E-HEALTH-COM ist das unabhängige Fachmagazin für Gesundheitstelematik, vernetzte Medizintechnik , Telemedizin und Health-IT für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Mehr

Für das ePaper anmelden

Geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden

Anmelden

Passwort vergessen?

Medizin |

Kritik an neuer Telemedizin-Rahmenvereinbarung

Die neue Vereinbarung zu Qualitätsanforderungen für Videosprechstunden stößt auf Kritik. Benedikt Luber von der TeleClinic sieht viel Fordern, aber wenig Fördern.

Benedikt Luber, Geschäftsführer TeleClinic; Foto: © TeleClinic

Videosprechstunden können in Deutschland mit entsprechenden, zertifizierten Anwendungen von einzelnen Ärzt:innen in Eigenregie angeboten werden. Als Alternative stehen Videosprechstundenplattformen zur Verfügung, die sich um Technik und Regularien kümmert und über deren App bzw. Webseite das Videosprechstundenangebot der Praxis dann überregional bekannt gemacht wird. Die TeleClinic ist ein marktführender derartiger Anbieter in Deutschland: „In den vergangenen zwölf Monaten haben über unsere Plattform rund 1,3 Millionen Videosprechstunden stattgefunden. Aktuell sind bei uns rund 4000 in Deutschland approbierte und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aktiv, Tendenz steigend“, sagte Benedikt Luber, einer der Geschäftsführer von TeleClinic, im Gespräch mit E-HEALTH-COM.

 

„Wille des Gesetzgebers wird nicht umgesetzt“

Nach dem großen Aufwind in der Pandemie ist der Videosprechstundenmarkt in Deutschland deutlich eingeknickt. Derzeit haben die Videosprechstunden an der GKV-Versorgung einen Anteil von nur etwa 0,5 Prozent. „In anderen Ländern, etwa der Schweiz oder Schweden, ist das deutlich mehr“, so Luber. „Dort liegt die Quote eher bei fünf Prozent.“ Die TeleClinic selbst habe als Plattform- und App-Anbieter mit dem Rückgang bei den Videosprechstunden weniger zu kämpfen als andere, so Luber: „Wir sehen ein stetiges Wachstum, aber klar ist, dass das Potenzial in Deutschland noch längst nicht ausgeschöpft ist.“

 

Umso unglücklicher ist Luber mit den gesundheitspolitischen Entwicklungen rund um die Telemedizin in den letzten Monaten. Zwar hatte die letzte Bundesregierung im Digitalgesetz die Telemedizin prominent platziert: Es sollten nach dem Wunsch des Gesetzgebers einerseits die Qualitätsanforderungen ausgebaut werden. Andererseits sollte aber auch insgesamt die Telemedizin gefördert werden. Letzteres sei aber bisher nicht passiert, so Luber zu E-HEALTH-COM.

 

Stattdessen schraube die Selbstverwaltung mit der neuen Qualitätsvereinbarung gemäß § 87 SGB V, die am 1. März in Kraft trat, die Anforderungen an die Telemedizin einseitig nach oben: „Wir haben weiterhin die Regelung, dass eine Praxis nur 30 Prozent ihrer Leistungen telemedizinisch anbieten kann. Die Videosprechstunden sind zudem gegenüber der Präsenzversorgung weiterhin finanziell benachteiligt. Das alles wird nicht verändert, und damit wird der Wille des Gesetzgebers, die Telemedizin zu fördern, nicht umgesetzt.“

 

Regionalisierung konterkariert Stärken der Telemedizin

Kritisch sieht Luber vor allem das Ansinnen, die Telemedizin zu regionalisieren. Konkret müssen Termin-Tools gemäß neuer Vereinbarung ab September 2025 eine „vorrangige Vergabe von Videosprechstunden an Patienten sicherstellen, die ihren Wohnort oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der räumlichen Nähe zum Praxissitz haben“. Notdienst und Zweitmeinungen sind von dieser Regelung ausgenommen. Für Luber wird dadurch eine zentrale Stärke der Telemedizin konterkariert, nämlich Versorgung auch dort sicherstellen zu können, wo das regional nicht in zufriedenstellendem Maße funktioniert.

 

Die ebenfalls in der Vereinbarung niedergelegte Vorgabe, wonach bei Videosprechstunden eine ggf. nötige, strukturierte Anschlussversorgung sichergestellt werden muss, sieht der TeleClinic-Geschäftsführer dagegen grundsätzlich positiv. Dies dürfe aber nicht obligat an regionale Strukturen gekoppelt werden, weil sonst die Regionen benachteiligt würden, in denen die Versorgung ohnehin schon schwierig sei. Auch Versuche, den Anbietern von Videosprechstunden Pflichten hinsichtlich der Organisation einer eventuellen Folgeversorgung aufzuerlegen, die bei regulären Praxiskonsultationen nicht gelten, hält Luber für kontraproduktiv.

 

Obligate Software für Ersteinschätzung: Hohe Markteintrittsbarriere?

Ein weiterer Kritikpunkt von Luber ist der von der Qualitätsvereinbarung vorgesehene, verpflichtende Einsatz eines Tools für die medizinische Ersteinschätzung. Prinzipiell, so Luber, sei eine strukturierte Ersteinschätzung bei der Telemedizin absolut sinnvoll und richtig: „Nicht jede Erkrankung und nicht alle Patientinnen und Patienten eignen sich für eine telemedizinische Konsultation.“ Aus diesem Grund arbeite die TeleClinic schon seit Jahren mit strukturierten Fragebögen, die ständig weiterentwickelt werden und die Nutzer:innen gegebenenfalls an eine andere Versorgungsebene verweisen.

 

Die Anforderung in der Qualitätsvereinbarung besagt, dass Videosprechstundenanbieter statt solcher individualisierbarer Fragebögen bei unbekannten Patient:innen künftig obligat Software-Tools nutzen müssen. Solche Ersteinschätzungs-Tools existieren, sie wurden aber im Rahmen der Notdienstversorgung entwickelt und sind zudem zertifizierte Medizinprodukte. Das schieße über das Ziel hinaus, so Luber: „Damit wird eine extreme Markteintrittsbarriere geschaffen zu einem Zeitpunkt, wo die Branche eigentlich Innovation und Wettbewerb bräuchte.“ Luber hofft jetzt auf eine gewisse Flexibilität in der Umsetzung und auf praxistaugliche Übergangsfristen: „Als TeleClinic werden wir die Anforderungen erfüllen, um weiter tätig sein zu können. Ob wir unser bestehendes System weiterentwickeln oder einen Drittanbieter nutzen, evaluieren wir gerade noch.“

 

Plädoyer für vereinfachte Hybrid-Versorgung

Insgesamt, so Luber, sollten bei der Regulierung der Telemedizin die Chancen für die Versorgung im Vordergrund stehen und nicht neue Hürden errichtet werden. Das ist auch sein Hauptwunsch an die neue Bundesregierung. Es müsse leichter und attraktiver werden, telemedizinische Angebote und Präsenzangebote zu verzahnen. Es müssten Bremsklötze wie die 30-Prozent-Regel und die Benachteiligung bei der Vergütung beseitigt werden. Und es müsse vor allem erkannt werden, dass es bei Videosprechstunden nicht um Mengenausweitung gehe, sondern darum, immer eklatantere Versorgungslücken zu schließen: „Durch Telemedizin können räumliche Grenzen überwunden werden, und es kann ein besserer Zugang zum Spezialisten ermöglicht werden. Wie kann ich räumliche Nähe in der Videosprechstunde fordern, wenn ich weiß, dass bis 2035 allein im hausärztlichen Bereich über 11.000 Praxen keinen Nachfolger finden werden?“