Spanien setzt man auf Standards, wenn man Patienten telemedizinisch versorgen oder ihnen den Upload physiologischer Daten in ihre Gesundheitsakten ermöglichen möchte. Ein Beispiel ist Katalonien (“Rückenwind für mobile Standards”, E-HEALTH-COM News vom 30.8.2017).  Und in den Niederlanden, wo mit Medmij („Mit mir“) aktuell eine Rahmenarchitektur für eine Patientenplattform in Zusammenarbeit aller wichtiger Leistungserbringer und Patientengruppen entsteht, erwägt das Gesundheitsministerium ebenfalls, für die Verbindung mit den jeweiligen Gesundheitsakten offene, internationale Standards verbindlich vorzuschreiben.  Wie sollte das auch sonst gehen?


Und wie sieht es in „DACH-Land“ aus, im deutschsprachigen Teil Europas?  In Österreich, wo der flächendeckende Rollout der elektronischen Gesundheitsakte ELGA praktisch vollzogen ist, arbeitet das Bundesministerium in Zusammenarbeit mit den Sozialträgern schon seit Jahren an den fachlichen, technischen und rechtlichen Grundlagen für die Einführung von Telemonitoring im Bereich Diabetes, Herzinsuffizienz und der Implantat-Nachsorge. Hier wurde jetzt ein großer Schritt nach vorn getan: Ende Oktober hat das Ministerium seinen Vorschlag einer technischen Rahmenrichtlinie Telemonitoring ins Netz gestellt, die weitgehend auf internationale Standards wie Continua, HL7 und IHE setzt. Das Ganze ist kein „Closed Shop“: Feedback wird noch bis zum 20. November 2017 entgegengenommen. 
Auch in der Schweiz, die den Föderalismus mindestens so ernst nimmt wie Deutschland, gibt es seit Anfang des Jahres die mHealth Empfehlungen der eHealth Suisse, der kleinen (aber feinen) Kompetenz- und Koordinierungsstelle von Bund und Kantonen.  Und, wen wundert‘s, unter Handlungsempfehlung 7 findet man auch hier den Verweis auf internationale Standards wie Continua, HL7 und IHE.


Deutschland: Aufbruch dank Jamaika?
Was Deutschland angeht, darf man gespannt sein. „Small“ ist Deutschland ja nicht gerade. Immerhin hat der Gesetzgeber die Wichtigkeit der Interoperabilität erkannt und unter dem Namen Vesta ein Interoperabilitätsverzeichnis des deutschen Gesundheitswesens auf den Weg gebracht.  Damit ist die Arbeit aber nicht getan.  Wenn man von den Beispielen aus anderen Ländern Europas eines lernen kann, dann ist es, dass die Entscheidung für offene, internationale Standards nicht dem Markt oder der Technikebene überlassen werden darf.  Dann blieben wir nämlich im eingangs erwähnten Teufelskreis.  Nein, sie erfordert den politischen Mut, solche Entscheidungen auch gegen Beharrungskräfte und manchmal auch gegen Widerstände (Insellösungen!) durchzusetzen.


Wird also Vesta nur ein beliebiges Repositorium von tatsächlichen und vermeintlichen Standards?  Oder wird man hier Entscheidungen fällen, die Spreu vom Weizen trennen, sich im Einzelfall auch für den einen und gegen den anderen Standard entscheiden?  Und damit dem Markt und den Entscheidern auch Orientierung bieten, Empfehlungen, Anleitungen, sogar Richtlinien? Vielleicht darf man in Zeiten von Jamaika ja ein bisschen vom Aufbruch träumen.


Michael Strübin ist European Programme Director der internationalen Personal Connected Health Alliance, die die Continua Design Guidelines für persönliche Medizinsysteme entwickelt und herausgibt.  Besuchen Sie die PCHAlliance auf der Medica in Halle 15 A23 (auf dem Wearable Technologies Stand).  Mehr Information unter www.pchalliance.org.